Dem Vernehmen nach ist mit außergewöhnlichen Schönheiten oft nicht gut Kirschen essen. Man sagt, sie hätten ausgeprägte Ecken und Kanten, würden den jeweiligen Situationen immer nur ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen. Beautys Vermächtnis: schön anzugucken. Aber wenn's ans Eingemachte gehen soll: besser Hände weg, weil oft viel zu umständlich und kompliziert.
Aston Martin V12 Vantage S mit stimmigen Proportionen
Und doch ist der Reiz, mit ihnen als Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit anzubandeln, nur schwer zu unterdrücken. Aber ohne stark entwickeltes Selbstbewusstsein und ohne ausreichende finanzielle Ressourcen besteht nur eine vage Chance auf ein wirklich dauerhaftes partnerschaftliches Arrangement.
Es sei denn, die Schönheit der Jahre hat der Attraktivität einen zusätzlichen Schub verliehen. Dann sind die Kanten geschliffen, die Charaktere gefestigt und die Launen verflogen. Wenn zu allem Überfluss die Schönheit auch noch von innen kommt, könnte es eine wunderbare Beziehung werden.
Damit wir uns richtig verstehen: Wir sprechen hier vom Aston Martin V12 Vantage S, dem jüngsten und stärksten Modell der Vantage-Baureihe. Über seine Schönheit müssen wir nicht diskutieren, schon gar nicht kontrovers. Wer seiner Form nichts abgewinnen kann, der hat nie ein Faible für Autos im Allgemeinen und für Sportwagen im Besonderen entwickelt. Stimmig in den Proportionen, top in der Verarbeitung und größenmäßig vernünftig aufgestellt, darf auch diese zweisitzige Aston Martin-Variation zu den Design-Ikonen mit einem relativ unbegrenzten Haltbarkeitsdatum gezählt werden.
Zwölfzylinder von majestätischer Anmutung
An Beispielen für die innere Schönheit fehlt es dem Aston Martin V12 Vantage S auch nicht: Mit dem Öffnen der von martialischen Lüftungsschlitzen durchzogenen Motorhaube muss einem das Herz aufgehen. Darunter nämlich - erstmals in dieser vergleichsweise kompakten Karosserieform - ein Zwölfzylinder von geradezu majestätischer Anmutung. Mit weiß lackierten Zylinderkopfdeckeln und großen, polierten Aston Martin-Schriftzügen. Tief und passgenau eingefügt in ein bis in die Ecken ausgefülltes Motorkompartment, das anstelle des vielfach üblichen Schlauch- und Kabelgewirrs filigrane Mechanik in seiner schönsten Form präsentiert.
Der mit üppigen sechs Litern Hubraum ausgestattete, selten gewordene Repräsentant hochherrschaftlicher Zwölfzylindertechnik ist im Grunde seines Kurbelhauses zwar ein alter Aston Martin-Bekannter. Aber einer, der mit neuestem Bosch-Motormanagement und sogar einer, wie der Hersteller betont, rennsporterprobten Kurbelwelle auf den Stand der Technik gebracht worden ist.
An Leistung und Drehmoment besteht natürlich auch aufgrund der herrschenden Größenordnungen wirklich kein Mangel. 573 PS bei knapp 7.000/min und ein Drehmoment-Höchstwert von 620 Newtonmetern bei knapp 6.000/min stehen charakterlich in einer Art und Weise parat, die so nur von einem großvolumigen Zwölfzylinder-Saugmotor geliefert werden kann.
Aston Martin V12 Vantage S produziert schmeichelhafte Klangkulisse
So gut wie vibrationsfrei hängt dieser in jeder Hinsicht bemerkenswerte Zwölfender ab Leerlaufdrehzahl wie gedopt am Gas - so, als habe er den Generalauftrag als grandioser Freudenspender mit jedem Atom seiner Stahl- und Aluminium-Legierungen verinnerlicht. Und dann der fantastische Klang: Die Verbrennungsabläufe sind in ihrer Abfolge so fein aneinandergereiht, dass es fast den Anschein hat, als arbeitete der Motor des Aston Martin V12 Vantage S auf einem doppelt so hohen Drehzahlniveau.
Kernig-sägend, aber nie aufdringlich, produziert er eine Klangkulisse von extrem aufreizender und zugleich schmeichelhafter Tonalität. Dass er in seiner großvolumigen Vielzylindrigkeit althergebrachte Verbrauchsmuster an den Tag legt, darf angesichts seiner Großzügigkeit nicht verwundern: Wer es schafft, mit knapp 15 Litern Superkraftstoff auf 100 Kilometer Fahrtstrecke auszukommen, darf sich eines gefühlvollen Gasfußes rühmen.
Dann hat er aber zwangsläufig nicht viel vom Temperament mitgekriegt, das der nach dem in homöopathischer Stückzahl hergestellten Supersportler One-77 zweitschnellste je gebaute Aston Martin in petto hat.
Aston Martin V12 Vantage S verpasst Werksangabe
Die Werksangabe von 3,9 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h haben wir bei unseren Versuchen - wie immer mit vollem Tank und zwei Personen Besatzung - im Aston Martin V12 Vantage S zwar nicht erreicht, aber sei's drum: Das Delta von drei Zehntelsekunden zwischen Werksangabe und Messwert dürfte weniger der mangelnden Leistungsbereitschaft seitens des Motors anzulasten sein als vielmehr der natürlicherweise begrenzten Traktion - selbstverständlich vor allem in der entscheidenden Startphase.
Die lässig erzeugten Drehmomentwellen des Zwölfzylinders und die leicht frontlastige Gewichtsverteilung des Aston Martin V12 Vantage S sind Anlass und Umstand genug, um die 295er-Sportbereifung (Pirelli P Zero Corsa) zum Durchdrehen zu bringen - besonders dann, wenn den auf Wärme angewiesenen Semislicks noch etwas zu kalt ums Profil ist.
Bei der negativen Beschleunigung - beim Bremsen also - dasselbe Bild: Die Verzögerungsleistungen sind im kalten Aggregatzustand schlechter - ein Umstand, der nicht Aston-Martintypisch ist, sondern eher mit der gesteigerten Temperaturabhängigkeit der Sportreifen und der Keramikbremse zu tun hat.
In 12,6 Sekunden auf Tempo 200
Die volle Wucht des Vortriebs offenbart sich also in angemessener Ausprägung erst so richtig in den höheren Geschwindigkeitsbereichen. Die 200-km/h-Marke durcheilt der Aston Martin V12 Vantage S im Supertest in schließlich nach 12,6 Sekunden - auch dies ein Wert, der aller Erfahrung nach nicht ganz mit der kühnen Leistungsangabe korrespondieren will.
Der Leistungsprüfstand bestätigt die Vermutung: Von den nominell 573 PS bleiben auf der Rolle noch knapp 540 PS übrig. Zieht man dann noch das Gewicht in Betracht - vollgetankt 1.697 Kilogramm -, kommt man auf ein tatsächliches Leistungsgewicht von 3,15 Kilogramm pro PS. Die Rechnung auf Basis der Werksangaben (1.665 kg und 573 PS) sieht natürlich schon etwas günstiger aus: 2,91 kg/PS.
Aber noch etwas hält den "kleinen" Aston mit dem großen Herzen davon ab, immer und überall die ganz große Zugnummer zu spielen: Er ist insgesamt sehr lang übersetzt.
Das erlaubt es dem Aston Martin V12 Vantage S im Supertest zwar, entsprechend seiner Zielvorgabe die 300-km/h-Schwelle deutlich zu überspringen - laut Hersteller bis auf 328 km/h -, hat aber zur Folge, dass das Drehzahlniveau des Zwölfzylinders durch die lange Sekundärübersetzung und die breite Gangspreizung grundsätzlich niedrig gehalten wird - eine mit Blick auf die Verbrauchsbilanz durchaus naheliegende Strategie.
Aston Martin V12 Vantage S ohne unliebsame Schaltrucke
Durch die sportliche Brille betrachtet ist diese übersetzungstechnische Allianz zwischen Motor und Getriebe hingegen eher ein Kompromiss, weil es mit ihr nicht immer und überall gelingt, die Leistungskurve des Zwölfzylinders optimal zu nutzen. Das im Aston Martin V12 Vantage S eingesetzte Siebengang-Sportgetriebe von Oerlikon Graziano ist entgegen dem weitverbreiteten Trend kein Doppelkupplungsgetriebe, sondern ein wie schon bei den Achtzylinder-Modellen verwendetes automatisiertes manuelles Getriebe.
Wenn auch in der Schaltgeschwindigkeit nicht ganz so schnell wie ein DKG und auch nicht so verschliffen wie ein Wandlergetriebe, zeigt sich das mit elektrohydraulischen Aktuatoren arbeitende Siebengang-"Sportshift III"-Getriebe der neuesten Generation deutlich konstruktiver und geschmeidiger als zuvor.
Im alternativen Sport-Modus, in dem die Motorcharakteristik, die Auspuffklappensteuerung, die Dämpferkennlinien und auch die Schaltgeschwindigkeiten dem Einsatzzweck entsprechend modelliert werden, wird der Kraftfluss durch die Gangwechsel kaum mehr gestört: Unliebsame Schaltrucke bleiben aus. Auch akustisch sind die Gangwechsel von hohem professionellen Unterhaltungswert - die Rennstrecke lässt grüßen.
Knapp 200.000 Euro teuer
Einzig im Normalmodus, also im automatisierten Schaltbetrieb, werden die Schaltpausen manchmal noch als störend empfunden. Es sei denn, der Gasfuß hat gelernt, die bei den automatisierten Ein- und Auskuppelvorgängen auftretenden Pausen durch gefühlvolle Modulation auszugleichen. Die Hochrechnung gilt: Mit einer kürzeren Gesamtübersetzung und/oder einem enger gestuften Getriebe hätten die fahrdynamischen Talente des knapp 200.000 Euro teuren Briten sicher deutlich stärker herausgekehrt werden können.
Fahrwerk und Chassis sind jedenfalls bestens geeignet, auf der Nordschleife als schwierigstem Rennumfeld weltweit etwas darzustellen, was den Ansprüchen der über 20 Kilometer langen Berg-und-Tal-Bahn gerecht wird. Das Set-up des Aston Martin V12 Vantage S ist schließlich auf dem Nürburgring entwickelt worden - unter anderem bei einer Vielzahl von Renneinsätzen im Rahmen der VLN-Langstreckenmeisterschaft.
Daraus den Schluss zu ziehen, deshalb auf angemessenen Fahrkomfort verzichten zu müssen, ist jedoch falsch. Die Nordschleife ist bekanntlich kein Refugium, das extreme Federhärten und Dämpferkennlinien honorieren würde. Wenn sie eins kann, dann die gnadenlose Offenlegung jeglicher Fahrwerksschwächen - und das schon in den ersten drei Biegungen. Den vertrauensbildenden Beweis für leichte Fahrbarkeit und sportliches Talent hat der starke Hecktriebler also schon eingangs Hatzenbach geliefert - ohne sich auch nur einen Hauch von Unsicherheit anmerken zu lassen.
Aston Martin V12 Vantage S mit zielgenauer Lenkung
Die bei dieser Leistungsfülle und bei diesem konventionellen Antriebskonzept nicht abwegige Furcht vor einem leicht ausbrechenden Heck ist unbegründet: Selbst wenn es im Eifer des Gefechts oder bei unangemessener Handhabung zum gefürchteten Heckschwung kommt, bleibt der Aston Martin V12 Vantage S mithilfe der extrem zielgenau arbeitenden, deshalb aber keineswegs nervösen Lenkung gut parierbar.
Agilität und Geradeauslaufsicherheit - zwei sich gewissermaßen widersprechende Anforderungsprofile - sind hier in recht überzeugender Weise vereinbart. Die Tauglichkeit der serienmäßig installierten Keramikbremse ist das i-Tüpfelchen auf einer konzeptionellen Gesamtstruktur, die mit jeder Faser förmlich danach schreit, Grenzbereiche zu erkunden. Das bedeutet aber keineswegs, dass der Alltag im Aston Martin V12 Vantage S beeinträchtigt wäre - weder hinsichtlich des Komforts noch in Sachen Praktikabilität. Solidität und Stilsicherheit sind ihm ins Gesicht geschrieben.
Eine gewisse Andersartigkeit im Detail ist als Ausdruck seines höchst individuellen Charakters - Stichwort: hoher Handarbeitsanteil - auch nicht zu übersehen. Dass der kühle Aston - ganz Brite aus gutem Haus - eine gewisse Distanz zu wahren pflegt, macht gewiss seinen Reiz aus und entspricht letztlich auch durchaus dem noblen Selbstverständnis der Marke.
Aber ein bisschen mehr Heimeligkeit hätte ihm auf der anderen Seite sicher auch gutgetan. So hat der V12 Vantage S trotz seiner langen Reifezeit noch immer ein paar kleine Ecken und Kanten, an denen man sich reiben oder stoßen kann. Mein Ellbogen weiß übrigens ein Lied davon zu singen.
Ungeachtet seines stilbildenden, luxuriösen Auftritts hat der Aston Martin V12 Vantage S die Bedingungen der Nordschleife quasi mit seinen Genen adaptiert. Hinsichtlich Fahrbarkeit und Fahrsicherheit gibt es nichts zu kritisieren. Das Fahrwerk zeichnet sich durch ein hohes Maß an Neutralität aus. Das leichte Handling begeistert. Die Feder-/Dämpferabstimmung überzeugt sowohl auf dem Ring als auch jenseits der Rennstrecke. Der Klang und die Leistung des Zwölfzylinders gehen unter die Haut. Mit einer kürzeren Übersetzung ließe sich die Rundenzeit sicher noch weiter verbessern. Die großzügig dimensionierte Bremsanlage ist selbst den härtesten Anforderungen im Grenzbereich gewachsen.
Die Sperrwirkung des Differenzials ist vermutlich im Hinblick auf ein zugänglicheres Grenzbereichverhalten sehr begrenzt. Im Ernstfall dreht das kurveninnere Rad durch. Der warme Klang des V12-Saugers umgarnt mit jeder Runde mehr die Sinne. Die Sitzposition ist der eines echten Sportlers würdig - erste Voraussetzung für eine entspannte Fahrt am Limit. In Sachen Wank- und Nickneigung ist jedoch noch spürbar Bewegung im Spiel. Mit der direkt arbeitenden Lenkung gestaltet sich die Suche nach der idealen Kurvenlinie leicht. Bei aktiviertem ESP ist nicht daran zu denken, die zuvor ohne Sicherheitsnetz gefahrenen Zeiten zu erreichen.
Den vom Werk angegebenen kühnen Beschleunigungswert von 3,9 Sekunden bis Tempo 100 verfehlt der V12 S um drei Zehntelsekunden. Das automatisierte Getriebe funktioniert im S-Modus dem Einsatzzweck angemessen mit schnellen Schaltzeiten. Die Bremsanlage zeigt kein Fading.
- Beschleunigung 0-200 km/h:
- 12,6 s
- Bremsen 200-0 km/h:
- 5,1 s
Bei den Aerodynamik-Daten handelt es sich um Schätzwerte auf Basis der Windkanalmessungen des Aston Martin V8 Vantage. Genaue Angaben waren leider nicht verfügbar. Aufgrund der breiteren Bereifung sollte der cw-Wert des V12 S schlechter ausfallen als beim V8.
Der Auftritt mit Semislicks der Marke Pirelli P Zero Corsa zeigt die erhoffte Wirkung: Mit 1,4 g maximaler Querbeschleunigung ist der Zwölfzylinder-Vantage ganz vorne mit dabei. Die Gewichtsverteilung des Front-Mittelmotor-Sportlers ist zwar nicht ganz paritätisch, beträgt aber immerhin 52,4 zu 47,6 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse. Reifengrößen: 255/35 vorne und 295/30 hinten im 19-Zoll-Format.
Im tempomäßig etwa halb so schnellen 18-Meter-Slalom überzeugt der Aston mit gutem Grip-Niveau und ehrlichem, neutralem Fahrverhalten. Kommt im schnellen Slalom mehr Dynamik ins Spiel, dann zeigt sich, dass die Abstimmung des Fahrwerks nicht kompromisslos auf Fahrdynamik ausgelegt ist. Mit sicht- und spürbarer Bewegung schiebt der Engländer am Limit gutmütig über alle viere.
Der V12 Vantage S ist eher Gran Turismo als Supersportler. Sicherheitstechnisch gibt es nichts an ihm auszusetzen. Der Aston Martin verhält sich im Grenzbereich neutral, reagiert unempfindlich auf Lastwechsel und bietet einen weiten, gut kontrollierbaren Grenzbereich. Hinter der Abstimmung steckt eine ehrliche, von keiner Elektronik herbeigeregelte Fahrwerksphilosophie.
Fazit
Der "kleine" Aston Martin mit dem großen V12-Motor stellt eine reizvolle Kombination aus Stil, Sportlichkeit, Luxus und Alltagstauglichkeit dar. Wer je diesen Zwölfzylinder unterm Fuß hatte, wird ihn nicht mehr vergessen. Die vom Hersteller propagierte Nähe zum Rennsport konnten wir zwar nicht feststellen - wohl aber ein dem Auftritt angemessenes sportliches Talent, das es erlaubt, den Nürburg- oder Hockenheim-Exkurs des Öfteren mal auf die Tagesordnung zu setzen. Ein wunderschönes, klassisches Beispiel von ehrlicher britischer Sportwagenkultur.
Aston Martin Vantage S Coupé 6.0 V12 S | |
Grundpreis | 179.950 € |
Außenmaße | 4385 x 1865 x 1250 mm |
Kofferraumvolumen | 239 l |
Hubraum / Motor | 5935 cm³ / 12-Zylinder |
Leistung | 421 kW / 573 PS bei 6750 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 330 km/h |
0-100 km/h | 4,2 s |
Verbrauch | 14,7 l/100 km |