In der Provinz Shaanxi (selbstverständlich nicht zu verwechseln mit Shanxi, wo wir noch gestern waren) ist erst vor einer Stunde die Sonne aufgegangen, als der Konvoi nach Südwesten aufbricht. Nach kurzer Zeit verspricht das Roadbook eine landschaftlich schöne Straße, das mag zugetroffen haben, bevor das Industriezeitalter begann. Es ist schwer zu sagen, ob der Nebel in der Luft von den allgegenwärtigen Kohlekraftwerken oder von den massiven Bauarbeiten an der Straße stammt. Die Luft riecht verbrannt und nach Staub. Der fein gekörnte Nebel schmirgelt die Nasenschleimhäute durch. Plötzlich beginnt die Nase zu bluten.
Sallys Schlachtruf
Kollegin Sally ist erst drei Tage in China, ist aber froh, dass sie morgen wieder heimfliegt. "Dieser Dreck in der Luft schlägt mir auf die Stimmung", sagt sie. Man mag sich kaum ausmalen, wie es ist, wenn Sal gut gelaunt ist. Abwechselnd reißt sie einen Witz, dann begleitet sie mit talentierter Stimme ein Lied aus dem Radio. Wir haben zwischendurch einen Sender erwischt, der chinesische Countrymusik spielt. Statt dem typischen "Jiiihaaa" der Südstaatler hat Sally den Cowboy-Schlachtruf zum Rinderantreiben in "Niiihaaau" umgestrickt, was auf chinesisch "Guten Tag" bedeutet.
War sie am ersten Tag im chinesischen Verkehr noch eher furchtsam, hat sich die Australierin eingegroovt. Mit einer Hand am Lenkrad, die zweite an der Hupe surft sie durch das Chaos, als wäre sie hier aufgewachsen. Zwar rückt sie auf dem Sitz immer noch unwillkürlich zur Seite, wenn es auf einer Spur eng wird, ansonsten gibt sie zu, dass Autofahren in China auch richtig Spaß macht.
Erfinderin Sally kann fluchen wie ein Kutscher
Unsere noch frische Beziehung ist in eine neue Phase eingetreten. Sally liebt es, andere Leute aufzuziehen. Macht man das Gleiche mit ihr, erntet man entweder ein liebevolles "Machs dir selbst" oder gleich einen Knuff in die Seite. Seit dem ersten Tag wetten wir an den Mautstationen, wieviel wir jeweils bezahlen müssen. Sie schätzt irgendwo zwischen Hongton und Linfen "15". Der Kassierer will aber doppelt soviel haben. "30? Heilige Scheiße, machst du Witze?" Es steht schon 5:2 gegen sie, als sie spitzkriegt, dass unser Navi-System Tripy in vielen Fällen die Summe schon im Voraus anzeigt. Reingelegt. Die Reaktion ist ein herzliches: "Verfluchter Saukerl".
Sally ist eigentlich gelernte Architektin, schreibt nebenbei für Design-Zeitschriften und Technik-Magazine, denn eigentlich ist sie Erfindern. Schon mit einem Kinderstuhl hat sie zahlreiche Preise gewonnen, das Geschäft mit ihrem Regenwasserrückhaltesystem kommt gerade ins Laufen. Auch sonst ist sie pausenlos kreativ, arbeitet an einem Rap, passend zum Rhythmus der Pumpe unserer mobilen Wasserstofftankstelle. Dazu entwickelt sie neue Huptöne für den chinesischen Markt. Statt einem schnöden "Tuut" soll demnächst eine Armatur mit zahlreichen Wahltasten das Lenkrad schmücken, deren Bandbreite von einem zaghaften "Huhu" über ein strenges "Mach, dass du weggkommst", bis zum schrillen "Verpiss dich" reichen sollen.
Der schmutzigste Kaffee der Welt
Zwischendurch haben wir uns gegenseitig unsere Liebe zu Trockenfleisch gestanden und reißen voller Vorfreude einen appetitlich aussehenden Beutel an der Tankstelle auf. Schließlich hatten wir kein Frühstück. Zum Vorschein kommt ein roher, fetter, rosafarbener Klumpen, der nach Katzenfutter stinkt und sofort in die Mülltonne wandert.
Eine weitere Enttäuschung ist Linfen. Fotograf Walter hat per Funk durchgegeben, dass die Viermillionenstadt die dreckigste der Welt sein soll. Tatsächlich reichte die Luftverschmutzung noch vor einem halben Jahrzehnt für einen Top-Ten-Platz, nachdem 500 üble Schornsteine stillgelegt sind, ist die Stadt auf Rang 46 abgerutscht. Sallys Vorhaben, in der dreckigsten Stadt der Welt den schmutzigsten Kaffee der Welt zu trinken, wird nach kurzer Zeit begraben.
F-Cell Drive besucht die berühmte Terrakotta-Armee
Wo wir gerade im Unterirdischen sind: Es ist nun 37 Jahre her, dass Bauern nicht weit von hier einen Brunnen bohren wollten und auf einen unterirdischen Hohlraum stießen. Was sie dann entdeckten, ist eines der erstaunlichsten Dinge, die Menschen je hinterlassen haben. Vor einem Hügel, 30 Kilometer vor der Provinz-Hauptstadt Xi’an entdeckten sie die Überreste einer über 2.000 Jahre alten Armee. Die Archäologen können bis heute nicht genau sagen, was sich alles auf dem Gelände befindet, allein in der ersten Grube, die sie freilegten finden sich geschätzte 6.000 lebensgroße Figuren, allesamt aus gebranntem Ton, jede einzelne mit individuellen Gesichtszügen.
Es lag wohl daran, dass der kleine Ying Zhèng schon früh eine panische Angst vor dem Jenseits entwickelte. Von dem Jungen aus Handan sollte man noch hören, er war Herrscher des Königreichs von Qin und der erste, der alle sieben benachbarten Königtümer unterwarf und damit erstmals ein Reich einte, das heute China heißt. Der erste Kaiser nannte sich fortan Qin Shihuángdi. Shi bedeutet soviel wie beginnend, Huángdi ist ganz bescheiden der Ausdruck für "erhabener Gott".
700.000 Menschen bauten am Grabmal des Herrschers
Schon bei seiner Krönung im Jahr 210 vor Christus begannen die Bauarbeiten an seinem Grabmal. Zeitweilig sollen 700.000 Menschen an der Anlage mitgewirkt haben. Um sich für das Jenseits zu rüsten, ließ er in allen Provinzen Tonkrieger anfertigen, die eine komplette Armee mit Bogenschützen, Reiterei und Infanterie samt Offiziersstab bilden. Sie sind in Schlachtformation nach Osten gerichtet aufgestellt, die Richtung aus der das Böse kommt.
Erst ein Fünftel der Anlage ist heute ausgegraben. Abgesehen von bisher 16 Millionen Chinesen waren auch schon 160 Staatsoberhäupter zu Besuch. Der deutschen Kanzlerin gefielen im Vorjahr vor allem die kräftigen mongolischen Pferde. Der Eintritt ist mit 120 Yuan (rund zehn Euro) doppelt so teuer wie der zur verbotenen Stadt in Peking. Die Terrakotta-Armee ist der Touristen-Magnet Chinas. Während kommunistische Regime allerorten die Spuren vorangegangener Monarchien nach dem angeblichen Sieg des Volkes zu vernichten suchten, ist die neue chinesische Führung unverhohlen stolz auf das monumentale Erbe der Kaiserzeit, auch wenn der Reichsgründer Qin Shihuángdi bis heute heftig umstritten ist, war er doch als arger Gewaltherrscher bekannt.
Die Konkurbinen des Herrn Ying Zhèng
Unweit seines Grabes fanden sich Gruben mit Menschenknochen. Es heißt, zahlreiche der Arbeiter an der Grabanlage seien am Ende getötet worden, damit sie den Ort der Anlage nicht verraten konnten. Der ihm folgende Sohn ließ angeblich von den über 1.000 Konkurbinen des Herrschers alle hinrichten, die keine Kinder geboren hatten.
Das Grabmal des Kaisers ist noch unangetastet. Erst will man die restliche Umgebung vollständig freilegen und sich in Restaurierungs- und vor allem Konservierungstechniken auf den neuesten Stand bringen. Die einst sämtlich rot bemalten Tonkrieger sind wenige Jahre nach ihrer Ausgrabung völlig verblasst. Das Grab war mit Armbrust-Selbstschussanlagen gesichert. Unter dem riesigen Hügel soll sich eine vollständige Abbildung des Reiches befinden. Angeblich stellen unterirdische Quecksilber-Ströme die Flüsse Chinas da. Tatsächlich will ein Metallurg eine außergewöhnlich hohe Quecksilberkonzentration gemessen haben.
Das letzte Hemd hat keine Taschen
Am Ende waren alle Anstrengungen umsonst. Nur ein Jahr nach Qin Shihuángdis Ableben brachen Aufstände aus. Die Rebellen fanden auch das Grabmal, brachen in die unterirdischen Hallen ein, zerschlugen die Tonkrieger und zündeten das hölzerne Dach an. Den Versuch, die eigene Macht und Pracht ins Jenseits zu retten, kann man seitdem getrost als gescheitert ansehen. Keine Ahnung, ob Konfuzius das auch schon gesagt hat, aber bei uns im Ruhrgebiet gibt es eine alte Redensart, die da lautet: Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Nicht ganz so epochal wie die Terrakotta-Krieger ist der Umstand, dass wir heute einen neuen Verbrauchsrekord aufgestellt haben. Bisher war Mercedes-Ingenieur Adrian Wieser mit seinen in Arizona herausgefahrenen 0,87 Kilogramm der Ranglisten-Erste, wir liefen am 44. Tag mit 0,86 Kilogramm bei der Mittagstankstelle ein.