Lamborghini Huracán Performante zu Besuch in Imola

Unterwegs mit dem Lamborghini Huracán Performante
Besuch in Imola, die Strecke des GP von San Marino

Wie sieht es wohl in dem Zwergstaat aus, der 25 Jahre lang die Patenschaft für das Formel-1-Rennen in Imola übernahm? Und wie fühlen sich schnelle Runden auf der Traditionsstrecke an? Der Lamborghini Huracán Performante hilft, Antworten zu finden.

Lamborghini Huracan Performante Front
Foto: Achim Hartmann

Luca und Michele bleiben an der Grenze zurück. Sie hätten geladene Waffen dabei, das sehe man hier nicht so gerne, sagen sie. Und: „Wir warten hier auf euch.“ Dabei lächeln sie so, dass ihre Autorität sogar ihre vollverspiegelten Sonnenbrillen durchdringt. Na gut. Wir wollten ja hierher, Luca und Michele brauchen wir nicht. Die 33.210 Einwohner von San Marino gelten im Allgemeinen als friedlich. Geschäftstüchtig gar, wenngleich hier jetzt nicht eine Diskussion am Streichholz mit dem Aufdruck „Steueroase“ entflammen soll. Jedenfalls kommt auf 6,4 Bürger ein Gewerbe, in Deutschland nur auf 22,3.

Unsere Highlights
Lamborghini Huracan Performante Heck
Achim Hartmann
San Marino ist die älteste bestehende Republik und seit 366 n. Chr. unabhängig.

Wer eine Marktlücke schließen will, muss irgendwas mit Batterien und Akkus machen, denn der offizielle Quartalsbericht der Republik listet in dieser Branche noch keine Eintragung. Werkstätten indes existieren in ausreichendem Maße, Flughäfen ebenfalls, nun ja, einer eben – und der steht im italienischen Rimini. So gesehen zählt die Rennstrecke von Imola per Tradition ebenfalls zum Inventar des Zwergstaates, obwohl in Imola selbst mehr als doppelt so viele Menschen leben wie in San Marino. Doch in dieser Rechtskehre in der Via Piana, bergauf, irgendwo bei 650 Metern über dem Meer, zerbröselt zunächst der von den alten Stadt- und Hausmauern zurückgeschmetterte Donner des V10-Triebwerkes diese Zahlen, dann der Ausblick in die Emilia-Romagna.

Pause für den Lamborghini Huracán Performante. Dabei gibt er sich wirklich Mühe, abseits einer Rennstrecke, für die der Mittelmotor-Sport- wagen eigentlich konzipiert wurde, seine Unterforderung zu kaschieren. Geringe Lenkkräfte und eine Rückfahrkamera erleichtern das Rangieren in der engen Altstadt; 2,24 Meter Breite (inklusive Spiegeln) und eine Sitzposition, die den Dachhimmel als Sonnenblende für das obere Sichtfeld nutzt, tun dies weniger. Dafür lässt sich der 640 PS starke Performante gerne bewundern – seinen heroisch aufragenden Heckflügel ebenso wie die geradezu tektonisch zerfurchte Heckpartie, ausgeführt in technoidem Kohlefaser-Verbundwerkstoff.

7.000, 8.000, 8.500 Umdrehungen

Immer wieder versammelt sich Publikum, Gabriele und Niccolò rennen auf den Lamborghini zu, stolpern, ihre Eltern hechten hinterher. Schüchtern bleiben die beiden drei- und fünfjährigen Jungs vor dem Sportwagen stehen. Na, kommt schon, einmal hinters ... schon klemmen beide im Schalensitz hinterm Lenkrad, und obwohl sie nicht wissen, was Ehrfurcht ist, hält die sie vom wilden Toben ab. Freude. Einfach so. Während die meisten Erwachsenen mit bedeutungsschwangerer Miene eigentlich immer nur auf den Heckflügel starren. Als ob sie um das Technikspektakel wüssten, das sich hier im Millisekundentakt wiederholen kann. Was vorwiegend bei Rennstreckengebrauch passiert.

Hier in Imola beispielsweise, wo der Huracán einen schnellen Links-Rechts-Haken durch die Kehren zwei und drei schlägt, dann mit seiner immensen Traktion ermutigt, am rechten Lenkradpaddel zu ziehen, in den Vierten hochzuschalten, dabei voll auf dem Gas zu bleiben und so den Linksknick der Variante Tamburello zu demütigen. Dabei befiehlt die Steuerelektronik, die Klappe vor dem fahrerseitigen Kanal im Heckflügel zu schließen, um den Luftstrom für maximalen Abtrieb auf dem kurveninneren Rad abzulenken.

Lamborghini Huracan Performante Cockpit
Achim Hartmann
Der Huracán ist ein Sportwagen der alten Schule mit drehfreudigem V10-Sauger.

Bei Volllast auf der folgenden Gerade in Richtung Variante Villeneuve sind alle Klappen geöffnet – auch die im Frontspoiler für minimalen Luftwiderstand. Doch du hörst nichts davon. Wie auch. Der mit 12,7 : 1 verdichtete Saugmotor hinter dir schreit gerade den Asphalt in eine neue Struktur, eskaliert über 7.000, 8.000, 8.500 Umdrehungen. Jetzt schnell am Schaltpaddel ziehen, einem kleinen, an der Lenksäule montierten Kunstwerk aus dem sogenannten Forged-Composite-Carbon.

Geschnittene Fasern rieseln in eine mit Harz gefüllte Form, Druck (3.300 Tonnen) und Hitze (200 Grad) sorgen für Endgültigkeit. Leichte Endgültigkeit, in fixem Takt hergestellt. Dauert nur rund 15 Minuten statt mehrerer Stunden. Am Lenkrad des Performante redest du aber meist nur über Sekunden. Bruchteile von Sekunden, in denen er dir zubrüllt, wieder voll aufs Gas zu steigen.

750 Prozent mehr Abtrieb

In der engen Links bergauf mit Namen Tosa zum Beispiel, denn im Corsa-Modus wollen Allradantrieb und Regelelektronik nur dein Bestes. Deine beste Rundenzeit. Rattern also durch einen Algorithmus, der die Ideallinie vergöttert. Im Sport-Modus hingegen lassen dich die Nullen und Einsen lieber die Lebendigkeit des Hecks spüren. Also hoch zur Kurve acht. Kuppe, Rechtsknick, blind, danach sofort Vollbremsung.

Alle Klappen in und vor dem Spoiler schließen. So generiert der Performante 750 Prozent mehr Abtrieb als ein Standard-Huracán. Einer davon fährt voraus. Mit Profi am Steuer und Semi-Slicks auf den Felgen. Er tändelt, fährt in der Piratella, der schnellen Doppel-Links bergab, einen weiten Bogen. Eineinhalb Fahrzeugbreiten weiter innen fahrend, fragst du dich, wo er denn hinwill. Unten, in der Acque Minerali, steckst du ihm schon wieder im Heck, glotzt in die vier Endrohre, denkst dir: Ach, zwei reichen völlig, so wie eben beim Performante.

Sparen zudem zehn Kilogramm Gewicht. Na ja, die komplett neue, staudruckreduzierte Abgasanlage eben. Das Wunder-Carbon schleift weitere 30 Kilogramm vom Huracán ab. Bleiben noch 1.382 kg, trocken – die der 5,2-Liter-Wahnsinnige hinter dir mit seinem digitalen Ansprechverhalten ungerührt über die Klippe der Bedeutungslosigkeit schubst.

Lamborghini Huracan Performante Dach
Achim Hartmann
Der V10 beschleunigt den 1.382 kg schweren Huracán Perfomante in 2,9 Sekunden auf Tempo 100.

Selbst Luca und Michele könnten ihn nicht davon abhalten, müssten tatenlos zusehen, wie er den Zweisitzer in 8,9 Sekunden beschleunigt. Wohin? Ach so. Von 0 auf 200 km/h, in 2,9 auf 100. Sagt Lamborghini. Fällt nicht schwer, das zu glauben. Blende also lieber die vier großen Zehen aus, balanciere mit dem Kleinsten den Performante gerade diesseits der Gleitreibung entlang, die Kurve 16 hinab. Bevor du den Lambo statt in die scharfe Links in ein paar weiße Laken einwickelst, die auf den Balkonen der Wohnhäuser hinter dem Kiesbett trocknen, muss mal wieder die Bremsanlage mit Carbon-Keramik-Scheiben ran, vorne 380 Millimeter Durchmesser, hinten 356. Gelegentlich springt dir das Bremspedal in der ABS-Regelung ein wenig entgegen, vielleicht passt die Adaption an die Reifen nicht ganz, vielleicht sind die aber auch schon aus ihrem Temperaturfenster gepurzelt.

Biestig lenkt er ein, in die erste Links, dann in die zweite, hinaus auf Start und Ziel. Dafür, dass der Fahrer eine Überlagerungslenkung, also mit variabler Lenkübersetzung, in die Hand gedrückt bekommt, krabbeln bemerkenswert viele Informationen über Lenkwinkel und Reibwert in die Fingerspitzen – nur nicht im ersten Augenblick.

Da spürst du zwar, wie der Sportwagen direkt auf den Lenkimpuls reagiert, was auch an den Fahrwerksmodifikationen mit dickeren Stabis, härteren Federn und steiferen Lenkerbuchsen liegt. Für den Bruchteil einer Sekunde vergisst die Lenkung jedoch, dir das auch mitzuteilen. Im weiteren Kurvenverlauf ist alles gut, und du freust dich, dass sie das endlich in den Griff bekommen bei Lamborghini. Nur als sich herausstellt, dass die Lenkung im Corsa-Modus ohnehin mit einem fixen Übersetzungsverhältnis arbeitet … ach, irgendwann lernen sie das auch noch.

Das Bild geraderücken

Selbst mit diesem kleinen Manko vertraust du dem Performante, nun, blind. Das Bild hängt schief, oder? Neuer Versuch: Der Performante ruft dir vor und in jeder Kurve zu: Trau dich mal was! Und du? Traust dich was, aber so was von. Einfach so. Wirst schneller, viel schneller, sogar sehr schnell. Der Huracán bleibt stabil, selbst als er in der Dreifach-Rechts

Lamborghini Huracan Performante Seite
Achim Hartmann
Auf der Rennstrecke ist der Perfomante zuhause.

an der Boxenmauer vorbeiteufelt, sich dabei der 250-km/h-Marke nähert. So stabil, bis es passiert. Bis die Frage auftaucht, wie das wohl so ist in San Marino, in jenem Staat, der sich Imola 25 Jahre lang für einen eigenen Formel-1-Grand-Prix lieh. Ob man dort, auf bis zu 725 Metern Höhe, wohl das Meer sehen kann? Ob es dort vielleicht ein Eis und einen Caffè gibt? Schließlich naht eh langsam die Pause. Also streunen wir los, nehmen ein paar kleine Umwege über noch kleinere Straßen, lassen den V10 durch Riolo Terme granteln, die Auspuffklappen geschlossen, natürlich. Dann über Brisighella und Predappio, San Vittore und Santarcangelo nach Rimini. Die Anziehungskraft des Meeres. Doch es ist nicht zu spät, jetzt nach San Marino abzubiegen.

Geladen, aber nicht entsichert

Luca und Michele sind immer in Sichtweite, erst an der Grenze bleiben sie zurück, denn sie tragen geladene Waffen. Sie sind unsere Eskorte. Weil Lamborghini den Performante nicht mit Erprobungskennzeichen verschandeln wollte. In der Enklave sind wir jedoch auf uns gestellt. Zunächst führt die Straße zweispurig hinauf zur Altstadt, zerfasert sich aber dort in immer kleinere Wege. Zu klein für den Lambo, zu klein jedoch auch für die meisten anderen. Vielleicht nicht für den Lancia Fulvia, der den Weg kreuzt, für den Maserati 222 schon eher. Aber Parkplätze, davon liegen genug herum. Für Touristen wie uns.

Also Pause für den V10 mit seinen bronzefarbenen Zylinderköpfen. Der Huracán muss keine Autogramme schreiben, das übernehmen die Fans, drehen ihre Handys um, drücken den Auslöser. Hoffentlich vergessen sie nicht, den Ausblick zu genießen. Den Ausblick auf die Hügel im Nordwesten, die teils schroff wie Kandiszuckerbrocken in der Gegend herumliegen, teils sanft geschwungen wie … na, da fällt Ihnen sicher ein passendes Bild ein.

Luca und Michele melden sich, fragen, wie lange wir noch brauchen. Die beiden sind freundlich, aber auch keine Menschen, die man lange warten lässt. Eis und Caffè fallen daher aus, dabei könnten wir die Bestellung schon zur Bar Guita hinüberbrüllen. Machen wir nicht. Denn Luca und Michele sind Polizisten.