Die Frage sei erlaubt, ob es mittlerweile tatsächlich so weit gekommen ist, dass nun auch Ferrari beim F12 Berlinetta sich dazu entschließen musste, das Thema Downsizing zur Überlebensstrategie hochzustilisieren – analog zum Trend, dem sich vornehmlich die deutsche Automobilindustrie mit Verve verschrieben hat. Wird in Maranello nun auch verkleinert, verringert, abgebaut und gesundgeschrumpft – wie es der englische Begriff Downsizing nahelegt? Sind die Roten von allen guten Geistern verlassen? Müssen sie in der freien, von engen Reglementskorsetts bislang noch wenig geknebelten Automobilwelt nun auch einer höheren Macht gehorchen? So wie in der Formel 1, wo sie gezwungen sind, mit tumb klingender V6-Turbo-Hybrid-Technik den Visionär zu spielen?
Ferrari F12 Berlinetta mit kürzerem Radstand
Nein, keine Bange: Ferrari verkleinert, verringert und reduziert zwar auch, was das Zeug hält, aber nur dort, wo es nicht wehtut beziehungsweise wo es dem Ergebnis förderlich ist. Beispiele gefällig? Nun, der Radstand des jüngsten großen Zwölfzylinder-Coupés wurde gegenüber dem Vorgänger 599 reduziert – von 2.750 auf 2.720 Millimeter. Auch die Aluminium-Karosserie des zweisitzigen Ferrari F12 Berlinetta ist einem Downsizing-Verfahren unterzogen worden, was – Wunder der Verpackungstechnik – der Innenraumgröße subjektiv sogar zugutekam. So darf sich die äußerst gepflegt untergebrachte Besatzung an einem erstaunlich luftigen Cockpit erfreuen, genauso wie am praktischen Stauraum hinter den Sitzen und am 320 Liter fassenden Gepäckabteil.
Ein Gran Turismo par excellence also – mit vorzüglichen Reise-Genen inklusive 92-Liter-Tank perfekt konfektioniert, um die Tour zum Lago Maggiore oder zum Nürburgring in einem Rutsch genießen zu können. Die auch für groß gewachsene Mitteleuropäer entspannte Sitzposition, eine gute Übersichtlichkeit, der Abrollkomfort und nicht zuletzt die moderaten Fahrgeräusche geben Anlass, ein Loblied auf die Fahrkultur dieser jüngsten Zwölfzylinder-Alternative namens Ferrari F12 Berlinetta anzustimmen.
Windschnittiger, stärker und leichter
Der konstruktiven Downsizing-Aktivitäten damit aber nicht genug: Auch der cw-Wert ist kleiner geworden, der CO2-Ausstoß wurde um 30 Prozent reduziert, die Fahrzeugmasse um 33 Kilogramm abgesenkt und das Leistungsgewicht deutlich verringert (von 2,8 auf 2,3 Kilogramm pro PS).
Und wenn wir schon dabei sind, den vor allem unter Motorenentwicklern lieb gewonnenen Anglizismus zu strapazieren, dann bemühen wir zu guter Letzt auch noch die im Vergleich zum Vorgänger verringerten Werte für Beschleunigung, Bremsweg und Rundenzeiten. Ein schlichtes, wirkungsvolles Prinzip: kleinere Zahlen, größere Wirkung – Downsizing at it's best! Und das alles, um das Herzstück des Ferrari F12 Berlinetta, den Motor, ins beste Licht zu rücken und ihm zu neuer, ungeahnter Größe zu verhelfen.
V12-Sauger als Meilenstein der Motortechnik
Selbstverständlich handelt es sich dabei – die Tradition schreibt es so vor – wieder um einen ausgewachsenen Zwölfzylinder. Wie gehabt mit üppig eingeschenktem Hubraum, nämlich knapp 6,3 Litern – und als Sauger den Trend zur Turboaufladung bewusst missachtend. So, wie sich diese vom Layout her klassische 65-Grad-Konstruktion präsentiert, wird ihr der Status als Meilenstein wahrscheinlich für immer und ewig erhalten bleiben.
Natürlich bedient sich dieser Zwölfzylinder-Saugmotor im Ferrari F12 Berlinetta aller erdenklichen Kniffe und Tricks, um mögliche Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Festhaltens an traditioneller Motorenbaukunst im Keim zu ersticken: Die hohe Verdichtung von 13,5:1, die minimierte Innenreibung und der perfektionierte Ansaugtrakt mit exakt angeglichenen Ansaugwegen und neuem Resonanzsystem, das bei den Gaswechseln für Aufladungseffekte sorgt, sind nur ein paar Beispiele, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären.
Wer je den extrem seidigen Motorlauf gefühlt, die Drehfreude gespürt und vor allem die schier unglaubliche Spontaneität der Gasannahme reflektiert hat, kommt nicht umhin, diesen von großer innerer und äußerer Schönheit geprägten Verbrenner sofort zum Traum seiner schlaflosen Nächte zu deklarieren.
Akustische Gänsehautschauer
Und dann dieser Klang! Ob im Leerlauf, im Schiebebetrieb oder im V12-Drehzahl-Himmel jenseits von 8.500 Umdrehungen – die Gänsehautschauer jagen einem im Ferrari F12 Berlinetta über die Arme, den Nacken hinauf und den Rücken herunter – und wieder zurück.
Die betörende Musikaufführung ist lautstärkemäßig aber keineswegs von Willkür geprägt, sondern folgt über das gesamte, klanggewaltige Spektrum hinweg der Vorgabe des Taktgebers. Oder anders ausgedrückt: Der Motor kann auch leise und kultiviert, wenn das Gaspedal gestreichelt und die Drehzahlgier des direkt vor den Füßen des Fahrers liegenden V12-Motors im Zaum gehalten wird.
Der vibrationsfreie Motorlauf und das unnachahmliche Ansprechverhalten des Ferrari F12 Berlinetta bilden zusammen mit dem extrem konstruktiv arbeitenden Schaltapparat ein Rahmenprogramm von unvergleichlicher Intensität. So unmittelbar die Reaktionen des V12, so direkt und verzögerungsfrei arbeitet nämlich auch das zwecks Gewichtsausgleich vor der Hinterachse platzierte Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe. Zur linearen Leistungscharakteristik des V12 im Ferrari F12 Berlinetta passend gestuft, liefert es bei jedem Gangwechsel aufs Neue den entzückenden Beweis für die ungeheure Effizienz, die diesem exklusiven Antriebsstrang innewohnt.
747 PS für 7.33 Minuten auf dem Ring
Damit wir uns richtig verstehen: Hier ist die Effizienz hinsichtlich der PS-Ausbeute gemeint, nicht die in Sachen Spritverbrauch. Welche Möglichkeiten sich angesichts der zur Verfügung stehenden Leistung – nominell 740 PS; laut Prüfstandsprotokoll sogar 747 PS – eröffnen, lässt sich nicht nur an den Beschleunigungsorgien ablesen (3,2 Sekunden bis 100 km/h; 9,1 bis 200 km/h), sondern auch und vor allem an den Rundenzeiten.
Gemessen an seinem Auftritt als Gran Turismo, seinem umgänglichen Charakter und mithin den liebenswerten Alltagsbezügen reibt man sich vor allem angesichts der schnellen Ring-Umrundung mit dem Ferrari F12 Berlinetta nur verwundert die Augen: 7.33 Minuten – wo nimmt dieses vollgetankt 1.715 Kilogramm schwere Sportcoupé nur diese enorme Durchsetzungskraft her?
Enorme Fahrbarkeit bei atemberaubender Leistung
Es ist keineswegs allein die atemberaubende Leistung, die den Ferrari F12 bei jeder kleinsten sich bietenden Gelegenheit förmlich nach vorn schnellen lässt. Das PS- und Drehmomentpotenzial ist Bestandteil eines hochkomplexen Gesamtsystems, das – ineinander verschachtelt und elektronisch vernetzt – dem Fahrer nach klar definierten Kriterien die größtmögliche Handlungsfreiheit beim Umgang mit Hunderten von PS im Ferrari F12 Berlinetta gewährt.
Unterm Strich ist es vor allem die beispielhafte Fahrbarkeit, die dieses Coupé auszeichnet – selbst im Zustand geringer elektronischer Eingriffe. Wer angesichts des Frontmittelmotor-Konzepts einen ausgewiesenen Untersteuerer erwartet hätte, wird ebenso eines Besseren belehrt wie derjenige, der im Ferrari F12 Berlinetta aufgrund des latenten Leistungsüberschusses an der Hinterachse einen potenziell angsteinflößenden Übersteuerer vermutet. Beide Untugenden widerlegt das im Sinne der Wortzusammensetzung tatsächlich groß-artige Ferrari-Coupé mit begeisternd neutralem Fahrverhalten.
Durch die 300 km/h-Schallmauer
So gibt es fast nichts, was den Ferrari F12 Berlinetta groß aus der Ruhe bringen könnte, weder im Kurvengrenzbereich noch bei extrem schneller Geradeausfahrt weit jenseits der 300-km/h-Schallmauer, die sozusagen mit einem Schnipp des Gasfußes jederzeit durchbrochen werden kann.
In diesem Gesamtkontext spielt das besondere Set-up des mit einem variablen Dämpfersystem ausgerüsteten Ferrari F12 Berlinetta eine geradezu wundersame Rolle. Wer nämlich den Ferrari in Erwartung eines klassisch auf Fahrdynamik hin getrimmten Supersportlers entert, fragt sich schon nach wenigen Kilometern angesichts der unerwartet konzilianten Abstimmung, wie um Himmels willen unter diesen Voraussetzungen ein solch überragendes Fahrdynamikprogramm auf die Räder gestellt werden konnte. Der Trick ist nicht neu: Die Radlastverschiebungen sind umso ausgeprägter, je mehr Nick- und Wankneigungen seitens der Karosserie anliegen.
Exaktes und verlässliches Set-up
Die Traktion profitiert davon ebenso wie das Einlenkverhalten. Tatsächlich legt sich die Berlinetta, gerade was diese Kriterien anbetrifft, mächtig ins Zeug. Das Set-up mit weich oder gar schwammig zu umschreiben, wäre trotzdem falsch: So verlässlich, ruhig, gelassen und exakt wie mit der Ferrari F12 Berlinetta ist noch selten eine Ring-Runde in so knapper Zeit geglückt.
Nur an drei Stellen – Quiddelbacher Höhe und den beiden Sprunghügeln am Pflanzgarten – wusste die automatische Damping-Control SCM-E plötzlich nicht mehr so recht, wie ihr geschah: Ob es Freudensprünge waren oder schlicht die Folgen zu weicher Federraten und/oder schwacher Zugstufendämpfung, interessierte nach der Zieldurchfahrt aber keinen mehr.
Tendenziell ist das Set-up des Ferrari F12 für die Nordschleife etwas zu weich. Wer die Rundreise am Ring mit der Berlinetta jedoch einmal erlebt hat, möchte es anschließend gar nicht mehr anders haben. Die Fahrsicherheit ist beeindruckend und der Fahrspaß ungebremst. Die Flugphasen auf den drei Sprunghügeln sind gewöhnungsbedürftig, die Landungen aber unproblematisch, weil verlässlich auf allen vieren. Das spricht für die gute Gewichtsverteilung und für eine ausgewogene aerodynamische Balance. Selbst aus Versehen halb mitgenommene Curbs steckt das Fahrwerk ungerührt weg. Mit 740 PS auf der Nordschleife, und das mit solch traumwandlerischer Sicherheit – ein echtes Privileg.
Ungeachtet der vergleichsweise ausgeprägten Wank- und Nickneigungen macht das F12 Berlinetta Coupé auch auf dem Kleinen Kurs nur Freude. Dank der wunderbar direkten, mit perfekter Rückmeldung arbeitenden Lenkung bringt der Ferrari eine Fahrdynamik zustande, die ihm aufgrund seiner Statur eigentlich gar nicht zugetraut wird. Das Grenzbereichsverhalten ist absolut neutral. Eigenlenkverhalten? Top. Traktion? Wirklich grandios. Bremse: ohne negativen Befund, sieht man einmal davon ab, dass sie (und die Reifen) ein gewisses Wärmebedürfnis haben, um letztlich die Verzögerungsleistungen von bis zu 12,6 m/s2 zu liefern.
Mit Ausnahme des Porsche 918 Spyder kennt die Berlinetta keinen Gegner, wenn es um Längsdynamik geht. Verblüffend, mit welcher Kraft, Ausgefeiltheit und Routine der Hecktriebler Tempo zur Beliebigkeit werden lässt. Der Motor ist der Hammer; das Getriebe ein Katalysator der Kraft.
- Beschleunigung 0-200 km/h:
- 9,1 s
- Bremsen 200-0 km/h:
- 4,4 s
Laut Angaben von Ferrari beträgt der Gesamtabtrieb der F12 Berlinetta bei 200 km/h 123 Kilogramm – und das ohne die sonst üblichen Hilfsmittel wie Frontsplitter und Heckflügel. Gegenüber dem Vorgängermodell 599 entspricht dies einer Verbesserung von knapp 100 Prozent.
- Vorderachse bei 200 km/h:
- 43 kg Abtrieb
- Hinterachse bei 200 km/h:
- 80 kg Abtrieb
Der positive Einfluss der Michelin-Pilot-Sport-Cup-2-Bereifung (Dimension: 265/35 R 20 vorn; 325/30 R 20 hinten) ist offensichtlich. Solch hohe Querbeschleunigungen lassen sich nur mit Sportreifen realisieren. Die technischen Grundvoraussetzungen sind dennoch allererster Güte: Die Gewichtsverteilung, die Schwerpunktlage, die aerodynamische Balance – alles in bester Ordnung.
Im schnellen Slalom wird deutlich, dass der Alltagskomfort weit oben im Lastenheft stand. Die erreichte Geschwindigkeit geht für einen Gran Turismo dieser Gewichtsklasse absolut in Ordnung, ist aber auch das Resultat der montierten Sportreifen Michelin Pilot Sport Cup 2. Eine straffere Fahrwerksabstimmung und vor allem etwas härtere Stabis hätten ihm hier vielleicht etwas mehr eingebracht.
Durch das höhere Gripniveau der Cup-Bereifung wird die ohnehin schon starke Seitenneigung der Karosserie noch verstärkt. Kleinere Korrekturen sind wegen der weichen Stabilisatoren nicht ganz einfach. Mit elektronischer Hilfe gibt sich der Hecktriebler absolut friedfertig. Überdies werden mit aktiviertem ESP annähernd die gleichen Geschwindigkeiten erreicht wie ohne.
Fazit
Die jüngste Berlinetta von Ferrari ist eine Überraschung, ja, sie begeistert und verlockt – kurzum: Sie kann einen tatsächlich um den Verstand bringen. Praktisch und umgänglich veranlagt und ohne Allüren im Alltagsbetrieb unterwegs, erlaubt sie, es mit ihr auch auf dem Rennparcours so richtig krachen zu lassen, dass der Konkurrenz die Spucke wegbleibt. Für Ferrari will ich es wirklich nicht hoffen, dass der Preis für einen gebrauchten F12 ähnlich tief fällt wie der für den Vorgänger 599. Was mich betrifft, aber schon …
Ferrari F 12 Berlinetta | |
Grundpreis | 268.328 € |
Außenmaße | 4618 x 1942 x 1273 mm |
Kofferraumvolumen | 320 bis 500 l |
Hubraum / Motor | 6262 cm³ / 12-Zylinder |
Leistung | 545 kW / 741 PS bei 8250 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 340 km/h |
0-100 km/h | 3,2 s |
Verbrauch | 16,3 l/100 km |