Eines muss man sagen: Für seine Länge hat er eine echt große Schnauze. Und dann noch der Name – hat er überhaupt eine Ahnung, an wem er sich da misst? Der Sport Quattro S1 war die Rallye-Kanone der 80er-Jahre, gebändigt von Helden wie Walter Röhrl und Stig Blomqvist.
Audi S1 vollgetankt 1.368 Kilogramm schwer
Und jetzt kommt der Kurze daher, bezieht sich auf den berühmten Ahnen und macht mit vier Endrohren einen auf dicke Backe – wenn sich der Audi S1 da mal nicht übernimmt. Für einen nach jedem Strohhalm oder auch gern nach den Sternen greifenden Marketingstrategen liegen namentliche Beziehungskisten dieser Art vielleicht auf der Hand – Röhrl oder Blomqvist würden aber wohl eher einen Lachkrampf kriegen, als dem ungenierten Versuch stattzugeben, die A1 -Variante namens S1 mit der legendären Rallye-Maschine in Verbindung zu bringen.
Da fällt uns glatt die vor Jahren von Audi als Sondermodell herausgegebene DTM-Edition auf Basis des A4 ein, die in ihrer aufgezwungenen Pseudosportlichkeit eine nicht sehr rühmliche Figur abgab.
Aber halt, stopp! Vielleicht tun wir dem nur 3.975 Millimeter kurzen, vollgetankt aber 1.368 Kilogramm schweren Sportler im Kleinformat Unrecht, wenn wir ihn der vorsätzlichen Anmaßung bezichtigen. Schließlich erfüllt der Audi S1 formal alle Kriterien, die uns bisher als Beweis für einen aufrechten Sportcharakter genügt haben: Er ist augenscheinlich das Gegenteil von aufgeblasen. Seine kompakten Ausmaße, mithin seine athletische Figur, entsprechen den Vorgaben, die im Sportumfeld derzeit als Erfolg versprechend angesehen werden.
Audi S1 spielt den Lückenbüßer
Das auf großer WM-Bühne aufgeführte Rallye-Engagement von Volkswagen zeigt, welche Hauptrollen den kleinen Baureihen mittlerweile zugestanden werden – der Polo ist dort das Maß aller Dinge.
So könnte man angesichts der internationalen Erfolgsserie des Konzernbruders fast Mitleid mit dem Audi S1 kriegen, der als Träger eines berühmten Rallye-Namens und als glaubhafter Vertreter der von Audi begründeten Quattro-Philosophie gezwungen ist, im grellen Trainings-Outfit die Rolle des sportlichen Lückenbüßers zu spielen.
Denn im krassen Gegensatz zum reinrassigen, allein auf Rallye-Erfolge hin optimierten WRC-Polo ist der Audi S1 sicht- und spürbar gezwungen worden, dem ganzen Spektrum der im Alltag anfallenden Anforderungen zu entsprechen – ein klassisches Beispiel für ein nach allen Seiten hin abgeklopftes Marketingkonzept nach dem gängigen Motto: Bloß keinen möglichen Käufer vergraulen, sei es der Senior in seinem zweiten Frühling, der Junior mit gerade bestandener Führerscheinprüfung oder die Dame des Hauses, der an einem sportlichen Image gelegen ist.
Dass das zu schlechten Kompromissen führen muss, steht außer Frage. Wäre der technisch mit allen Wassern gewaschene Audi S1 das geworden, was er optisch vorgibt zu sein, dann hätte er den Kleinen Kurs in Hockenheim im Supertest locker in einer Zeit von unter 1.15 Minuten hinter sich gebracht.
Audi S1 enttäuscht auf Nürburgring und in Hockenheim
Er wäre auch auf der Nordschleife des Nürburgrings niemals einem VW Golf GTI hinterhergefahren, sondern hätte ihn nach allen Regeln der Kunst gedemütigt. Angesichts der Hockenheim-Zeit von 1.18,6 Minuten und der nicht minder enttäuschenden Nürburgring-Umrundung in 8.41 Minuten ist die Frage erlaubt, warum das Potenzial des Audi S1 im Supertest nicht im erwarteten Umfang zur Geltung kommt.
Am Motor kann es eigentlich nicht liegen. Mit einer Spitzenleistung von nicht weniger als 231 PS und einem Drehmoment von satten 370 Newtonmetern ab 1.600 Kurbelwellenumdrehungen bringt der schon aus anderen Konzernbaureihen bekannte Zweiliter-TFSI-Turbomotor von Haus aus genügend Potenzial mit, um etwaige Nachteile auf anderem Gebiet zu überdecken – schiere Power nämlich.
Dass diese bei jeder sich bietenden Gelegenheit vollumfänglich zur Geltung kommt, dafür bietet der im Audi S1 serienmäßig gesetzte Quattro-Antrieb unter allen Umständen ausreichend Gewähr. Traktionsverluste sind in diesem Umfeld unbekannt, sodass es antriebstechnisch eigentlich mit dem Teufel zugehen müsste, wenn der Druck im Audi S1 nicht für angemessene Begeisterung sorgen würde.
Den werksseitig angegebenen Beschleunigungswert auf Tempo 100 km/h verfehlt der Audi S1 im Supertest zwar um 0,4 Sekunden – aber sei's drum. Mit 6,2 Sekunden für den Standardsprint macht sich der knuffige Allradler noch immer sehr zügig vom Acker. Das ist fast wörtlich zu nehmen, denn egal, ob trockene oder nasse Fahrbahn: Der mit einer hydraulischen Lamellenkupplung an der Hinterachse arbeitende Quattro-Antrieb erlaubt den Reifen – in diesem Fall 18-Zoll-Formate in der Größe 225/35 – keine spürbaren Schlupfverluste.
Enttäuschung trotz hochkarätigen Technikpaket
Auch das Sechsganggetriebe – entgegen dem Trend zum Automatismus eins von der konventionell-mechanischen Sorte – liefert in seiner knackigen Handhabung kein Indiz für kontraproduktive Verhaltensweisen. Also muss es wohl am Fahrwerk oder an nachgeschalteten Bauteilen beziehungsweise Institutionen liegen, dass das Delta zwischen dem, was erhofft oder erwartet wurde, und dem, was der Supertest ans Tageslicht fördern, größer ist als angenommen.
Wie kann es sein, dass angesichts eines solch hochkarätigen Technikpakets auf der Fahrwerksseite Enttäuschungen möglich sind? Neue elektromechanische Servolenkung, modifizierte Schwenklager, neue Vierlenker-Hinterachse für maximale Präzision, Fahrdynamiksystem mit zweistufig schaltbaren Dämpfern, verstärkte Bremsanlage mit 310-mm-Scheiben vorn und zweistufig abschaltbare Stabilisierungskontrolle mit radselektiver Momentensteuerung.
Höchst bemerkenswert auch der Aufwand, der betrieben wurde, um die Quattro-Komponenten im vergleichsweise zierlichen A1-Konzept unterzubringen: So beansprucht das Hinterachsdifferenzial den Raum der Reserveradwanne. Der eigens entwickelte 45-Liter-Kraftstofftank ist aus der entstandenen Platznot nun sattelförmig über der Kardanwelle angeordnet – ein bemerkenswerter Klimmzug, um den ursprünglich nur als Fronttriebler vorgesehenen A1 nachträglich zum S1-Allradstar zu machen.
Das Ausschöpfen aller technischen Möglichkeiten und dazu die Bereitstellung aller erdenklichen Kulturgüter inklusive Connectivity- und Navigationspaket samt 6,5-Zoll-Flachbildschirm hat freilich zur Konsequenz, dass der Audi S1 gewichtsmäßig nicht im projektierten Zielkorridor geblieben ist.
Audi S1 nicht übermäßig agil
Das werksseitig angekündigte Leergewicht von 1.315 Kilogramm wird im Fall des wohlgemerkt komplett ausgestatteten Testwagens um über einen Zentner verfehlt – unser Audi S1 brachte im Supertest 1.368 Kilogramm auf die Waage.
Aber auch damit ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis nicht vollständig erklärt. Vielleicht aber mit jener, die unter dem Stichwort elektronische Stabilisierungskontrolle zu finden ist. Das ESC verfügt über einen Sportmodus und kann vordergründig auch komplett abgeschaltet werden. Laut Hersteller bleiben aber zugunsten der Beherrschbarkeit die radselektive Momentensteuerung sowie die elektronische Differenzialsperre immer aktiv.
So werden bereits im Ansatz einer Untersteuerneigung die kurveninneren Räder mit einem fein dosierten Bremsmoment beaufschlagt. Dadurch fließt das überschüssige Drehmoment auf das kurvenäußere Rad, womit nicht nur das Untersteuern verhindert, sondern das aktive Einlenken konstruktiv unterstützt werden soll. Helfend beitragen soll hierbei auch die spezielle Applikation der aus Gewichtsverteilungsgründen an der Hinterachse angeordneten Lamellenkupplung.
Doch die Praxis offenbart ein etwas anderes Bild. Übermäßig agil, so wie man es von einem mit breiter Spur (1.474/1.452 mm) und kurzem Radstand (2.469 mm) antretenden Allradler dieser Größen- und Gewichtsklasse erwarten würde, gibt sich der Audi S1 nicht. Mit zunehmender Reifentemperatur konterkariert der geringer werdende Grip die zuvor gelobte Direktheit der neuen elektromechanischen Lenkung.
Narrensicherer Geradeauslauf
Fast bezeichnend sind die divergierenden Einträge in der Fahrzeug-Begleitkarte: Während nach der Nordschleifen-Tour außer der Enttäuschung über die maue Rundenzeit das sichere Fahrverhalten im Grenzbereich und der narrensichere Geradeauslauf selbst bei Vmax – immerhin 250 km/h – explizit hervorgehoben wurden, musste sich der Audi S1 nach den Slalomprüfungen kritische Kommentare wegen seiner Überempfindlichkeit in Sachen Lastwechselreaktionen gefallen lassen. Von einer Deaktivierung der elektronischen Sicherheitsorgane wurde gar abgeraten.
Also: wieder ein klassischer Fall von Hin- und Hergerissenheit bei der Feinabstimmung am lebenden Objekt.
Audi täte wirklich gut daran, die prägenden Charakterzüge schärfer herauszuarbeiten. Der Audi S1 bringt technisch doch alles mit, was zum Ausschmücken eines begeisternden sportlichen Bouquets erforderlich ist.
Es ist nicht so, dass es keinen Spaß machen würde, den kompakten Allradler im Grenzbereich über die Nordschleife zu scheuchen: Der Motor geht leistungsmäßig ordentlich zur Sache, könnte aber akustisch etwas mehr aus sich machen. Das Schaltgetriebe zu bedienen macht Freude – allerdings wäre eine engere Abstufung der sechs Gänge wünschenswert. Unter Last zeigt der Audi S1 ein gehorsames Naturell. Mit provozierten Lastwechseln lassen sich Kurveneingänge etwas konstruktiver angehen – aber der bewusst eingeleitete Heckschwung ist nicht jedermanns Sache. Der relativ kurze Radstand erfordert schnelle Reaktionen. Außerdem: Bremsfading am Streckenstück Breitscheid.
Die größere 18-Zoll-Bereifung scheint das querdynamische Talent nicht sonderlich zu fördern – die 1.18,6 Minuten sind angesichts der strammen Leistung und des traktionsfördernden Allradantriebs keine Offenbarung. Es fehlt irgendwie an Schärfe und Würze: Das Handling überzeugt nicht; auch die Bremse könnte bissiger sein. Der große fahrwerkstechnische Aufwand geht in einem unpräzisen Grenzbereichverhalten unter, was zu einem Teil sicher auch den Reifen zuzuschreiben ist. Dass sich der Audi S1 auch hier vom etwa gleich starken Konzernbruder Golf GTI abkochen lassen muss, dürfte im Audi-Lager für extrem lange Gesichter sorgen.
Die vom Hersteller angegebenen Beschleunigungswerte erreicht der Audi S1 trotz seines gut im Futter stehenden Turbomotors nicht: Mit 6,2 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 liegt der Testwagen um 0,4 Sekunden über dem Sollwert. Die Verzögerungsleistungen bleiben gleichfalls unter den Erwartungen.
- Beschleunigung 0-200 km/h:
- 25,1 s
- Bremsen 200-0 km/h:
- 5,3 s
Die angedeuteten Aerodynamikhilfen wie Frontsplitter und Dachspoiler dürften auf die aerodynamische Balance keinen sonderlichen Einfluss nehmen. Der Geradeauslauf ist extrem sicher, selbst bei Vmax (250 km/h) bleibt der Audi S1 völlig ungerührt. Die Windgeräusche sind minimal.
- Vorderachse bei 200 km/h:
- 35 kg Auftrieb
- Hinterachse bei 200 km/h:
- 15 kg Auftrieb
Für einen vornehmlich auf den Alltagsgebrauch zugeschnittenen Kompaktsportler erreicht der Audi S1 bemerkenswerte Querbeschleunigungswerte. Schade nur, dass sie rundenzeitmäßig keine größere Wirkung zeigen. Üblicherweise sind 17-Zoll-Räder montiert. Die 18-Zöller mit 225/35er-Bereifung der Marke Bridgestone Potenza S001 kosten ab 750 Euro Aufpreis.
Die schon im 18-Meter-Slalom auffällige Lastwechselempfindlichkeit verstärkt sich im 36-Meter-Slalom nochmals. Bei den vielen aufeinanderfolgenden Richtungswechseln schaukelt sich der kleine Audi selbst unter Last auf und geht dann quer. Mit minimalen Lenkimpulsen zum Umsetzen driftet der Audi S1 durch die Pylonengasse. Die Aussagen beziehen sich auf Testfahrten mit deaktiviertem ESP.
Im Ausweichtest ist die Lastwechselempfindlichkeit zwar noch spürbar, aber bei Weitem nicht so gravierend wie im Slalom. Unter Last kann das Fahrverhalten hier als neutral bis leicht übersteuernd bezeichnet werden. Mit minimalen Lenkimpulsen wird die Richtung vorgegeben, und der kleine Allradler schmiert leicht übersteuernd über alle viere durch die schnelle Ausweichgasse.
Fazit
Okay – wir sind mit dem Audi S1 sicher etwas hart ins Gericht gegangen. Aber muss man sich darüber wundern? Die Extrovertiertheit des frechen quadratischen Audi S1 lässt keine andere Wahl, als ihn stärker als üblich an sportlichen Maßstäben zu messen. Wäre sein Auftritt etwas zurückhaltender gestaltet worden, dann hätte sein Temperament sowohl in Längs- als auch in Querrichtung womöglich völlig ausgereicht, um ihn als höchst begehrenswert erscheinen zu lassen. Außerdem: Große Namen wecken große Erwartungen. Schade, dass sich die Marketingabteilungen mit ihren Diversifikationstheorien oft so verrennen.
Audi S1 2.0 TFSI Quattro | |
Grundpreis | 29.950 € |
Außenmaße | 3975 x 1740 x 1417 mm |
Kofferraumvolumen | 210 bis 860 l |
Hubraum / Motor | 1984 cm³ / 4-Zylinder |
Leistung | 170 kW / 231 PS bei 6000 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
0-100 km/h | 6,2 s |
Verbrauch | 7,0 l/100 km |