Hat sich Einstein doch getäuscht? Vermutlich lag er nur relativ daneben. Denn wir sind an einem Punkt, an dem physikalische Gesetze außer Kraft zu sein scheinen. Der Punkt, an dem Power-SUV knapp zwei Kubikmeter Laderaum ins Verhältnis zu rund 2,4 Tonnen Masse setzen und dann die Zeitachse krümmen, indem sie sich in unter vier Sekunden auf hundert katapultieren, um sich anschließend beim Kurven von der Gravitation und Massenträgheit frei zu machen.
Auch wenn jetzt der Physikprof in Ihnen zu Recht rebelliert: Genau das haben Audi RS Q8 und Mercedes-AMG GLE Coupé 63 S 4Matic+ drauf. Wobei der Ingolstädter den alten Albert ganz schön dumm vom bekannten Poster gucken lässt. Ja, man könnte meinen, er strecke ihm gar die Zunge raus. Doch vielleicht gilt das auch der Konkurrenz? Schließlich hat der RS Q8 gerade die werksseitige Sprintangabe sowie die von uns gemessene Zeit des AMG um drei Zehntel pulverisiert. Nur ein Wimpernschlag, meinen Sie? Doch bei 3,5 Sekunden bewegt man sich im Supersportwagenumfeld, und da ist jedes Zehntel eine ganze Welt, jede Sekunde eine eigene Dimension, jede ... (Anm. d. Red.: Die Leser haben verstanden, worum es geht)
Okay, doch was die Zahlen nicht vermitteln: die Beiläufigkeit, mit der der RS Q8 seine 2398 Kilogramm Lebendgewicht von null Richtung hundert pusht, weiter Richtung Tempo 200 stürmt und sich bei Tempo 250 jäh im Begrenzer verheddert. Dabei wären wie beim AMG serienmäßig auch 280 km/h drin, optional dürfte der Audi sogar über Tempo 300. Wenn, ja wenn nicht das entsprechende Kreuzchen beim Testwagen vergessen worden wäre – nicht das einzige, doch dazu kommen wir gleich. Denn jetzt brennt der Warnleuchten-Christbaum im Cockpit.
Audi RS Q8: Ausfallerscheinungen
War die Belastung für die Bauteile beim Beschleunigen doch zu groß? Schließlich wandeln hier gewaltige 800 Nm Drehmoment: Wild schnaubend drehen die Lüfter auf Anschlag, während man drinnen "Getriebefehler" liest – anscheinend mangelte es an Getriebeöl, erklärt Audi nach dem Test. Doch nach dem Neustart hat der RS Q8 die Warnmeldung gleich wieder vergessen. Selbiges gilt für die Servolenkung, die sich beim Losfahren auf den ersten Metern am Morgen eine Auszeit gönnt. Die Wankstabilisierung wittert gar Gefahr beim Hütchentanz und steigt kurzzeitig aus. Ein Unding bei einem SUV, der mit fahrdynamikrelevanten Extras 141 500 Euro kostet – deshalb gibt es einen Punkt Abzug in der B-Note der Qualitätsanmutung.
Doch sonst gibt es – abgesehen von Plastikschaltwippen, die eine Beleidigung für die Fingerkuppen sind – ganz Audi-typisch wenig zu meckern: Feine Materialien und eine serienmäßige Vierzonen-Klimaautomatik umsorgen die Insassen. Die thronen auf bequemen, aber nicht explizit sportlichen Ledersesseln, während Akustikverglasung für 500 Euro sie von der Außenwelt isoliert. Klingt wenig sportlich? Nun, dafür hat sich das digitale Cockpit für 150 Euro eine Prise Lamborghini reingezogen und inszeniert den RS-Modus wie beim Kampfjet. Auf der Drehzahlanzeige rast der Balken dabei in Sekundenbruchteilen auf den Fahrer zu und eskaliert in grün, gelb, rot blinkenden Animationen – während im Heck die Abgasanlage vergleichsweise sanft basst.
Ja, auch das Kreuz für die Klappenanlage hat man in Ingolstadt beim Konfigurieren nicht gesetzt. Vielleicht bewusst: Denn so füllt technokratischer Achtzylinder-Sound den Innenraum. Der kommt einem vertraut vor. Klar, denn der circa 230 kg schwere Grundmotor (inkl. Riemenstartergenerator) arbeitet auch in RS 6 und RS 7. Im RS Q8 blasen ihn jedoch größere Turbolader auf, die bis zu 180 000-mal in der Minute rotieren. Zudem setzten die Ingenieure ihm andere Injektoren ein, verstärkten Kolben sowie Pleuel, passten den Kurbeltrieb an und hängten den Motor an fünf aktiv schaltbaren Lagern auf statt an drei festen Punkten wie beim normalen Q8.
Mercedes-AMG GLE 63 S: Touch too much
Viel Aufwand, den auch die AMG-Truppe betreibt: Der 253 kg schwere V8-Block des 63-S-Modells ruht ebenfalls auf aktiven Lagern. Dabei unterstützt der ins Getriebe integrierte Startergenerator mit maximal 16 kW beim Bankdrücken, nicht jedoch beim Kampfschreien. Warum auch, das kann der 612 PS starke V8 ohnehin: So knallt und grollt er mit der 1666 Euro teuren Klappenanlage unverkennbar wie ein AMG – allein dieser Sound ist ein guter Grund, den 157 348 Euro teuren SUV zu kaufen.
Für den stattlichen Preis setzt AMG einige Fahrdynamik-Kreuzchen serienmäßig und packt in den Testwagen alles rein, was geht – das erklärt die Preisdifferenz. Dafür erhält man einen in der Basis marginal schlechter ausgestatteten SUV mit coupéhafter Dachlinie. Zu spüren bekommt man die beim Einladen durch die fließheckartige Klappe samt fester Hutablage und hoher Ladekante. Wobei sich diese dank Luftfederung auf Knopfdruck absenkt. Beim Einstieg in den Fond heißt es Kopf einziehen. Die Hinterbänkler nehmen auf bestens ausgeformten Sitzen Platz, die sich jedoch nicht – wie im praktischen Audi – verschieben oder in der Neigung verstellen lassen. Der beste Platz ist eben auf den voll klimatisierten, 2190 Euro teuren Multikontursitzen ganz vorn.
Hier bekommt der Fahrer mal wieder "das Beste oder nichts" geboten, also reichlich Carbon, Leder und Alcantara. Aber der AMG-Benz schießt in puncto Bedienung etwas übers Ziel hinaus. Die Digitalinstrumente schmückt AMG mit eigenen Layouts, die am Drehzahlbegrenzer im manuellen Modus rot blinkende Eruptionen auslösen. Zudem installiert man im Infotainment eine umfangreiche Track-App und pflanzt am Lenkrad kleine Fahrmodi-Satelliten: Die wecken einerseits den Spieltrieb, andererseits klickt und toucht man im Alltag ständig an den Modi herum, während im RS Q8 ein Druck auf die RS-Taste am Lenkrad reicht. Ja, um den 63 S in die perfekte Balance zu bringen, bräuchte man eigentlich einen Doktortitel in Fahrdynamik. Denn der AMG fordert einen ständig heraus: Er will bei jedem Anfahren losstürmen. Gibt man dem nicht nach, durchrucken 850 Nm den Antriebsstrang oft unsanft.
Zudem lässt der 63 S die Insassen durchaus fühlen, dass er ein Affalterbacher ist. Denn im Vergleich zum normalen Mercedes GLE setzt AMG auf eine andere Luftfederung (siehe Kasten links). So rollt der 63 S mit 22-Zoll-Mischbereifung (595 Euro) straffer ab als der RS Q8. Obwohl dieser gewaltige 23-Zoll-Felgen (2650 Euro) trägt, schwebt der Audi spürbar sanfter über welligen Asphalt.
Audi: Kurvenkünstler
Doch das alles kennt man schon, erwartet es geradezu. Deshalb kratzen beide jetzt die Kurve. Anders als Sie jetzt vielleicht glauben, avanciert der RS Q8 serienmäßig allradgelenkt sowie optional wankstabilisiert und mit Sportdifferenzial gesegnet (4850 Euro) zum Kurvenkünstler par excellence. Vor allem abseits des Hockenheimrings, auf den engen Landstraßen, die selbst für Kleinwagen unterdimensioniert erscheinen, kurvt der Koloss wie ein Kompakt-sportler. Seitenneigung eliminieren die Wankstabils fast komplett, gleichzeitig agilisiert der Torque Splitter die Hinterachse und damit das Einlenkverhalten. Dabei beobachtet man im Rückspiegel, wie das Jackett am Dachhaken fast waagerecht flattert.Das ist der Punkt, an dem der RS Q8 die Grenzen der Physik nicht nur aushebelt, sondern vollkommen ad absurdum führt. Das mag sich übertrieben lesen – und doch wird es dem, was der SUV querdynamisch zu leisten imstande ist, kaum gerecht. Wie praktisch, dass Rennfahrer Frank Stippler zur Untermauerung dieser Behauptung mit dem RS Q8 eine Rundenzeit von 7.42 Minuten in den – teils feuchten – Nordschleifen-Asphalt stampfte.
AMG: Best of the Rest?
Dabei geht fast unter, dass auch der GLE 63 S zum Kurvenfresser mutiert. Klar, er wirkt ohne mitlenkende Hinterachse in den ganz engen Kehren einen Tick weniger handlich, doch dafür lässt er auch gerne mal das breite Heck raushängen. Schließlich setzt der 4Matic+-Allradantrieb auf ein elektronisch geregeltes Mittendifferenzial. Das unterscheidet sich zwar von dem der AMG-Limos E-, S- und GT 63, da sich die Vorderachse nicht via Driftmodus komplett entkoppelt, doch fließen theoretisch bis zu 100 Prozent an die Hinterräder.
Objektiv liegt er so bei den Fahrdynamikmessungen mit dem Audi auf Augenhöhe, wobei man sich in beiden schon sehr strecken muss, um die Pylonen wegen der unübersichtlichen Maße nicht zu überfahren. Apropos: Das passiert einem beim GLE auch hin und wieder mit der Vorderachse, weil die Lenkung wie im Audi sehr geringe Lenkkräfte fordert, aus der Mittellage aber spitzer ausbricht und dabei gleichzeitig zu wenig rückmeldet. So arten auch leichte Korrekturen bei hohem Tempo zu ungewollten Spurwechseln aus.
Dabei unterstützt der GLE auf der Autobahn mit der Kraft all seiner Assistenzsysteme: Er hält Abstände, überholt nicht rechts und zementiert den Brocken sicher in der Spurmitte. Allerdings sind die Regeleingriffe manchmal überambitioniert, zumal der normale Spurhalteassistent mit Bremseingriffen verunsichert. Kritik auf hohem Niveau, die hier jedoch angebracht ist, da der Audi das alles eine Spur geschliffener beherrscht, wenn auch nicht perfekt. Denn die Navigations-Software erkennt ab und zu Tempolimits, die gar nicht vorhanden sind, beschleunigt und bremst den Koloss so plötzlich, dass der Fahrer eingreifen muss.
Dabei fliegt auch der Q8 voll assistiert mit aberwitzigem Tempo über die Bahn, vernichtet Kilometer wie in Zeitlupe, ach was: Warpgeschwindigkeit. Beide SUV verbrennen dabei auf der Mehrspurigen jedoch dermaßen viel Sprit, dass man befürchtet, Greenpeace-Aktivisten seilten sich an der nächsten Brücke ab, um einen zu stoppen. Zur politischen Ehrenrettung sei erwähnt, dass im Alltag 48-Volt-Technik die V8-Motoren in Rollphasen ausknipst, Spritsparhinweise im Armaturenbrett aufpoppen und bei Teillast die halbe Zylinderkraft reicht, um letztlich mit knapp über zehn Litern (ams-Eco-Verbrauch) von A nach B zu kommen. Viel Aufwand, doch zumindest in diesem Punkt lässt sich die Physik noch nicht ganz austricksen.
Bremse gut, alles gut
Oder etwa doch? Zumindest verliert der AMG auf den letzten Metern den Vergleichstest – und zwar bei den Bremsmessungen. Obwohl der Testwagen die fast 5000 Euro teuren Keramikscheiben samt goldenen Sätteln trägt, büßt der GLE 63 S mehr als eine halbe Wagenlänge auf den RS Q8 mit Stahlbremsanlage ein. Ja, auch die Keramikoption hat Audi beim Testwagen gestrichen. Dennoch steht der 2,4-Tonner bereits nach 31,2 Metern aus Tempo hundert wieder still – das ist nicht weniger als supersportwagig! Und ja, wir sind gespannt, wie Einstein das relativieren will.
Fazit
Der RS Q8 krümmt nicht nur die Zeitachse beim Beschleunigen und Kurven, er staucht sie auch beim Bremsen zusammen. Dabei wirkt sein Antriebsstrang im Alltag geschliffener.
Den knapperen Fondraum bei ebenso üppiger Masse bewegt das GLE Coupé fast genauso dramatisch, wie der AMG-V8 klingt – Einstein forschte schließlich auch an Hörgeräten.
Mercedes AMG GLE Coupé 63 S 4Matic+ Mercedes-AMG S | Audi RS Q8 | |
Grundpreis | 149.744 € | 134.500 € |
Außenmaße | 4961 x 2014 x 1720 mm | 5012 x 1998 x 1694 mm |
Kofferraumvolumen | 655 bis 1790 l | 605 bis 1755 l |
Hubraum / Motor | 3982 cm³ / 8-Zylinder | 3996 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 450 kW / 612 PS bei 5750 U/min | 441 kW / 600 PS bei 6000 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 280 km/h | 250 km/h |
0-100 km/h | 3,8 s | 3,5 s |
Verbrauch | 12,1 l/100 km | |
Testverbrauch | 13,7 l/100 km | 14,1 l/100 km |