Als sich die Bilder vom inneren Auge vors sehende drehen, wächst Bewunderung zu Ehrfurcht heran. Mit so einem Apparat über den Norisring prügeln, über die Nordschleife, oder auch schön schaurig: Spa Francorchamps! Im Pulk Eau Rouge hoch, treibgejagt die Fuchsröhre runter, twistend durchs Schöller-S; um dich herum Buben wie Quester, Ludwig oder Stommelen, ansonsten nur ein bisschen Blech und ein daumendürrer Quasi-Käfig, der vielleicht den Anforderungen des Reglements genügte, aber sicherlich nicht jenen der Sicherheit. In Summe: Un! Vor! Stell! Bar! Erst recht in diesen Tagen, in denen Rennwagen bessere Computerspielzeuge und die Helden der Königsklasse ziemliche Prinzessinnen sind.
Sie ahnen, worauf das rausläuft. Jawollja: Früher war alles besser, blablabla. Okay, die Phrase ist mindestens so alt wie die Tage, die sie zu verklären versucht. Allerdings bewahrheitet sie sich dann doch immer wieder aufs Neue. Zum Beispiel dadurch, dass sich ein so altehrwürdiger Gruppe-2-Champion heutzutage nur noch auf dem Ostzipfel des Hockenheimrings austoben darf, in dem Bereich, der in den Autobahnwald hinausragt – der Lärmrestriktionen wegen! Stimmt, das hier ist eine Rennstrecke. Aber die Tage, an denen sie ihrer eigentlichen Bestimmung frönen darf, werden inzwischen in Dezibel gezählt. Weil? Na ja, weil die vielen Häuslebauer rings ums Motodrom Motorenlärm so gar nicht mögen. Und weil die Tatsache, dass sie das ja vor dem Zuzug hätten wissen können, nichts daran ändert, dass ihren Wehklagen stattgegeben wird.
Der Kleine Kurs reloaded
Sei’s drum: Unserer Geschichtsrunde bleiben immerhin die stattliche Parabolika, die Haarnadel, ein sauschneller Knick, das technische Links-rechts-Gezacke sowie nicht zu vergessen unsere selbst gebastelte Querspange über den Rettungsweg. Und: Es bleibt der Trost, dass die Akustik heute eh keine Grenzen kennt – beziehungsweise alle sprengt: Als der Renn- Capri mit zwei kurzen Hüstlern erwacht, bronchiales Standgasgebrüll und das Sprotzeln der Fehlzündungen durch die Sidepipe feuert, scheint es das gesamte Umland durchzuschütteln. Von vier Kiesbettpflegern erleiden drei nach eigener Aussage fast einen Herzkasper; ein Schwarm Krähen wird von der Schalldruckwelle derart unters Dach der Mercedes-Tribüne gesprengt, dass Federn fliegen; die Wasseroberflächen der umliegenden Pfützen beginnen allen Ernstes zu vibrieren, während sie drüben in den Doppelhäusern wahrscheinlich Zeter und Mordio schreien.
Dabei war das, sehr verehrte Nachbarn, erst das Aufwärmprogramm. Mit speziellen Zündkerzen und Gaszugzupfern aus dem Handgelenk bringt Wolfgang Laufer, Ford-Classic-Car-Nestor und Ex-Werksteam-Mitglied, den V6 auf Betriebstemperatur. Fast zwanzig Minuten dauert die Prozedur, dann werden die hitzefesten Rennkerzen reingedreht, und das Prachtstück ist im Vollbesitz sämtlicher Kräfte. "Schön auf Dre%!&6?&…!" WIE WAR DAS? "&%6&zahl halten!"
Wie auch immer: Ran an die Buletten, rein in das dämpfige Kabuff, festgurten und rasch noch mal umgeguckt: Instrumente, Starttaste, Unter- brecher, aha, aha, aha. Kühlwasserleitungen?! Quer durch den Innenraum?! Öha! Sind die noch ganz dicht?
Sieht so aus. Also drauflos. Zwei Gastapser wirbeln die Krähen wieder auf, dann sachte runter von der harten Kupp… Wo war der Startknopf gleich? Also noch mal anfeuern, noch mal Rabammel, wieder Rabumm.
Um es abzukürzen: Irgendwann ist das Schleifpünktchen zwischen Bodenblech und erneuter Blamage getroffen, und der Renn-Capri rattert raus auf die Strecke. Untenrum wird die Kraftentfaltung von den scharfen Nocken übel durchgerüttelt. Rennauto halt. Ab 4.000 kommt die Höllenmaschinerie dann aber langsam zu sich, in Fahrt und schließlich immer schneller, immer höher, immer weiter aus sich häääääääärrrrrrraaaaauuuus.
Drüben im Capri RS 2600 versteht man spätestens jetzt seinen eigenen Ford nicht mehr. Das teddybärige Grummeln, das Tickern des Ventiltriebs, das Hochdrehraunen – alles weggeblasen vom Akustiktornado nebenan! Dabei geht der V6 unter normalen Umständen direkt ins Ohr. Mitten ins Herz vielleicht sogar. Und auf jeden Fall: in die Geschichte ein – als jene Motorisierung, die der Idee vom Capri zu voller Ehre gereichte.
Der Plan ging so: Das viersitzige Coupé, das dank eines bestimmten Mitsubishi nicht wie geplant als Colt vertrieben wurde, sollte den Erfolg des Mustang ins Europäische übersetzen. Die Anlagen waren gut: attraktives Styling, gepaart mit grundsolider Taunus-Technik, dazu Fahrwerksanleihen vom ruhmreichen Cortina. Nur konnten einige Motoren das Potenzial zunächst nicht ausschöpfen. Der Basis-V4 häkelte sich mit 50 PS auf eine schüttere Höchstgeschwindigkeit von 133 km/h, die stärkeren Vierzylinder rackerten sich an Strich-Achtern ab. Erst die Sechszylinder mit Haubenbuckel brachten die Pony-Car-Assoziation so halbwegs auf Trab.
Doch dann knöpfte sich die Motorsportabteilung den Capri vor, und siehe da – auf einmal ging die Sportlichkeit so richtig in die Tiefe. Die Stahlfelgen mit ihren bräsigen Chrom-Radkappen wurden durch neumodische Aluräder ersetzt, das Fahrwerk erhielt Bilstein-Gasdruckstoßdämpfer, verkürzte Federn vorne und Einblattfedern mit Distanzstücken hinten, wodurch die Karosserie um rund 50 Millimeter tiefer lag.
Unter der schwarzen Haube: die von vorn bis hinten durchgetunte Endstufe des bekannten 125-PS-V6, der es mit Fächerkrümmern, einer mechanischen Kugelfischer-Einspritzung, verlängertem Hub und Weslake-Ansaugbrücke auf 2.637 Kubik und zwei bis drei, manche sagen auf vier Dutzend zusätzliche PS brachte. Wie viel es genau waren? Nun, zugunsten einer günstigen Versicherungsklassifizierung gab man offiziell deren 150 an, tatsächlich waren aber wohl rund 170 am Werk.
So oder so: Es gab die Leistung von fünf Käfern zum Preis von zwei – plus: den Gesprächsstoff, aus dem Träume nun mal sind. So berichtete der Boulevard seinerzeit von einem nächtlichen Privatrennen durch den Pariser Bois de Boulogne, bei dem Ford-Werkspilot François Mazet Onassis-Söhnchen Alexander im 911 S versägt haben soll. Mit? Eben mit einem RS 2600, was der Assoziation vom springenden Pferdchen endgültig Flügel verlieh. Selbst heute, selbst im Beisein seiner ultimativen Eskalationsstufe, lässt sich spüren, welch rattenscharfes Gerät dieser Capri damals war.
Wissen Sie: Viele dieser vermeintlichen Jugendhelden entpuppen sich im Nachhinein ja schnell als trübe Tassen, manche gehören rückwirkend sogar an die Kinderzimmerwand verwiesen. Der Capri jedoch enttäuscht nicht. Er fährt, wie man sich ihn ausmalt, was aber auch damit zusammenhängen mag, dass er nie das typische Postermotiv gewesen ist, keiner, der überm Bettchen pappte, dafür später als ganzer Stolz im Familienalbum.
Sicher, der Zwo-Sechser wirkt im Ansatz etwas schnodderig, die Schaltwege ziehen sich hin, auch baumelt das Fahrwerk erst mal recht lose an dem salatgeschüsselten Lenkrad. Wenn man die 1.050 Kilo aber reintreibt in ihre RS-Substanz, die Drehzahlbänder bis in die kernigen Bereiche dehnt und die 224 Nm das Heck anstacheln, dann, ja dann spreizt sich ein erstaunlich breites Grinsen ins Gesicht.
Mehr noch: Mit motorsporthistorischer Vorbildung und etwas Fantasie finden sich sogar Parallelen zum werksfarbig lackierten Kompagnon dieses Wagens. Vielleicht kennen Sie die Bilder, auf denen sich die Renn-Capri regelrecht in Kurven knien: das Heck geduckt, das entlastete Vorderrad gelupft. Ganz so weit lässt sich die Straßenversion zwar nicht treiben, die Grundzüge dieses Fahr-Verhaltensmusters drücken aber durch. Auch der 2600er fährt aus der Hocke, auch ihm ziehen Querkraft und Schub die Nase hoch, auch er zäumt seine Dynamik von hinten auf.
Steif, aber verblüffend agil
Im Rennauto bläst dann aber doch ein anderer Wind. Ein Gasstoß, und sämtliche Parallelen zur zivilen Welt werden durch den Reißwolf gedreht. Das scharfe V6-Gedonner erschüttert die Karosse bis ins Mark, bei Lastwechseln erbebt das Bodenblech. Ein banger Blick in Richtung der Kühlwasserkanalisation: Die Schraubschellen halten, gut so. Temperatur? Voll im Soll, also her mit dem Ring, na ja, mit dem Kringel. Das ZF-Fünfganggetriebe rastet metallisch. Klonk, zing, klong. Dann knallt die nächste Welle rein, und der Capri presst sich in die Parabolika. Die Dunlop-Slicks haben ihre besten Tage hinter sich, der Motor jedoch sprüht vor Einsatzfreude – wobei das Wort "sprühen" die Art und Weise seiner Entfaltung maximal verharmlost.
Ausgangspunkt des Wahnsinns ist der bürgerliche Essex-V6, der für die Einsätze in den Tourenwagen-Championaten komplett auf links gedreht wurde. Federführend dabei: die Gentlemen Costin und Duckworth, besser bekannt unter ihrem gemischten Doppelnamen: Cosworth.
Unter ihrer Ägide flogen Vergaser und Stoßstangensteuerung hochkant raus. Stattdessen verpasste man dem Grauguss-Block Leichtmetall-Zylinderköpfe mit vier obenliegenden Nockenwellen, Einspritzanlage, elektrische Zündung, verstärkte Lager und Trockensumpfschmierung. Das Ende vom Lied: 3,4 Liter Hubraum, Drehzahlen bis 9.000, 415 PS – bei fahrfertigen 1.040 Kilogramm.
Um die Balance zu optimieren, wurde das Aggregat, so gut es ging, nach hinten versetzt, die Kühler zogen in den Kofferraum. Laut Laufer steckt der beste Gag aber in der hinteren Radaufhängung. Es blieb zwar bei einer konventionellen Starrachse, was für die Stabilität unter Last gar nicht das Schlechteste ist. Nur mit Blattfedern, da war Mitte der 70er-Jahre nichts mehr zu reißen. Problem: Das Reglement schrieb Serienteile vor. Was es nicht vorschrieb: dass die auch eine Funktion erfüllen mussten. Also ersetzte man sie kurzerhand durch Kunststoffattrappen und montierte Schraubenfedern für besseren Fahrbahnkontakt.
Tatsächlich ist das Handling nicht halb so furchteinflößend wie die Soundkulisse. Die Einlenkkräfte sind aufgrund der breiten Vorderräder zwar gigantisch, ist der Vorbau aber einmal ins Eck gezerrt, fließt die Anspannung aus den Oberarmen direkt in die Achsschenkel, und man bekommt ein Gefühl dafür, wie es wohl war damals in Eau Rouge, in der Fuchsröhre, im Schöller-S. Und: wie dieser Ford 1974 den EM-Titel holte. Die erzrivalisierenden CSL-BMW waren zwar aerodynamisch überlegen, aber der Capri war leicht, beweglich, stabil. Und was heißt hier "war"? Ist!
Statt sich gegen Befehle zu sträuben, wie man es der breitspurigen Statur vielleicht unterstellen würde, hakt er satt in ihnen ein, folgt, packt, um sich mit seiner schockstarren Kinematik ins Eck zu stemmen. Jetzt bloß nicht einknicken, Kurs und Drehzahl halten, dann härter ans Gas. Kurz warten, bis die Vortriebsfräse – na, na – eingerastet ist, voll durchziehen und die Neubausiedlung noch mal ordentlich zusammenplärren.
Zickereien? Quersteher? Keinerlei. Wobei mit etwas Abstand auch nicht mehr zweifelsfrei zu klären ist, was am Ende größer war: der mechanische Grip oder die Ehrfurcht.