Oben dann auf der Passhöhe, wo die letzten Strahlen eines Spätsommertages das Wasser des Laghetto Moesola bronze färben, verlieren wir das Ziel endlich aus den Augen, und die Fahrt wandelt sich zu einer Reise. Es kam etwas aus der Mode, das Reisen. Viele halten es selbst in einem Auto gar für dieses Abwarten auf Ankommen, wie man es in einem Zug oder Flugzeug erträgt.
Beim Reisen aber geht es gar nicht so sehr um den Endpunkt, sondern um das Erleben im Unterwegssein. Und unterwegs sind wir schon ein Weilchen an diesem Tag, der mit einem großen Bahnhof für den Jaguar begann. Nämlich dem in München, wo zehn I-Pace als Taxis herumsummen, von denen uns eins zu unserem Reisewagen chauffiert. Der hat den 90 kWh großen Akku voll geladen und den Innenraum vortemperiert. Wir steigen auf die sacht erhaben positionierten, windsorlederbezogenen Sitze, schließen die Türen. Startknopf drücken, das Infotainment fährt hoch, und gleich zeigt das Navi den Aktionsradius des I-Pace. Der reicht bis tief in die Schweiz. „D“ drücken, Fuß von der Bremse, dann surrt der I-Pace leise voran.
Ein bisserl nach Monaco verfranzen
München heißt auf Italienisch ja Monaco, was manche für keinen Grund halten mögen, der sich aufdrängt, um die 900 km von hier nach dort zu fahren. Doch es gab geringere Anlässe für durchaus größere Abenteuer, denken wir uns, als der I-Pace leise zur Autobahn stromert. Ist die stärkere der beiden Rekuperationsstufen aktiviert, verzögert der Jaguar beim Gaswegnehmen mit 4 m/s².
Das reicht mit etwas Vorausschau, um fast ohne die normalen Bremsen auszukommen. Überhaupt wandelt sich der Fahrstil im I-Pace. Mit der Wucht seiner 696 Nm kann er Sportwagen einschüchtern. Doch stacheln die Reserven selten an, sie sorgen stattdessen für eine Gelassenheit, wie sie nur durch die Kraft aus der Ruhe entstehen kann.
Der Wind fächelt leise über die Karosserie, dazu das sachte Sirren der beiden E-Motoren – mehr dringt kaum ins herrschaftlich eingerichtete Cockpit. Eilig, still und leise strömt der Jaguar nach Süden. Als wir für eine Autobahnvignette halten, steht dort auch eine verführerische 50-kW-Ladestation. Wir stecken den I-Pace an und holen unser E-Faltrad aus dem großen Kofferraum. Damit kurbeln wir das kurze Stück zum Bodensee – dahin könnte uns auch das Infotainment mit Last-Mile-Funktion navigieren. Am Ufer schauen wir den Schiffen nach und die Berge empor. Wie schön es ist, einfach mal ein Stündchen zu verbummeln. Bis wir zurückgeradelt sind, ist der I-Pace aufgeladen für die Etappe über die Berge.
Denn wer auf die andere Seite der Alpen reisen will, sollte auch über die Alpen fahren. Dieses ganze Drunterdurchtunneln beschleunigt ja nur das Ankommen, beschert einem aber eben nie dieses stolze Gefühl, einen Gipfel erklommen zu haben.
So sind wir ziemlich allein beim Stürmen des San Bernardino. Dabei passt alles: der Asphalt grob, der Himmel dramatisch, als die frühen Schatten den Berg hinaufziehen und die Sonne sich langsam senkt. Die 100 km lange Streckenführung legte der Straßenbauer Giulio Pocobelli übrigens im Jahr 1817 fest, als er die Route in ein paar Tagen komplett abwanderte. Der I-Pace fegt die steile Rampe hinauf zur ersten Kurve, stemmt sich hinaus – ansatzlos, gripgewaltig und mit einer Beschleunigungsmacht, die dich selbst dann noch ein wenig aufwühlt, wenn du schon weißt, was dich dabei erwartet. Jetzt nur nicht übertreiben, denkst du dir. Und lässt dich dann doch wieder mitreißen von der Wucht.
Runter kommen sie alle
Oben auf der Passhöhe bei 2.067 Metern merken wir, dass wir da bergauf doch etwas an der Reichweite gewildert haben. Aber bergab holt sich der I-Pace eine so große Menge durch Rekuperieren zurück, dass wir bis tief nach Italien und locker bis zum Hotel kommen, an dem der Jaguar über Nacht aufladen kann.
Früh am Morgen schleicht sich der I-Pace vom Hof, so leise, dass man lediglich das Knirschen des Kieses unter seinen 22-Zoll-Rädern hört. Ein kurzes Stück Landstraße, dann reckt sich der Jaguar die Autostrada nach Süden. Wir nehmen nicht den gewöhnlichen Weg über die Autobahn, sondern biegen nach zwei Stunden bei Savona ab – eine Idee des Navis, das da eine Schnellladesäule kennt. Die wäre noch lange nicht nötig, aber direkt daneben ist ein Café. Also stöpseln wir den I-Pace an und machen eine kleine Pause – es dauert nur 15 Minuten, bis der Akku wieder genug Energie für 100 Kilometer Strecke gebunkert hat. Wir bleiben aber ein wenig länger, weil es so einen Cappuccino wie hier eben nur hier gibt. Also vielleicht noch einen dritten? Na, der Akku reicht schon lange bis Monaco, meldet der Wagen per App aufs Telefon.
Also weiter, immer die Küste entlang über die Via Aurelia, die sich mal an steilen Klippen entlanghangelt, an die tief unten die Wellen schlagen. Mal führt sie vorbei an leeren Stränden, mal durch aufgetakelte Touristenorte. Jetzt noch ein Stück über die Autobahn, die mit geschwungenen Kurven und vielen Tunnel über Berg und Tal nach Frankreich führt. Der I-Pace strömt so schön dahin, dass wir fast die Abfahrt nach Monaco verpassen. Wir fahren hinunter in die Stadt der Schönen, der Reichen und der ganz schön Reichen, nur um gleich mit ihnen im Stau zu stehen. Aber eine Runde über den Kurs muss sein: Nach der St. Devote hoch zur Massenet, am Casino vorbei und dann runter zur Mirabeau und der Haarnadel, die für uns immer Loews-Kurve heißen wird. Ein sacht erblasster historischer Jaguar-Schriftzug steht links an der Mauer, weist bergauf. Ein Zeichen? Ein Zeichen! Und da der I-Pace noch Akkureserven hat und das mit den Bergen so gut kann, fahren wir hoch nach La Turbie. Dort, wo es einsam und karg ist und wir auf Monaco blicken können, steigen wir aus. Unten dümpeln die Jachten im Meer, der Wind treibt die Wolken den Berg hinaus. Und unser Unterwegssein findet sein Ziel.