Mercedes nutzt die IAA 2023 als öffentliche Kick-Off-Veranstaltung für seine neue MMA-Plattform (Mercedes Modular Architecture). Mit dem Concept CLA Class (siehe Video) deutet eine auf der MMA aufgebaute Studie nicht nur an, in welcher Gestalt das erste Serienauto daherkommen wird, welches diese neue Plattform nutzt. Sondern auch, was der Unterbau in technischer Hinsicht kann, wenn er mit reinen Elektroantrieben kombiniert wird. Mercedes-Vorstandsboss Ola Källenius verriet bei der Markenveranstaltung am Vorabend des Messeauftakts obendrein einiges mehr darüber, wie die MMA-Modellpolitik künftig aussehen wird.
Den Anfang macht der in München als Concept Car vorgestellte viertürige CLA mit coupéhafter Stufenheck-Karosserie, dessen Serienversion Ende 2024 vorgestellt wird und der 2025 auf den Markt kommen soll. Später sollen eine Shooting-Brake-Version sowie zwei SUV-Ableitungen folgen. Wie ein Teaserbild zeigt, dürften sich die Soft-Offroader in Optik und Charakter unterscheiden. Der eine SUV erhält offensichtlich ein eher praxisorientiertes, boxiges Design und schlüpft damit in die Rolle des bisherigen GLB beziehungsweise EQB. Die ganz hinten abgebildete Silhouette zeigt dagegen ein schnittiger gestaltetes Modell mit Schrägheck – und damit den GLA - respektive EQA-Nachfolger.
Aus sieben Baureihen werden vier
Damit ist endgültig klar: Aus aktuell sieben Kompakt-Baureihen werden nur noch vier. Die A-Klasse als Schrägheck- und Limousinen-Modell sowie die B-Klasse machen den Umzug auf die MMA-Plattform nicht mehr mit. "Wir wollten Komplexität reduzieren und uns fokussieren", sagt Mercedes-CTO Markus Schäfer im Interview bei auto motor und sport. Ein Modell müsse künftig auf der ganzen Welt funktionieren, was derzeit nicht bei allen Baureihen der Fall sei. Noch nicht ganz klar ist, welche Rolle der auch auf der IAA vorgestellte "Mini-G" in dieser Gemengelage spielen wird, die ebenfalls mit MMA-Genpool kommen soll. Deckt der künftige GLB diesen Part direkt mit ab oder handelt es sich hier um eine Extra-Baureihe? Dass Källenius bei der Münchner Veranstaltung eigens auf dieses Modell verwiesen hat, spricht für Letzteres.
Mercedes zufolge ist die MMA-Plattform ein zentraler Baustein innerhalb der Strategie, dass die eigene Neuwagenflotte ab 2039 CO₂-neutral fahren soll. Bis 2025 wollen die Schwaben demnach die Entwicklungsaufwendungen für Verbrennungsmotoren um 40, bis 2030 um 70 Prozent reduzieren. Das gesparte Geld benötigen die Entwickler für neue Elektroautos (BEV), deren kompakte Vertreter den MMA-Unterbau nutzen werden. Für Modelle inklusive und oberhalb der heutigen C-Klasse hatte Mercedes im Sommer 2021 drei neue, reine Elektro-Architekturen angekündigt, die parallel zur MMA eingeführt werden.
MMA ersetzt MFA II
2021 startete mit dem EQS das erste E-Auto auf der "electric first" entwickelten "Electric Vehicle Architecture" (EVA). Das gut fünf Meter lange viertürige Luxus-Coupé spielt, wie die Typbezeichnung vermuten lässt, im Segment der S-Klasse. Auf der EVA entstehen noch ein SUV im GLS- namens EQS SUV und eine etwas kleinere Limousine im E-Klasse-Format (EQE) sowie ein entsprechender zweiter SUV, der folgerichtig EQS SUV heißt. Außerdem kommen auf Basis von Verbrenner-Plattformen aus der MFA II (Modular Front Architecture) noch der EQA (ein elektrischer GLA) und der EQB (ein elektrischer GLB) hinzu. Aber EVA ist für Modelle ab dem Format der C-Klasse abwärts zu groß und zu teuer. EQA und EQB stehen auf einer Verbrenner-Plattform, nutzen damit die Vorteile des E-Antriebs nur bedingt und sind ungünstiger zu produzieren.
Mercedes entwickelt daher vor allem für Autos, die in der Verbrennerwelt auf der MFA II (Modular Front Architecture) stehen, also auch für die Nachfolger von EQA und EQB, die Mercedes Modular Architecture (MMA). Sie wird so etwas wie der Modulare Elektrobaukasten (MEB) von Volkswagen. Als Premium-Hersteller bringt Mercedes den E-Antrieb eher von oben nach unten in die Modellpalette, darum ergab die frühere Fertigstellung von EVA Sinn. Sie ist für Reichweiten von mehr als 700 Kilometern und für Leistungen bis 500 kW (680 PS) ausgelegt.
Mit 800 Volt, MB.OS und LFP-Akkus
Die MMA für Fahrzeuge bis C-Klasse-Format soll ebenfalls besonders große Reichweiten ermöglichen, aber dank 800-Volt-Architektur vor allem beim Schnellladen "Benchmark" sein, wie auch beim (Geräusch-)Komfort. Außerdem verspricht Mercedes, dass das digitale Erlebnis in MMA-Fahrzeugen "state of the art" ist. Hierfür hat der Hersteller mit "MB-OS" sogar ein hauseigenes Betriebssystem entwickelt, das im Concept CLA Class mit einem wassergekühlter Nvidia-Prozessor und einem fast über die gesamte Fahrzeugbreite verlaufenden MBUX-Superscreen kombiniert ist. Am wichtigsten dürfte aber für Mercedes sein, dass man mit äußerst wettbewerbsfähigen Kosten für den elektrischen Antriebsstrang rechnet.
Was schon zu vermuten war, hatte Ola Källenius bereits im Oktober 2021 in einem Interview und auch jetzt wieder im Rahmen der 2023er IAA betätigt: Für die MMA plant Mercedes neben klassischen Lithium-Ionen- auch Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP). Mercedes sieht die LFP-Batterien speziell für die Einstiegs-Segmente vor. Källenius setzt darauf, dass Kunden in günstigeren Modellen geringere Reichweiten akzeptieren. Damit liegt er auf einer Linie mit Tesla, wo im Model 3 nicht nur in China LFP-Akkus des chinesischen Batterie-Giganten CATL zum Einsatz kommen, sondern im Basismodell weltweit. CATL liefert auch an Mercedes, zum Beispiel die Lithium-Ionen-Batterie des EQS.
Technik wie beim Porsche Taycan
Akkus mit LFP-Zellchemie haben prinzipiell eine geringere Energiedichte als herkömmliche Li-NMC-Akkus, die Nickel, Mangan und Kobalt (in immer geringeren Mengen) als Kathodenmaterial verwenden. Durch besonders ausgefeiltes Packaging sind LFP-Akkus aber inzwischen oft auch in Bezug auf die Energiedichte konkurrenzfähig. Das Einspar-Potenzial gegenüber Li-NMC beziffern Experten auf 30 Prozent. Außerdem ist LFP sehr zyklenfest – das heißt, die Akkus halten länger – und weniger brandgefährlich. Das thermische Durchgehen, das Li-NMC-Akkus nach Beschädigungen teils nach Tagen noch in Brand geraten lässt, bleibt bei ihnen aus, selbst wenn die Zellen beispielsweise durchbohrt werden. Nachteilig bleibt, dass LFP-Akkus weniger gut mit tiefen Temperaturen zurechtkommen, was konstruktive Gegenmaßnahmen erfordert. Eine hervorragende Erklärung zu Akku-Technologien hören Sie in diesem Podcast:
Für den eigentlichen Antrieb spricht Mercedes allgemein von 800 Volt Spannung und permanent erregten Synchron-Maschinen mit Zwei-Gang-Getriebe – wie beim Porsche Taycan. Die IAA-Studie Concept CLA Class weist dieses Layout auf, womit klar sein dürfte, dass es auch im Serienauto zur Anwendung kommen wird. Zudem sollen die Motoren in Breite und Leistung skalierbar sein. Eher gegen den Branchentrend agiert Mercedes, indem der Hersteller die MMA zwar als "Electric first"-Plattform auslegt, sie aber im Bug auch Verbrennerantriebe aufnehmen kann. Und zwar nicht als Range Extender, sondern als "klassischer Hauptantrieb", wie Technikvorstand Schäfer im ams-Interview bestätigt. Die Verbrennervarianten der MMA-Modelle erreichen die Märkte allerdings später als die elektrischen Versionen.
Verbrenner-Kooperation mit Geely
Die dafür passenden Verbrennungsmotoren stammen aus der neuen Antriebs-Kooperation, die Daimler zusammen mit seinem chinesischen Anteilseigner Geely im Herbst 2020 gestartet hatte. Die Zusammenarbeit bringt modular auf- und quer eingebaute Vierzylinder-Motoren mit 48-Volt-System und elektrifiziertem Getriebe hervor. "Der Motor wurde komplett bei uns konstruiert", sagt Schäfer. Im Mercedes-Universum erhalten die Motoren wohl die Bezeichnung M252. Sie kommen aber auch bei den Geely-Tochtermarken Volvo sowie Lynk & Co. zum Einsatz kommen. Dank der Kooperation mit Geely erziele Mercedes laut Schäfer Skaleneffekte bei der Fertigung und beim Einkauf.
Was hochautomatisiertes Fahren angeht, ist im MMA-Kosmos anfangs "Level 2 auf nahezu allen Straßentypen" angesagt. Die neue Architektur ist aber von vornherein so konzipiert, dass sich die aufwendige Sensorik für Level 3 unterbringen lässt. Ob Mercedes den künftigen CLA und seine Ableger tatsächlich damit ausrüstet, ist jedoch fraglich: "Ist der Kunde in diesem Segment bereit, für Level 3 zu bezahlen?", fragt Schäfer. "Dann brauchen wir ein redundantes Bordnetz, eine redundante Bremse und Lenkung, Lidar-, Radar- und Kamerasysteme." Sollte es eine entsprechende Nachfrage geben, sei es jedoch kein Problem, die Technik in das Auto einzubauen.