Zunächst geht es raus aus Datong, der Kohlestadt. Die durch das schwarze Gold unter der Erde auch sonst zu reichlich Kohle gekommen zu sein scheint. Viele neue Gebäude säumen die Straßen, überall stehen Baukräne, um neue Hochhäuser aus dem Boden zu ziehen. Kollegin Sally stammt aus einer australischen Bergarbeiterfamilie und verzieht das Gesicht: "Ich mag solche Orte nicht", sagt sie entschieden mit Hinweis auf die feine Staubschicht, die alles Neue und Alte gleichermaßen bedeckt.
Nicht alle Löcher im Sandstein sind allerdings Kohlengruben. Datong ist berühmt für seine heiligen Grotten. Schon vor über 1.500 Jahren stifteten die Herrscher der Wei-Dynastie eine Reihe von Heiligtümern, die zu den ältesten buddhistischen Zeugnissen in China gehören. In einer Reihe von rund 250 Höhlen schufen die frühmittelalterlichen Steinmetze beeindruckende Buddha-Darstellungen.
Über 50.000 Buddhas in den Grotten von Datong
Schon vor 1.000 Jahren nagten Wind und Regen an den Außenfassaden, die teilweise eingestürzt sind. Aber schon kurze Zeit später begannen erste Restaurierungsarbeiten. Die Herrscher der Qing-Dynastie errichteten vor 400 Jahren hölzerne Vorbauten, die heute noch erhalten sind. Insgesamt besteht das Heiligtum aus 42 Höhlen und 210 Nischen mit über 50.000 Buddha-Darstellungen. In einer Höhle finden sich allein 600, die das Leben Buddhas von der Geburt als Siddharta bis zu seiner Wandlung erzählen. Die kleinste Figur misst nur drei Zentimeter, die größte ist 18 Meter hoch. Die gesamte Anlage gehört heute zum Weltkulturerbe der Menschheit.
350 Kilometer westlich der Hauptstadt Peking und mit wachsender Entfernung von den pulsierenden Ostprovinzen hat auch der Verkehr deutlich abgenommen und geht vor allem deutlich zivilisierter vonstatten. Sally versucht in Datong ein Video mit dem Handy zu drehen, um den alltäglichen Horror auf Chinas Straßen zu dokumentieren, sie bricht aber nach kurzer Zeit ab: "Das ist mir alles zu zivilisiert".
Nur Millimeter am Unfall vorbeigeschrammt
Doch wäre es ein schwerer Fehler, sich in Sicherheit zu wiegen. Das Auto der britischen Kollegen mit Adrian aus London und Shane aus Cork entgeht nur um Millimeter einem Unfall, als ein Einheimischer mit seinem Wagen ohne Blick zur Seite auf ihre Spur zieht. Doch notorisches Linksfahren auch langsamerer Vehikel, endlose Lastwagenrennen, ständiges Rechtsüberholen und die gnadenlose Benutzung des Seitenstreifens haben deutlich abgenommen. Am Ortsrand von Pingyao ist auf einer Einfallstraße sogar die Verwendung der Hupe untersagt.
Dazu ist zu sagen, dass der verkehrsteilnehmende Chinese sozusagen eine Fleisch gewordene Hupe ist. Reflexartig drücken vor allem die Taxifahrer pausenlos auf der Lenkradmitte herum. Wer ein geschultes Ohr hat, unterscheidet den eher müden "Hallo, ich bin auch noch da"-Huper vom "Hoppla, jetzt komm ich"-Huper bis zum "Hilfe!-Bist du wahnsinnig"-Huper. Verglichen mit chinesischen Großstädten bewegt sich der Verkehr in Rom nahezu flüsternd vorwärts.
Hupen wie in Trance, Knaller zur Hochzeit
In den allerwenigsten Fällen sitzt am Steuer selbst der am heftigsten hupenden Wagen wie in Deutschland ein cholerischer Zeitgenosse mit hochrotem Schädel und Schaum vor dem Mund, meist befinden sich die Fahrer in einer Art Trance. Das Hupen scheint einem buddhistischen Ritual entnommen und gehört offenbar zu einer Art Meditation. So sind die Gesichter eher gelangweilt bis teilnahmslos. Wer einen strengen Seitenblick durchs gegnerische Fenster wirft, erntet in den meisten Fällen ein entschuldigendes Lächeln.
Hupverbot hin oder her, den Lärm lässt sich der Chinese dennoch nicht verbieten. Mitten auf der Straße explodiert knatternd eine Reihe respektabler Knallkörper. Ein Hochzeitskonvoi rollt vorbei, der Brautwagen ist mit roten Schleifen verziert. Rot soll Freude und ein langes Leben versprechen. Das gilt natürlich nur für die Insassen. Draußen dürfen sich bei den aus den Fenstern geworfenen Knallern ruhig Menschen zu Tode erschrecken.
F-Cell Drive zu Gast im Weltkulturerbe Pingyao
Wenig beschaulich geht es dann auch rund um die Altstadt von Pingyao zu, auch wenn die Stadt mit ihren insgesamt rund 40.000 Einwohnern nach hiesigen Maßstäben eher ein Dorf ist. Doch Pingyao ist ohne Untertreibung ein Ort von Weltrang. Schon vor über 2.000 Jahren war sie Bezirkshauptstadt. Während der Zeit der fünf Dynastien und der zehn Königreiche wurde sie vor 1.000 Jahren geplündert und niedergebrannt. Die Kaiser der Ming-Dynastie zogen vor knapp 650 Jahren die Konsequenzen und zogen eine mächtige Mauer um die Stadt, die bis heute komplett erhalten ist und ebenfalls zum Weltkulturerbe der Unesco zählt.
Die Stadt blühte im Schutz der Mauern auf und war bis ins 19. Jahrhundert das Finanzzentrum Chinas. Innerhalb der Stadtmauer finden sich neben zahllosen Restaurants und Andenkenläden auch historische Bankgebäude. Obwohl scharenweise chinesische Touristen die Stadt bevölkern, geht es vergleichsweise ruhig zu. Diverse Schranken und Gatter lassen an vielen Straßen keinen Verkehr außer Fahrrädern zu. Den Transport der Besucher erledigen Elektrokarren.
Kylie Minogue bringt die F-Cell B-Klasse zum Beben
Bei tief stehender Sonne verlassen wir Pingyao und rollen in den Sonnenuntergang. Mission Control hat in Ermangelung von Musik spielenden Radiosendern CDs ausgegeben. Auf den letzten 60 Kilometern bis zum Etappenziel Lingshi bringen wir mit Zappelmucke von Kylie Minogue die B-Klasse zum Beben.
Es ist ein seltsames Gefühl. Einige Scheiben drehen sich jetzt schon zum achten Mal im CD-Laufwerk, aber das Bild passt nicht zum Klang. Vier Tage haben uns die Hollies begleitet, als wir den australischen Nullarbor durchquerten, aber statt endlosem, flachen Buschland Downunder rauschen nun mit Tempo 120 auf einer breiten Autobahn Millionen Jahre alte Täler durchs Bild, die Flüsse und Regen in den Lößboden gegraben haben. Es ist ein bisschen wie Lawrence von Arabien anschauen und dazu den Soundtrack von Jenseits von Afrika laufen zu lassen.
Mit wummernden Bässen rollt Auto Nummer zwei zur abendlichen Tankstelle. Die Partystimmung hält allerdings nicht lange. Alle sind erschöpft vom langen Tag, die Kollegen leiden immer noch unter der Zeitverschiebung. Zudem wird die Nacht eher kurz. Morgen brechen wir um halb sieben auf, denn es gibt ja schon wieder so viel zu sehen.