Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern: Das, befand Studio-Boss Sam Goldwyn einst, sei das perfekte Rezept für einen erfolgreichen Film. Die Macher des neuen Chevrolet Camaro haben ihren Goldwyn gelesen.
Kaum ist die Starttaste gedrückt, ist Alarm in der Tiefgarage. Zornige Schallwellen branden gegen die Wände und lassen um die Haftfähigkeit der Farbe – ach, was sage ich, um die Festigkeit des Betons an sich fürchten. Dass einige Meter weiter der Ford startet, geht komplett unter. Nachbars Kaltstartliebling ist auch der Mustang nicht, der neben dem breitbeinig-gechoppten Bad Guy von Chevrolet mittelschichtig-brav erscheint. Aber während der Camaro erst mal das Tier gibt, ehe er in einen fast dezenten Leerlauf findet, ist der Mustang einfach so: an.
Viel Fleisch am Knochen
Das liegt nicht am Hubraumdefizit des Fünfliter-Ford gegenüber dem 6,2-Liter des Chevrolet, der historisch korrekt als Small-Block-V8 firmiert. Der Camaro erklärt nur marketing-gewollt hemdsärmelig die uramerikanische Sicht auf die Dinge: Turbo? Kompressor? Nur was für Leute, die mit dem guten alten Hubraum allein nicht weiterkommen. Während der Ford feingeistig auf vier obenliegende Nockenwellen setzt, reicht dem Chevy-V8 – Gruß an den Organspender Corvette – eine. Mit 453 PS toppt er den Ford Mustang (421 PS) trotzdem ebenso, wie er es beim Drehmoment tut: 617 Newtonmeter tropfen hier dampfend in die Achtstufen-Wandlerautomatik (2000 Euro) wie Saft aus dem Ribeye Steak in die Grillkohle. Mit 530 Newtonmetern und 421 PS hat natürlich auch der Ford so viel Fleisch am Knochen, dass jede europäische Konkurrenz dieser Preisklasse wie welkes Gemüse wirkt. Doch am Stammtisch bleibt er zweiter Sieger.
Und er bleibt es auch auf der Messstrecke: Bis 100 km/h liegt er 0,4 Sekunden zurück (5,0 statt 4,6 s), bis 200 km/h mehr als zwei. Jenseits der 250 km/h ist der Camaro ohnehin allein, denn hier regelt der Mustang ab. Den Camaro lässt Chevrolet 290 km/h rennen, doch den Spaß muss man nicht jeden Tag haben: Zum einen gerät die Motorhaube wie die des Ford Mustang schon bei 200 km/h ins Flattern, zum anderen sorgen Querfugen in schnellen Kurven von heckwärts für Unruhe, während der Mustang einfach seine Bahn zieht.
Zum Cruisen reichen 9 Liter Sprit
Power jedenfalls haben beide satt, ohne deshalb ve.rwechselbar zu sein. Denn während der V8 des Chevrolet Camaro 6.2 trotz durchaus vorhandener Laufkultur stets so latent gewalttätig wirkt wie ein gereizter Redneck, hat Ford dem Mustang ein geradezu europäisch anmutendes Triebwerk gebaut mit feinnervigem Ansprechen und bis 7000 Touren reichender Drehfreude. Und statt des gewittrigen Volllast-Beat des Chevrolet Camaro ertönt ein fast schon weicher Achtzylinder-Sound, der auch in München komponiert worden sein könnte.
Weniger Hubraum und weniger Leistung gleich weniger Verbrauch? Sorry, Mustang-Guys, das ist eine Milchmädchenrechnung. Chevrolet knipst dem Camaro-V8 nämlich bei konstantem Tempo schlicht vier Zylinder ab. Das klappt diskret in die eine wie die andere Richtung – und effizient wohl obendrein. Jedenfalls unterbietet der auf Super Plus abgestimmte Chevy den Ford Mustang 5.0 im Testverbrauch um beachtliche 0,8 Liter (12,3 statt 13,1). Beim Cruisen reichen beiden Coupés um die neun Liter – geht doch.
Handschaltung hat ausgedient
Zur Sparsamkeit verhilft dem getesteten Camaro sicher auch die Achtstufenautomatik. Im für den Alltag bestimmten Tour-Modus (es gibt noch welche für Sport, Eis und Schnee oder den Track) bevorzugt sie die höheren Gänge und hält die Drehzahl bei Landstraßentempo im Bereich der 1.000er-Marke. Sie irrt allerdings schon bei leichtem Gasgeben oft etwas planlos durch die vielen Gänge, schaltet unnötigerweise zurück oder reagiert auf Befehle an den billig klickenden Lenkradwippen eher schläfrig.
Viel besser macht es die manuelle Mustang-Schaltung (Sechsgangautomatik: 2.000 Euro) allerdings auch nicht. Der kurze Schalthebel verlangt – vor allem vom fünften in den sechsten – nach einer festen Hand und lässt den Motor in ein tiefes Loch fallen: Der höchste Gang ist so dermaßen lang ausgelegt, dass unterhalb von 160 km/h keine nennenswerte Beschleunigung herauskommt. Wer die volle Leistung auskosten und womöglich am Chevrolet Camaro dranbleiben will, muss de facto mit fünf Gängen auskommen und den Fünfliter ständig auswringen.
Landstraße? Geht. Und wie
Abseits der Geraden wird es erst richtig spaßig mit diesen Westernhelden. Denn die aufwendigen Fahrwerke (Starrachse war einmal) sperren sich nicht gegen Kurven, sie animieren sogar dazu. Schon nach wenigen zunehmend mutiger genommenen Ecken stellt sich in beiden Autos ein Gefühl der Vertrautheit und der Sicherheit ein.
Dabei lässt sich der neutral liegende Camaro auf ebener Piste noch frecher um die Ecken werfen als der Mustang. Der wankt zwar mehr, ist in Könnerhand beim Pylonentanz aber trotzdem leicht schneller als der sehr unübersichtliche Chevrolet Camaro. Mag dessen Magnetic-Ride-Fahrwerk (2.000 Euro) über noch so adaptive Dämpfer verfügen und die Fahrbahn pro Minute 1.000-mal lesen, wie der Pressetext erklärt: Wer zu schnell liest, bekommt eben nicht alles mit.
Und so kommt es auf derben Wellen schon mal zu kleinen Rodeo-Einlagen. Den souveräneren Eindruck macht – wie auch in schnellen Autobahnkurven – daher der konventionell gedämpfte Ford Mustang, obwohl seine Lenkung nicht so fest in der Hand liegt und aus der Mittellage heraus weniger präzise anspricht.
HUD und WLAN im Chevrolet Camaro 6.2
Sein softeres Fahrwerks-Set-up bringt dem Ford natürlich auch Vorteile im Komfort. Wo der Camaro auch wegen seiner flachen Runflat-Reifen hölzern abrollt und dies auch freimütig hören lässt, filtert der Mustang die meisten Grobheiten sanft weg und ist durchweg leiser. Bei 180 km/h ist außer dem wohligen Summen des V8 nicht viel zu hören, während Fahrtwind und Abrollgeräusche im Camaro beträchtlich sind und auf Langstrecken nerven können.
Der Chevy kommt also im Kern rustikaler rüber, von gestern ist er aber nicht. Denn während der Ford sich zum Beispiel nicht mal dazu durchringen kann, Öldruck oder Öltemperatur präzise anzuzeigen, brennt der Chevrolet Camaro ein Info-Feuerwerk ab und kommt serienmäßig mit Head-up-Display, Totwinkelwarner, Spurhalteassistenten und WLAN. Der Ford Mustang 5.0 schweigt zu diesen Themen, ist da fast anachronistisch Old School. Auch deshalb hat der Camaro am Ende die bösen Scheinwerfer knapp vorn. Doch auch der Mustang ist ein Bester aus dem neuen wilden Westen.
Chevrolet Camaro Coupé 6.2 V8 | Ford Mustang Coupé 5.0 Ti-VCT V8 GT | |
Grundpreis | 49.900 € | 44.000 € |
Außenmaße | 4784 x 1897 x 1340 mm | 4784 x 1916 x 1381 mm |
Kofferraumvolumen | 408 l | |
Hubraum / Motor | 6162 cm³ / 8-Zylinder | 4951 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 333 kW / 453 PS bei 5700 U/min | 310 kW / 421 PS bei 6500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 290 km/h | 250 km/h |
0-100 km/h | 4,6 s | 5,0 s |
Verbrauch | 11,1 l/100 km | 13,5 l/100 km |
Testverbrauch | 12,3 l/100 km | 13,1 l/100 km |