Mit dem Fortschritt kann es ja nicht immer nur vorangehen. Der neue BMW M850i steht unter dem Schatten hoher Bäume am Ende einer fein gekiesten Einfahrt, die sich zwischen manikürten Rabatten zum Tor windet. Und wir stellen fest: Ab jetzt gibt es ein Zurück mehr.
Oder zwei? Nun, zumindest wenn wir kurz knapp drei Jahrzehnte zurücksausen in unserer Erinnerung. Da landen wir im Mai 1990 an einem Samstagvormittag beim BMW-Händler, in dessen Showroom all die lokalen Weltberühmtheiten bei Sekt und Häppchen das neue Sportcoupé 850i umschwärmen. Dass wir drei Sechstklässler-Schulfreunde damals kurz auf den Fahrersitz gelangen, bleibt eine viel beschworene Erinnerung. Was ist der 850i für ein Auto – mit V12-Motor, Ellipsoid-Klappscheinwerfern und Sitzen samt integrierten Gurten. Etwas anderes dagegen ist der E31 von 1990 nicht: ein Sportwagen.
Antrieb und Leistung: Motorenmeisterwerke
Obwohl der neue 8er , Generation G15, den alten Namen übernimmt, bleibt die Erwartung, dass er ein Sportwagen sein möge. Um zu klären, ob er das ist, beginnen wir mit dem neuen Zurück: Der Achter merkt sich die letzten 50 Meter bis zum Stillstand, kann diese Strecke allein zurücklegen. Nur Gas geben und bremsen muss der Fahrer. Sachtes V8-Wummern übertönt das leise Knirschen des Kieses, als der Achter rückwärts zur Straße rollt. Zehn Meter noch, fünf, draußen. Den gläsernen Wählhebel mit der beleuchteten Acht auf „D“ rücken, aufs Gas. Und jetzt, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Dafür sorgt der 4,4-Liter-V8-Biturbo, der nicht so bekannt ist, wie man meinen könnte. Rund 70 Prozent der Teile haben die Techniker geändert: Kurbelgehäuse, Kolben, Pleuel, Laufbuchsen, dazu kuscheln sich größere Twin-Scroll-Lader ins heiße V der Zylinderbänke. Trotz der dämpfenden Wirkung des Partikelfilters stärken die Änderungen den V8 um 68 PS und 100 Nm – das entspricht der Gesamtpotenz eines Kia Picanto 1.0.
Mit nun 530 PS und 750 Nm stemmt sich der BMW M850i auf der Teststrecke in 3,8 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h, dotzt recht bald darauf in den Tempolimiter – bei exakt 254,7 km/h. Wobei Beschleunigungsvehemenz wie brillante Bremsverzögerung zu erwarten waren. Mehr als um die Frage, wie schnell er fährt, geht es um die, wie er schnell fährt.
Dafür packt BMW alles rein, was den M850i dynamisiert: Sportfahrwerk mit Adaptivdämpfern und aktiver Wankstabilisierung, Allradlenkung (vorn variable Übersetzung), Sperre an der Hinterachse und den Allradantrieb, der alle Kraft zur Hinterachse leiten könnte. Was der Aufwand bringt? Brillanz und Distanz.
Minuspunkte: Schwer, sperrig, hyperaktiv
Der 8er ist enorm schnell, eine Macht auf der Autobahn. Weil dort die Hinterräder parallel zu den vorderen lenken, steigt die Fahrsicherheit in Kurven fast ins Unerschütterliche, wie der Wert von 147,2 km/h beim Spurwechsel zeigt. Beim Slalom dagegen fährt der 8er in einem Tempobereich, in dem die Hinterräder entgegen den vorderen lenken, um die Agilität zu steigern. Doch addiert sich dieses Mitlenken mit der spitz ansprechenden vorderen Lenkung zu aggressivem Richtungswechseln. Dazu drängt die Hinterachse, worauf das ESP erst mit Gelassenheit, dann mit fein dosiertem Einbremsen reagiert. Klingt genau richtig für einen Sportwagen, meinen Sie? Ja, nur ist der Achter eben keiner.
Denn der BMW M850i trägt schwer an seinem Technikapparat. Trotz Carbondach wiegt er 1.979 kg – 454 mehr als der letzte Porsche 911 Turbo, der bei uns war, und 443 kg mehr als der BMW i8. Der hat nur einen Dreizylinder-Verbrenner, fährt aber dazu das Hybrid-E-Werk mit sich herum.
Beim 850i nehmen Gewicht und Abmessungen – Länge und Breite multiplizieren sich auf 9,2 m², etwa die Grundfläche überteuerter WG-Zimmer in Großstädten – dem Handling Leichtigkeit und Elan auf verschlungenen Strecken. Da fühlt sich der Achter trotz präziser Vorderradlenkung, minimaler Karosseriebewegungen und hoher Fahrsicherheit sperrig an.
Vor allem irritiert das Lenken der Hinterachse, weil es oft nicht harmonisch-agilisierend einfließt, sondern hyperaktiv und überspitzt überrumpelt. So kommt – bis auf die hervorragende Traktion – auch nicht viel vom Wirken der Differenzialsperre und des variablen Allradantriebs rüber. All die Technik macht schnelles Fahren mühelos, bindet aber den Fahrer nicht enger ein, sondern schafft eine Distanz. Das unterscheidet den Gran Turismo vom Sportwagen.
Pluspunkte: brillanter Antrieb, weiche Schaltung, bequeme Sitze
Große Reisen auf weiten Straßen beherrscht der 8er überragend. Den ein oder anderen halben Kontinent an einem Vormittag durchkreuzen? Aber gern mit diesem brillanten Antrieb. Der V8 legt homogen und wuchtig los, lässt darin nie nach.
Er verbraucht viel – 12,5 l/100 km im Test –, aber mit 8,6 Litern Super bemüht er sich auf der Eco-Runde zumindest um Effizienz. Um die kümmert sich auch die Automatik mit vergrößerter Gangspreizung. Da sie auf Navi-Daten zugreift, hat sie immer die passende der acht Stufen parat, schaltet eilig, weich, diskret. Also alles ganz entspannt für Pilot und Co auf den bequemen Multikontursitzen.
Fürs Reisegepäck steht ihnen vor dem Kofferraum der Fond als Ablage bereit, denn fast ohne Knie- und mit wenig Kopfraum lässt sich die Idee des Sitzens dort kaum umsetzen. Also lieber zu zweit fahren, dann stören auch keine Klagen aus dem Fond die Ruhe, für welche die gute Geräuschdämmung sorgt.
Mit dem Komfort passt es ebenfalls, wenngleich der M850i ein straffes Grund-Set-up wählt. Kurze Unebenheiten sortiert er im Comfort-Modus sorgsam aus, auf langen Wellen katapultet er mitunter kurz nach. Da die Kennlinien für Fahrwerk, Antrieb und Lenkung eng beisammenliegen, wahren selbst die Modi Sport und Sport+ akzeptablen Restkomfort.
Assistenzsysteme: Achtung, Geisterfahrer!
Eher unbehaglich wird es, wenn der Spur- und Geschwindigkeitsassistent auf einer im Navi eingegebenen Route das Fahren übernimmt. Der BMW kann das Tempo selbst regeln, bremst und beschleunigt unter Berücksichtigung von Tempolimits und Streckenverlauf, hält die Spur, lenkt in Kurven mit. Auf Straßen ohne Mittellinie allerdings versteht das System die ganze Straße als seine Spur. Dazu beschleunigt es den 8er mal mit Verve auf enge Serpentinen zu, lässt ihn dann wieder durch weite Kurven trödeln. Also, „Aus Freude am Gefahrenwerden“ muss sich BMW nicht als Werbespruch sichern.
Aber das System kann man ja per Tastendruck abschalten. Die anderen der vielen Funktionen lassen sich mit der Sprachbedienung beplaudern oder schnell per iDrive organisieren, der nun Operating System 7.0 heißt. Die Drehzahl im Head-up-Display anzeigen, die Navi-Karte ins Digitalinstrument einblenden? Geht alles leicht. Doch Moment, die Instrumente selbst, digital und mit gegenläufigem Drehzahlmesser, sind ganz modern und nennen sich Live Cockpit Professional. Womöglich hängen wir zu sehr im Früher, um sie besser zu finden als die Analoganzeigen. Verstehen wir sie also als Zeichen der Vollvernetzung, wie in der Warnung, das mobile Gerät ja nicht im Auto zu vergessen (mobiles Gerät, sagten wir das einst nicht über die entzückende Susi, wenn sie den Fiesta ihrer Mutter ausgeliehen bekam?).
Nach diesem Beitrag zu „100 Jahre Herrenwitz“ wieder zum M850i. Der ist ein enorm leistungsfähiger, schneller, agiler Wagen. Kein Sportwagen, sondern eine Fortsetzung von BMWs Coupé-Tradition. Mit ihm gibt es für alle, denen der i8 zu futuristisch ist, ein Zurück mehr in BMWs Palette – ein kleines Zurück aus der Zukunft.
BMW M850i Coupé xDrive | |
Grundpreis | 128.100 € |
Außenmaße | 4851 x 1902 x 1346 mm |
Kofferraumvolumen | 420 l |
Hubraum / Motor | 4395 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 390 kW / 530 PS bei 5500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Verbrauch | 9,9 l/100 km |