Michael Vallentin hat an der RWTH Aachen studiert und dann bei Honda, Hyundai und Jaguar Land Rover gearbeitet. Jetzt ist er Cheftester bei Lotus. Er arbeitet in Deutschland und verrät uns im Interview alles zu seinem Job, modernen Herausforderungen bei der Entwicklung von Autos, seinem Lieblingsauto und seiner Einstellung zum autonomen Fahren.
Ich bin Cheftester – ich sorge dafür, dass die Tests, die gemacht werden müssen, tatsächlich in Raunheim gemacht werden. Ich bin aber auch für andere Länder zuständig, für alles außer Großbritannien und China. Wenn also irgendwo in Übersee Tests stattfinden, sorge ich auch dafür, dass die richtigen Autos und die richtigen Leute vor Ort sind.
Raunheim liegt nah am Flughafen Frankfurt. Das ist für einen asiatischen Hersteller vorteilhaft. Letztendlich sind ja alle großen asiatischen Autohersteller im Frankfurter Raum vertreten.
Wir nutzen verschiedene Teststrecken, haben aber keine eigene. Wir sind natürlich am Nürburgring im Industriepool, wir sind relativ oft auf dem Segula-Testgelände in Rodgau-Dudenhofen, wir sind auf dem Triwo-Testcenter in Pferdsfeld, was zirka 100 Kilometer von uns weg ist, aber wir sind auch in Finnland, Schweden und Spanien. Kürzlich war ich eine Woche in Nardo. Mit dem Eletre und dem Emeya sind wir inzwischen auch schon viel auf der Straße unterwegs. Bestimmte Sachen kann man nur auf dem Testgelände machen, für andere Sachen muss man aber auf die Straße.
Nach Nardo sind wir interessanterweise mit einem Emeya heruntergefahren. Der war noch voll getarnt. So konnten wir den Termin doppelt nutzen: Als Test auf öffentlichen Straßen und auf der Teststrecke ging es dann um Performance und Verbrauch.
Ja, Nardo ist dafür besonders gut geeignet. Viele andere Kreise sind zu klein. Und zum Beispiel im Tri-Oval von Boxberg kann man nicht die ganze Zeit Vollgas geben. Einer unserer Tests war tatsächlich, mit vollgeladener Batterie zu starten und dann Höchstgeschwindigkeit zu fahren, bis Schluss war.
Weit. Das ist ja nun schon das zweite Auto, was wir entwickeln und wir lernen natürlich dazu. Von daher waren wir zufrieden mit den Ergebnissen.
Bei Hyundai war ich in der Qualitätssicherung – da habe ich also etwas komplett anderes gemacht. Und die Qualität bei Hyundai ist inzwischen ja hervorragend – die ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich besser geworden. Aber in der Qualitätssicherung werden Sie halt immer nur mit Problemen konfrontiert – das macht dann irgendwann nicht mehr so viel Spaß. Dann bin ich zu Jaguar Land Rover und war technischer Manager für den I-Pace. Seitdem konzentriere ich mich voll auf Elektroautos. Das Wissen und die Erfahrung konnte ich dann bei Lotus einbringen.
Das ist schwer zu sagen. Bei Jaguar Land Rover hatte ich zu Anfang viel mit der Global-Organisation zu tun – das ist natürlich sehr britisch. Jetzt bei Lotus habe ich hier in Deutschland relativ wenig direkt mit den englischen Kollegen zu tun. Aber wir sind ein weltweit aufgestelltes Team, bei dem die Zusammenarbeit exzellent ist.
Hören denn auch Entscheider in China auf Sie?
Das ist überhaupt kein Problem: Wenn man Sachen mit Messergebnissen oder Videos begründen kann, also Ingenieurssprache spricht, dann hört man auf uns. Natürlich sagt trotzdem nicht jeder gleich "Freut mich, dass ich das ändern darf." Aber zumindest gibt es dann eine ernsthafte Diskussion. Und wenn dann erkannt wird, dass der Einwand wirklich Sinn ergibt, dann kommt es auch zu einer Änderung. Da sind Asiaten sehr schnell. Das ist anders als bei traditionellen Marken, wo dann erstmal gesagt wird "Schauen wir mal." Und nicht umsonst sitzen wir in Raunheim – wir wollen das geballte europäische Ingenieurswissen unserer Marke zur Verfügung stellen.
Da sind wir zirka 200 Ingenieure. Hinzu kommen beispielsweise noch die Mitarbeiter vom Einkauf und der Personalabteilung. Und wir sind ausschließlich für Lotus zuständig.
Natürlich haben wir jetzt 75 Jahre Lotus-Geschichte. Aber ganz ehrlich: Wenn ich jetzt sagen müsste, kaufe Dir ein neues altes Auto, dann wäre ich eher bei den deutschen Herstellern. Bis vor Kurzem hatte ich einen Porsche 914, weil das immer mein Kindheitstraum war. Das ist einfach mein persönlicher Geschmack. Für Fahrertrainings haben wir aber einige Lotus-Modelle in unserem Haus: eine Elise, einen Exige und einen Evora. Und es ist schon ein Genuss, einen Exige oder eine Elise zu fahren. Das ist halt Autofahren: Du hast das Auto, Du hast keine Helferlein – also fahr. Und genau den Fahrspaß transferieren wir auf unsere neuen Modelle.
Das Thema Leichtbau ist nie vorbei. Trotz der schweren Batterie machen wir die Autos so leicht wie möglich – zum Beispiel durch den Einsatz von viel Aluminium. Klar wird Leichtbau immer schwieriger – auch durch die Ausrüstung mit den ganzen elektronischen Helfern. Da gibt es auch keine Geheimlösung. Eine Lösung sind stärkere Motoren, aber das können Sie auch nicht ewig weiter treiben.
Die Software wird immer wichtiger – das ist ein komplexes Thema. Früher hat man zwar auch ein bisschen Software im Auto gehabt, aber das waren alles abgeschlossene Systeme. Man hatte eine Bremse mit ein bisschen Software und eine Lenkung mit ein bisschen Software und mittlerweile haben wir die ganzen Assistenzsysteme, die zusammenarbeiten müssen. Wenn man dann noch mit verschiedenen Zulieferern arbeitet, wird das alles nur noch komplexer. Also die Assistenzsysteme mit Bildverarbeitung, das ist schon Champions League.
Dazu habe ich nur eine ganz persönliche Meinung: Ich brauche das nicht. Ich bin Autofahrer und ich möchte das Auto auch selber fahren. Wenn nicht, dann bestelle ich mir ein Taxi. Es gibt allerdings viele Leute, die das für sehr wichtig halten – deshalb arbeiten da ja auch viele dran. Und das hat auch einen guten Grund: Es geht hauptsächlich darum, Unfälle zu vermeiden. Es geht nicht darum, dem Auto zu sagen: "Fahre mich von A nach B." Für eine verbesserte Unfallsicherheit sind solche Systeme wichtig.
Wir konnten ja auf dem Eletre aufbauen. Aber der Emeya ist schon ein deutlich anderes Auto – der ist wirklich ein Auto für den Fahrer. Das ist ja unser Leitsatz. Der Emeya geht somit wieder mehr Richtung der traditionellen Autos von Lotus. Wir haben eine hohe Antriebsleistung, eine hohe Bremsleistung und eine unglaubliche Ladeperformance. Da passt alles.
Im Moment konzentrieren wir uns mit dem Eletre und dem Emeya auf die Fahrzeuge, die wir vor Ort haben.
Wir haben natürlich unsere eigenen Vorstellungen, wer ein Vergleichsfahrzeug sein könnte – da gibt es vielleicht unterschiedliche Ansichten. Es gibt ja einen guten Grund, warum wir jetzt eine neue Produktfamilie mit dem Eletre und dem Emeya gründen. Wer da sonst noch mit uns in diesen Segmenten ist, interessiert uns nicht so sehr.
Nein, aber wir haben da ein paar im Blick.
Bei Lotus ging es immer ums Fahren – aber wenn Sie sich die Stückzahlen der typischen Lotus anschauen, davon kann halt keine Firma leben. Das ist ja mit ein Grund, warum wir uns jetzt für einen breiteren Kundenkreis öffnen. Und eine der technisch wichtigsten Sachen sind neue Batterie-Technologien. Alle warten seit Jahren auf die Feststoffbatterie. Und vielleicht zaubert jemand noch etwas anderes aus dem Ärmel, um die teilweise kritischen Themen zu lösen, wie beispielsweise das Gewinnen der Rohstoffe.