Die Zahlen sprechen für sich. Der neue Cupra Leon Sportstourer lässt seinen Vorgänger auf dem Hockenheimring um 3,7 Sekunden hinter sich. Der VW Golf R Variant ist sogar um 5,5 Sekunden schneller als in der letzten Generation, die wir in sport auto 9/2019 getestet hatten.
Damals quälten sich die Kompaktkombis bei Temperaturen von 38 Grad Celsius über die Rennstrecke. Diesmal herrschen perfekte Verhältnisse für ihre Turbomotoren. Der R gewinnt dadurch 8 km/h (!) auf der Zielgeraden und 6 km/h auf der Parabolika. Die 20 PS mehr sind für diesen Zugewinn nicht ausreichend. Der um 10 PS erstarkte Cupra ist 5 beziehungsweise 4 km/h flotter. Das bringt Rundenzeit.
Sommer versus Winter: Das ist sicher ein Teil der Erklärung, warum die beiden massiv schneller geworden sind. Es allein darauf zu reduzieren, wäre aber verkehrt. Vielmehr haben die beiden einen großen Sprung gemacht, weil sich ihre Technik auf dem überarbeiteten Modularen Querbaukasten (MQB Evo) stark weiterentwickelt hat. Beim Golf kann man angesichts der Rundenzeit von einem Quantensprung dank Technikrevolution sprechen.
Der letzte Kick für den Golf
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Der R Variant war immer schon ein gutes Auto. Schnell in der Beschleunigung. Traktionsstark. Akribisch in Kurven. Ein Wühler sicher, eine Allzweckwaffe garantiert, aber ein Entertainer? Eher nicht, dafür spielte das Heck zu wenig mit. Es fehlte der letzte Kick. Genau den versetzt ihm jetzt das neue Allradsystem mit der flexiblen Drehmomentverteilung an der Hinterachse. Der Torque Splitter, den auch Modelle wie Audi RS 3, Cupra Formentor VZ5 und Tiguan R haben, ist so etwas wie ein Game Changer für ihn – hin zu deutlich mehr Querdynamik.
Die Auswirkungen spürt man selbst auf Winterreifen. Was der R Variant aufführt, ist ehrlich gesagt großes Kino. Am Kurveneingang baut er den Spannungsbogen auf. Die Vorderräder zeichnen ihr Profil in die weiße Fahrbahnmarkierung. Im Untergrund, in den Tiefen der Elektronik, zieht der Regisseur, der Fahrdynamik-Manager, bereits die Strippen. Der Golf macht es dem Fahrer leicht. Er kann noch vor dem Scheitelpunkt übers Gaspedal Drehmoment unterrühren. Daraufhin biegt sich der Variant die Hinterpfoten zurecht, verkürzt den Kurvenradius und brettert wie von Zauberhand geführt auf die folgende Gerade. Von wegen Wolfsburg sei bieder, Wolfsburg sei langweilig! Da ist Leben in der Bude!
Cupra ohne Torque Splitter
Durch die zwei Kupplungen hinten hält der R praktisch zwei Schläger in der Hand. Sie spielen und hauen sich die Antriebsmomente in Millisekunden zu. Rechtskurve, Topspin von der linken Seite. Linkskurve, ein Knaller von rechts, sodass sich der Kombi um die Vertikalachse eindreht.
Das Repertoire an Schlägen ist groß. In schnellen Kurven stupst der Torque Splitter das Heck an, damit es einrückt. In Wechselkurven schubst das System die Ladefläche hin und her. In langsamen Ecken renkt es das Hinterteil ein und drückt es am Ausgang ins leichte Übersteuern. So fetzt der R über Landstraßen, turnt beim Sonntagsausflug zusammen mit dem Hyundai i30 N und Ford Focus ST um Ecken und unterhält den Fahrer, ohne zu kaspern. Einen gewissen Ernst behält er dabei aber schon.
Auch der Cupra bespaßt – allerdings mit anderen Mitteln. Der Spanier erzeugt den Eindreh-Effekt nicht, indem er das kurvenäußere Rad gezielt beschleunigt, sondern über äußerst fein dosierte Bremseingriffe auf der kurveninneren Seite. Den neuen Allrad-Trick darf er nicht aus dem Hut zaubern. Der bleibt dem Golf vorbehalten und sorgt dafür, dass sich die Kombis nun stärker voneinander unterscheiden als früher.
In der Lenkung noch nicht wirklich. Die ist in beiden Modellen im Komfort-Modus ziemlich ausgeleiert um die Mittelachse und legt in den sportlichen Fahrstufen im Härtegrad zu. Man hat stets das Gefühl, dass die Räder dranhängen, die Lenkung sie aber nicht so richtig zu fassen bekommt. Im Cupra Sportstourer ist es noch ein wenig besser als im VW.
Beide Kombis driften im Kurvenverlauf auseinander. Im Golf bekriegen die Systeme progressiv die Untersteuertendenz, der Cupra wedelt sie weg. Der Kompakte aus Martorell ist derjenige, der das Heck ausladender vorführt. Er wirft es herum, ohne zu entgleisen. Beim Anbremsen bleibt es noch brav in der Spur. Sobald man die Bremse löst und schärfer einlenkt, lädt es die Querdynamik in den Kofferraum. In den Sportstourer passen 620, mit umgeklappten Rücksitzen sogar bis zu 1.600 Liter. Im Variant sind es zwischen 611 und 1.642 Liter.
Ähnlich schnell im Slalom
Die sportlichen Pragmatiker mit ordentlich Dampf unter der Haube haben sich zu Performance-Praktikern gemausert. Der Golf ist dabei zielstrebiger und wirkt beim schnellen Richtungswechsel straffer. Seine Karosserie neigt sich etwas weniger zur Seite, was man im Alltagsvergleich aber kaum wahrnimmt. Im Slalom schon. Mit einer Geschwindigkeit von 70,2 km/h quetscht sich der VW durch die Gassen. Dabei untersteuert er leicht mit konstant angelegtem Gas. Mit schwererem rechtem Fuß passiert das Gegenteil. Der Allradantrieb hebelt ihn übersteuernd herum.
Die Abstimmung des Cupra ist für den Slalom etwas besser geeignet. Er braucht einen leichten Lastwechsel, um einzufädeln, und schwingt mit dem Hinterteil produktiv mit – immer schön zu kontrollieren und angenehm für den Fahrer. Allerdings nicht viel schneller und beileibe nicht so schnell wie der Vorgänger. Der alte ST hatte mit 71,6 km/h offenbar einen Sahne-Lauf erwischt – oder er profitierte von den Michelin-Semis, die er gegen Bridgestone Potenza Race eingetauscht hat.
Schon nach dem Motorstart macht der Golf klar, wofür er steht. Er wählt "Sport" als Einstiegsprogramm und nicht "Comfort". Ansonsten gibt es die Modi "Race" plus "Drift" und "Special" – Letzteren für Rennstrecken wie die Nürburgring-Nordschleife. Die Dämpfung ist dann nicht bretthart gestellt, sondern weich, um auf Kuppen und über Bodenwellen bestmögliche Traktion zu generieren. Außerdem hält der R die Gänge.
Die zusätzlichen Fahrprogramme sind Teil des R-Performance-Pakets (2.095 Euro), das die 19-Zoll-Leichtmetallräder Estoril sowie eine Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf 270 km/h umfasst.
Golf komfortabler im Alltag
Die in 15 Stufen einstellbaren Dämpfer sind im Cupra inklusive, im R kosten sie zusätzlich. Dafür geht der Cupra im Alltag nicht ganz so breit in den Spagat wie der Golf, der souveräner mit Unebenheiten und Schlaglöchern umgeht. Der Cupra schirmt die Insassen davor nicht so sehr ab, ist im Gegenzug aber kommunikativer.
Ein gewisses Nervpotenzial entwickeln beide. Im Sportstourer ist es das künstliche Motordröhnen durch die Lautsprecher ab dem "Sport"- und besonders im "Cupra"-Modus. Das Auto beschallt den Fahrer, fängt beinahe an, ihn zu belästigen. Die Bedienung ist in beiden Autos fernab von optimal. Das abgeflachte Lenkrad im Cupra hat wenigstens klar abgegrenzte Tasten für Tempomat, adaptive
Geschwindigkeitsregelung, Lenkradheizung und Co. Im VW mit den eingelassenen Touch-Flächen weiß man nie, ob man tatsächlich das richtige Bedienfeld getroffen hat, ob das System den Befehl überhaupt schluckt.
Der Variant R hat den etwas wertigeren Innenraum und leicht schlaffere Sitze. Im Test leistet er sich zwischendrin einen Aussetzer. Draußen ist es an diesem Samstag ziemlich kalt. So kalt aber auch wieder nicht, als dass es gerechtfertigt wäre, dass er den Innenraum in eine Sauna verwandelt. Die Klimasteuerung heizt sinnlos ein, die Touchslider verweigern den Befehl. Stattdessen meldet der VW: "Die Funktion ist nur ohne Anhänger verfügbar." Motor aus – hilft nichts. Irgendwann, so nach 15 Minuten, fängt er sich doch wieder.
R sticht Sportstourer aus
Die Souveränität in Person ist er beim Messen. Im Vergleich zum Vorgänger legt der R in der Spitze um 20 Nm zu – und setzt sich leicht von seinem Konzernkollegen ab. Dieses Mal schaut er dem Cupra nicht auf die Endrohre, sondern entscheidet die Sprintwertungen für sich. Die größere und leichtere Bremse durch den Modellwechsel beschert ihm auch in dieser Disziplin hervorragende Messwerte. Aus 100 km/h steht der Golf-Kombi nach 32,3 Metern. Aus 200 km/h nach 134,7 Metern. Trotz der aufpreispflichtigen Brembo-Bremsanlage hat der Sportstourer das Nachsehen. Für beide gilt: Das ABS regelt um Welten besser als vorher.
Beide knallen rotzfrech: ein wahres Auspuffgewitter und fast zu viel des Guten. In beiden sucht man nach kurvigen Umwegen, bevor es zum Getränkemarkt oder ins Möbelgeschäft geht. Beide legen sich ins Zeug, um im Geschäft zu bleiben – damit sie ja kein SUV endgültig ins Aus manövriert. Argumente liefern beide. Der R steigert sich um acht Gesamtpunkte – im Vergleich zum Vorgänger auf Golf-7-Basis. Der Cupra verliert zwar das direkte Aufeinandertreffen, bietet aber eine ansprechende Leistung. Die 1,9 Sekunden fängt er sich in Hockenheim ein, weil er keinen Torque Splitter hat. Ein bisschen mag auf die Reifen zurückgehen. Die Michelin-Semi-Slicks sind schwer zu toppen.