Alpine A110 S im Supertest: So schnell wie ein 996 Turbo

Alpine A110 S im Supertest
So schnell wie ein 996 Turbo

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Die 2017 wiederbelebte Leichtbau-Ikone Alpine fällt vermutlich bald Einsparungen im Mutterkonzern Renault zum Opfer. Der Supertest verrät, warum das ein Drama wäre!

Alpine A110 S, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

SUV, SUV-Coupé, Kompakt-SUV und mittlerweile sogar SUV-Cabrios – die als Crossover titulierten Zwittermodelle nehmen speziell im SUV-Segment immer obskurere Formen an. Die Kundschaft dafür scheint es zu geben, und so stopfen die Hersteller jede noch so kleine Lücke. Aus der Sicht von uns Sportfahrern natürlich im völlig falschen Segment.

Nur ein Feld scheinen alle einem kleinen französischen Hersteller zu überlassen: Kompakte und richtig leichte Sportwagen kommen nicht von Porsche, McLaren, Ferrari oder Lamborghini, sondern von Alpine. Grandiose 1.114 Kilo bringt die heutige Alpine A110 S auf die Waage – wohlgemerkt, mit vollem Tank.

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Klar, es gibt Kleinserien-Hersteller à la Radical, KTM oder BAC, die noch dem Leichtbau frönen und noch leichtere Kreationen auf die Straße bringen. Aber diese wenig alltagstauglichen Fahrspaß-Extremisten sind hier nicht gemeint, sondern ein vollwertiger, kleiner Sportwagen mit kompakten Abmessungen, respektablem Alltagskomfort (Gepäckraumvolumen insgesamt: 196 Liter) und trotzdem niedrigem Gewicht.

Es ist eigentlich völlig unverständlich, warum zum Beispiel Porsche in so eine Lücke nicht reinstößt. Ein kleiner, leichter Mittelmotor-Sportwagen aus Zuffenhausen respektive Weissach – das wäre es. Gibt’s doch schon mit der 718-Cayman-Baureihe, werden einige jetzt sagen. Mittelmotor? Ja. Kompakt und leicht? Nein, verglichen mit der Alpine A110 S.

1.114 Kilo: So geht Leichtbau!

Alpine A110 S, Leistungsmessung
Hans-Dieter Seufert
Absolutes Leichtgewicht: Das S-Modell ist genauso schwer wie das Basismodell A110.

Egal ob der jüngst im Supertest 5/2020 gefahrene 718 Cayman GT4 der aktuellen 982-Baureihe (1.449 kg), der Cayman S der 981c-Vorgängergeneration (Supertest 6/2013: 1.402 kg) oder der Porsche Cayman R der 987c-Baureihe (Supertest 10/2011: 1.385 kg) – einen richtig leichten Mittelmotorsportler findet man in keiner der bisher entstandenen Cayman-Baureihen. Eigentlich müsste es daher noch einen puristischen Zweisitzer unterhalb der Cayman-Baureihe nach Alpine-Vorbild geben.

Quiddelbacher Höhe, Volllast – statt mit 252 PS tritt die Alpine heute mit 292 PS an. Für die Leistungssteigerung gegenüber der A110-Basisvariante ist der um 0,4 bar höhere Ladedruck des Reihenvierzylinder-Turbos verantwortlich. Noch mehr als der bessere Durchzug und die höhere Beschleunigung (0–200 km/h: A110 in 17,8 s, A110 S in 16,3 s) fasziniert aufs Neue der Klang des 1,8-Liters. Dessen raue Rockstimme brennt direkt hinter den optionalen Carbon-Schalensitzen mit packendem Seitenhalt und angenehm tiefer Sitzposition ein emotionales Feuerwerk ab. Ja, Vierzylindermotoren können auch gut klingen.

Das schnell schaltende Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe von Getrag hilft zudem, dass die Leistung perfekt in Vortrieb umgemünzt wird. Runterschalten bestätigt die Alpine mit spaßigen Zwischengassalven. Nur die stehenden Schaltwippen hinter dem Lenkrad sind nicht der Weisheit letzter Schluss – zumindest im Grenzbereich auf der Nordschleife. Beim Herausbeschleunigen aus zahlreichen Ring-Kurven muss die rechte Hand vom Lenkrad genommen werden, da noch Lenkwinkel anliegt, wenn an der rechten Schaltwippe der nächsthöhere Gang angewählt werden muss.

Warum denn kein manuelles Schaltgetriebe? Da das Entwicklungsbudget bei Alpine vermutlich gerade einmal für die Entwicklung eines Porsche-Armaturenbretts reichen würde, mussten sich die Alpine-Ingenieure zwischen Handschalter und Doppelkuppler entscheiden. Ein "beides" stand aufgrund des Kostendrucks nicht zur Debatte. Und mal ganz ehrlich: So gut, wie das Siebengang-DKG seine Sache macht, vermisst man ein manuelles Getriebe beim Querdynamik-Spaß auf der Nordschleife nicht.

Alpine A110 S, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Die optionalen 18-Zoll-Fuchs-Schmiedefelgen sorgen für eine Gewichtsreduktion von fünf Kilo gegenüber der Serie. Exklusiv für die S-Version sind die orange lackierten Bremssättel.

Das Hauptfaszinationspotenzial bleibt bei der Alpine auch in der S-Ausprägung ihr geringes Gewicht. Mit den bereits erwähnten 1.114 Kilo ist der Zweisitzer mit Aluminium-Karosserie genauso schwer wie die Basisversion. Für den bewundernswerten Body-Mass-Index sorgen auch optionale Details. Neben den jeweils nur 13,1 Kilo leichten Carbon-Sitzen von Sabelt senkt das Dach aus Sichtcarbon die Pfunde. Die optionalen 18-Zoll-Fuchs-Schmiedefelgen sorgen für eine Gewichtsreduktion von fünf Kilo gegenüber der Serie.

292 PS: fühlen sich stärker an

Das Traumhafte an einem leichten Sportwagen: Hier braucht man keine extreme Motorleistung, oder anders: "Nur" 292 PS fühlen sich im französischen Mittelmotorsportler nach viel mehr Leistung an. Übrigens: Das letzte Mal, dass sich so wenig Motorleistung nach einem viel potenteren Triebwerk angefühlt hat, war im Porsche 964 Carrera RS, der den Supertest des Jubiläumshefts 10/2019 rockte. Ach ja: Mit 1.230 Kilo war der 964 RS der leichteste Porsche aller Zeiten im Supertest. Korrigiere: das leichteste Straßenmodell von Porsche. In Ausgabe 2/1999 verirrte sich der bis dato einzige reinrassige Rennwagen in den Supertest. Und dieser Porsche 996 GT3 Cup wog damals 1.207 Kilo.

Also klare Ansagen gen Weissach: Bevor vielleicht noch über ein weiteres Crossover-Modell à la Macan Cabrio nachgedacht wird, wäre ein echtes Porsche-Leichtgewicht sicherlich der Traum so mancher Sportfahrer. Vor allem fahrwerksseitig wäre es interessant zu sehen, was die Weissacher mit ihrer jahrelangen Expertise und Nordschleifen-Erprobungskompetenz aus so einem Alpine-Konzept noch rausholen könnten.

Mehr mechanischer Grip

Alpine A110 S, NŸrburgring
Hans-Dieter Seufert
Die S-Version tritt mit einem ausbalancierteren Fahrwerk an. Das Einlenkverhalten verläuft wesentlich neutraler, während sich die Hinterachse nun spurstabiler präsentiert.

Die Alpine hat man hingegen in ihrer Entwicklungsphase nicht sehr häufig auf der Nordschleife erspäht. Die Fahrwerksabstimmung beim Basismodell wurde auf der Landstraße oder auf verwinkelten Handlingkursen von vielen dank des quirligen Fahrverhaltens gefeiert. Im Supertest 6/2019 fiel das Resümee nach der Nordschleifen-Runde hingegen etwas ernüchtert aus. Zitat aus besagtem Supertest: "Das eher lose Heck fördert zwar den Fahrspaß-Charakter, mit mehr mechanischem Grip hinten könnten die Rundenzeiten jedoch noch deutlich schneller sein. Lastwechsel sollen so gut wie möglich vermieden und die Alpine unter Last stabilisiert werden."

Es scheint fast so, als hätten die Alpine-Ingenieure sich diese Zeilen bei der Abstimmungsarbeit des S-Modells zu Herzen genommen. Die Alpine A110 S tritt mit einem ausbalancierteren Fahrwerk an.

Noch ein Zitat aus dem A110-Supertest: "Nicken beim Anbremsen, Rollen beim Einlenken und vor allem Gierbewegungen dominieren hier das Querdynamikprogramm." Während die Basisversion auf der Nordschleife noch mit prägnanten Karosseriebewegungen wie eine Jolle auf hoher See schaukelte, liegt das S-Modell nun spürbar satter mit mehr mechanischem Grip.

Das auf der Nordschleife für so manche Schweißperle sorgende spitze Einlenkverhalten ist Geschichte. Nach dem spitzen Einlenkverhalten folgte beim Basismodell schnell ein sehr agil eindrehendes Heck. Für eine fixe Runde auf der Nordschleife harmonieren jetzt Vorder- und Hinterachse deutlich besser. Das Einlenkverhalten verläuft wesentlich neutraler, während sich die Hinterachse nun spurstabiler präsentiert. Die Lenkung trifft dabei im Track-Modus den richtigen Ton und punktet mit einer guten Rückmeldung aus der Mitte heraus, ohne Unruhe ins Fahrverhalten zu bringen.

In der Alpine A110 ging der Puls schon am Flugplatz auf Hochtouren. Mit dem S-Modell nimmt man die Doppelrechts fast wie selbstverständlich mit mehr Schwung. Die Alpine A110 S vermittelt dir sofort mehr Vertrauen im Grenzbereich. Egal ob Flugplatz, Metzgesfeld oder Mutkurve – die gewonnene Fahrstabilität schlägt sich sofort in höheren Kurvengeschwindigkeiten nieder.

Wie beim Basismodell stehen drei Fahrprogramme zur Auswahl (Normal, Sport, Track), die über den roten Knopf am Lenkrad angewählt werden. Im Track-Mode werden nicht nur die üblichen verdächtigen Fahrzeugparameter wie Motor, Getriebe und Lenkung sportiver abgestimmt, sondern auch die ESP-Eingriffsschwelle deutlich reduziert. Wer dem Braten nicht traut, kann ruhig im gut abgestimmten und kaum spürbaren ESP-Track-Modus fahren. Der Unterschied zu einer schnellen Runde mit komplett deaktiviertem Stabilitätsprogramm ist nur sehr gering.

Performantere Abstimmung

Welche Fahrwerksmodifikationen sind für die neue Fahrstabilität verantwortlich? Die Fahrhöhe der Alpine A110 S liegt um rund vier Millimeter tiefer als die des Basismodells. Neben 50 Prozent steiferen Federn und modifizierten Dämpfern trägt die A110 S steifere Stabis, die aus Gewichtsgründen hohlgebohrt sind. Nicht zu vergessen: Die S-Version nutzt mit dem Michelin Pilot Sport 4 zwar den identischen Reifentyp wie die Alpine A110, die Breite hat sich jedoch verändert. An der Vorderachse kommt nun eine 215er-Bereifung zum Einsatz, während hinten 245er-Reifen genutzt werden (A110: 205/235).

Ähnlich faszinierend wie schon bei der Ausgangsversion: Dank des geringen Gewichts baut das Gripniveau der Bereifung signifikant später ab als bei vergleichsweise schwereren Fahrzeugen. Auch der Reifenfülldruck steigt bei dem Leichtgewicht im Grenzbereich weniger stark an. Die Bereifung bietet jedoch noch Optimierungspotenzial. Die Mischung des Michelin Pilot Sport 4 ist für das niedrige Gewicht etwas zu hart.

Alpine A110 S, Hockenheimring
Hans-Dieter Seufert
Ähnlich faszinierend wie schon bei der Ausgangsversion: Dank des geringen Gewichts baut das Gripniveau der Bereifung signifikant später ab als bei vergleichsweise schwereren Fahrzeugen.

Ein Traum wäre hier ein Dunlop-Direzza-Semislick in der weichsten Mischung. Die Nordschleifen-Spezialisten des Renault-Autohauses Kirfel in Adenau haben übrigens schon erste Proberunden mit besagtem Semi­slick gedreht. Mit erstaunlichem Erfolg: Dieser gripfreudige Reifen soll die Alpine in eine noch größere Nordschleifen-Überraschung verwandeln, als sie es ohnehin schon ist.

Spät in Kurven reinbremsen funktioniert aufgrund des geringen Gewichts auch mit dem serienmäßigen Michelin-Pneu weitgehend gut, auch wenn das ABS für die Nordschleifen-Bodenwellen noch besser abgestimmt sein könnte. Ein harmonisch regelndes Porsche-ABS wäre hier ein Traum. Dann würde der französische Mittelmotorsportler auch "auf der Bremse" so manchem zeigen, wie es richtig geht.

Während die Alpine bei kühleren Bedingungen auf der Nordschleife mit guten Verzögerungswerten überzeugt, strauchelt sie später bei der Standardbremsmessung in Hockenheim. Bei einer hochsommerlichen Asphalttemperatur von 51 Grad Celsius schmierten die Reifen beim Anbremsen regelrecht und die ABS-Regelung verhedderte sich.

Schnelle Rundenzeit

Dass die A110 S besser verzögern kann, hat sie bereits im Vergleichstest (Ausgabe 4/2020) mit einem 100–0-Bremsweg von 33,8 Metern bewiesen. Das Gripniveau war damals bei einer Asphalttemperatur von 1 Grad Celsius aber auch deutlich besser.

Alpine A110 S, NŸrburgring
Hans-Dieter Seufert
Höhere Kurventempi, höhere Topspeeds – die A110 S knabbert auf der schnellen Nordschleifen-Runde fleißig an der Rundenzeit, die das A110-Basismodell aufgestellt hat.

In langsamen Nordschleifen-Kurven à la Aremberg, Adenauer Forst, Kallenhard oder Wehrseifen drängt die Alpine beim Herausbeschleunigen in ein leichtes Leistungsuntersteuern. Der serienmäßige Michelin-Pneu erreicht sein Limit relativ schnell, und die Seitenführung reißt hier irgendwann sanft ab. Auch an diesem Punkt würde ein Semislick mit höherem Trockengripniveau dem Leichtgewicht sehr guttun.

Doch auch ohne Semislicks geht es zügig voran. Höhere Kurventempi, höhere Topspeeds – die A110 S knabbert auf der schnellen Nordschleifen-Runde fleißig an der Rundenzeit, die das A110-Basismodell aufgestellt hat. Und nach 20,6 Kilometern sind so einige Sekunden gepurzelt – genau sieben an der Zahl.

Mit so einer vergleichsweise geringen Motorleistung war noch kein Supertest-Kandidat so schnell. 7.56 Minuten: Das gelang auch Porsche 996 Turbo, Ferrari 360 Challenge Stradale oder Ferrari California, die aber alle bekanntlich mit deutlich mehr Qualm an den Start gegangen sind. Chapeau, Alpine!

Technische Daten
Alpine A110 S
Grundpreis76.950 €
Außenmaße4181 x 1798 x 1252 mm
Kofferraumvolumen190 l
Hubraum / Motor1798 cm³ / 4-Zylinder
Leistung221 kW / 300 PS bei 6300 U/min
Höchstgeschwindigkeit260 km/h
0-100 km/h4,9 s