Es klang nach einem Hauch Abenteuer: Verschwörerisch kam Mercedes-Mann Wolfram Fleck am Vorabend daher und meinte: „Kannst du morgen den Konvoi anführen? Wir müssen über 1.500 Höhenmeter überwinden und ich will sichergehen, dass alle Autos das Refueling erreichen.“ Der 45. Tag ist sozusagen das Alpe d’Huez des World Drive, die erste Etappe mit Bergankunft der höchsten Kategorie. Wie bei der Tour de France haben die Ingenieure ein Höhenprofil der Route angefertigt.
Voll bepackt mit tollen Sachen
Noch spannender wird der Tag, weil er der längste überhaupt ist. Von Xi’an nach Lanzhou in der Provinz Gansu sind es 653 Kilometer. Erstmalig ist der zweite Tankpunkt nicht beim Etappenende, sondern 100 Kilometer vorher eingeplant, damit bei der Kletterpartie keine Brennstoffzelle den Hungerast kriegt.
Xi’an ist der östliche Startort der legendären Seidenstraße, und wie die Handelskarawanen des frühen Mittelalters reisen wir nach Westen, schwer beladen mit großen Schätzen wie industriell gefertigten Minikopien der Terrakotta-Krieger, handgeschneiderten Maßanzügen, chemisch behandelten Köstlichkeiten aus der Plastiktüte und allerlei weiterem bunten Tand, mit dem sich die Daheimgebliebenen hoffentlich angemessen beeindrucken lassen.
Plattfuß und 100 Kilometer-Baustelle
Wieder mal hätte es um 6:30 Uhr losgehen sollen, aber heute will das Auto nicht. Wie schon in Australien erscheint das rote Warndreieck im Display und befiehlt sofortiges Abschalten des Antriebs. Auch die Ursache ist die gleiche: Egal, ob es Standlicht oder Navi-Geräte waren, irgendetwas hat die Batterie leergesaugt, und bei Unterspannung gibt es Masteralarm. Anspringen und Fahren kann unsere B-Klasse trotzdem, also alles klar zum Aufbruch. Der dauert gerade zehn Sekunden. Irgendein schleifendes Geräusch kommt von hinten. Wieder muss ein Techniker kommen. „Ist nur die Bremse vom langen Stehen. Sollte gleich verschwinden“, sagt er. Na hoffentlich. Wir haben nämlich trotz 280 Kilometern (mit angeblich über 100 davon steil bergauf) nur 3,4 Kilogramm Wasserstoff an Bord, sonst sind es mindestens 3,7 Kilo.
So rollt also Auto Nummer eins verhalten vom Hotelparkplatz auf die große Ausfallstraße nach Westen, nur um fünf Minuten später von Wagen zwei gestoppt zu werden. Der wirkliche Konvoi-Chef Bernd Löper geht längseits. „Wir haben Druckverlust im Reifen, ich drehe um.“ Ein Sechser-Imbussschlüssel hat sich in die Lauffläche gebohrt. Es ist schon Loepers dritter Reifenschaden in China, während alle anderen B-Klassen verschont blieben. „Ich sammle alles auf“, sagt er grinsend, und wir sind dankbar, dass sich einer opfert.
Wer geglaubt hat, dass es nun endlich vorwärts geht, hat sich getäuscht. Nach kurzer Zeit fordert das Schild vor einer Baustelle Tempo 60. Das kann man trotz gähnend leerer Piste und angemessener Breite ja mal für ein Weilchen akzeptieren, aber dies ist die längste Baustelle meines Lebens mit über 100 Kilometern. Mit 80 bummeln wir schließlich endlos dahin, als die Strecke endlich wieder frei ist und 120 km/h erlaubt sind, zuckelt der Stier weiter mit 90 Sachen über die rechte Spur. Es hilft nichts, wir müssen Sprit sparen für den langen Aufstieg.
Pleiten, Pech und Pannen
Nach 200 Kilometern Autobahn kommt die Abfahrt auf die Landstraße, die sich schön kurvig durch ein langes Flusstal bergauf zieht. Die Gegend ist wie eine Mischung aus Rheintal und Gotthard. Immer wieder unterqueren wir eine nagelneue Bahnstrecke und die Autobahn mit zahlreichen nagelneuen Tunneln. Nur steil bergauf geht es nirgendwo.
Dennoch ist weiter Schleichfahrt angesagt. Das schöne Tal inspiriert die Kamera-Crew, die mit 60 vor uns herrollt. Als die Kollegen endlich genug Bilder im Kasten haben, ist der Fotograf dran, der – aus dem Schiebedach schießend – ebenfalls in Zeitlupe durchs Tal kriecht. Wann soll jetzt bitte der fürchterliche Anstieg kommen?
Er kommt nicht. Wir erreichen den Tankstopp, ohne dass wir überhaupt auf Reserve sind. Der Verbrauch ist mit 0,93 Kilogramm ziemlich überragend. Es gibt weitere Verzögerungen. Wegen einer Umleitung kommt der Tanklastzug erst kurz nach uns an, beim Aufbauen der Tankstelle macht ein Ventil schlapp, das erst ersetzt werden muss. Erst nach einer halben Stunde kann das Tanken beginnen. Während Wagen zwei wieder reichlich Druck auf den Rädern hat, muss nun an einem der Service-Trucks ein platter Reifen ersetzt werden.
F-Cell Drive steht mal wieder im Stau
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die große Kletterpartie erst am Nachmittag ansteht. Doch schon kurz nach dem Tanken ist wieder Geduld gefragt. Vor einer Mautstelle staut es sich auf drei Kilometern. Beidseits der Straße türmen sich auf dem Lößboden endlose Terrassenfelder aufeinander, die Täler sind tief eingeschnittene Canyons, verwittert von Regenbächen und Wind von Jahrtausenden. Es ist dieser Boden, der dem berühmten Gelben Fluss seine Farbe gibt.
Wir stehen schon wieder im Stau. Ein Polizeiwagen hat eine zweite Spur aufgemacht, wir sind ihm bis zur Blockade gefolgt, an der wir nun mitten auf der Straße parken, während die Lastwagen des Gegenverkehrs im Zwanzig-Zentimeter-Abstand an uns vorbeizirkeln
Sandsturm in der Wüste Gobi
Wir sind in der Mitte des Reiches der Mitte. Die Provinz Gansu zählt zwar in Punkto Bodenschätze mit ihren Mineralien und den so begehrten Seltenen Erden, eine Reihe von Metallen wie Gallium, Indium oder Neodym, die vom Flachbildschirm über Solarzellen bis zu Elektromotoren schwer gefragt sind, zu den reichsten des Planeten, ansonsten aber ist Gansu eine der ärmsten Gegenden Chinas und vergleichsweise dünn besiedelt. Dementsprechend dünn ist das Straßennetz, und so quälen sich alle schwer bepackten Lastwagen auf den wenigen Routen durchs Gebirge.
Der Rohstoff, von dem es heute am reichlichsten gibt, ist Sand. Die Landschaft könnte grandiose Bilder hergeben, aber heute sind alle mit einem beigegrauen Schleier verhangen. Die Sicht ist trübe. Wer aussteigt, reibt sich nach wenigen Minuten die Augen. Jemand hat herausgefunden, dass ein Sandsturm in der Wüste Gobi für den Staub in der Luft verantwortlich ist. Viele Menschen auf der Straße tragen Schutzmasken oder haben sich verhüllt. Das liegt allerdings nicht nur am Sand, sondern auch daran, dass es in diesem Teil Chinas viele Muslime gibt. Hier ist der Einfluss aus dem Westen der Seidenstraße zu spüren, nur dass wir heute irgendwie nicht nach Westen kommen.
F-Cell Drive oder ein Tag hart am Limit
Die Straße ist mittlerweile auf über 2.300 Meter geklettert. Vor uns hängt die Abendsonne so kraftlos am Himmel wie eine 30-Watt-Energiesparbirne. Es scheint, als könnte der Sand bis ins All reichen und den strahlenden Stern stumpf und matt schmirgeln. Es weht ein strammer Wind von vorn, aber das erhöht den Verbrauch nicht, wenn man schon wieder stillsteht und von Autos eingekeilt ist.
Als wir endlich bei hereinbrechender Dunkelheit nach über 13 Stunden in Lanzhou einrollen, wirken die bunten Lichter der Dreimillionenstadt schrill und unwirklich. Als wir auf dem Hotelparkplatz die Zündschlüssel abziehen, spricht einer aus, was alle denken: „Das war heute echt grenzwertig.“