Die gute alte Zeit wird mit jedem neuen Jahr noch älter und besser. Diese Verklärung kommt vom Betrachter, der ja auch immer älter (und besser) wird. In den 70er-Jahren zum Beispiel war das Auto eine Stilikone seiner Zeit, ein Traumobjekt, Anlass für rückhaltlose Verzückung. Autos waren Stars, auch im Kino: Der Mustang -Pilot Frank Bullitt (Namen waren damals schnell) lieferte sich im gleichnamigen Film über eine Länge von 10,53 Minuten ein Verfolgungsrennen mit Auftragskillern. Dabei fällt kein Wort. Stoiker Bullitt verzieht kaum eine Miene. Kein Tropfen Schweiß fließt, kein Driftwinkel droht, unbeherrschbar zu werden.
Der Film schlägt die Realität: Die Reifen quietschen selbst dann, wenn die Autos auf sandiger Unterlage unterwegs sind – Hollywood halt. Und bevor der mürrische Hitman mit seiner Pumpgun aus dem Dodge Charger auf Bullitt schießt, kurbelt er noch ganz höflich die Heckseitenscheibe herunter – damals hatte man einfach noch Respekt vor Autos!
Normale Leute, die den Film damals in Idaho im Kino sahen, müssen gedacht haben: einmal so cool sein wie Bullitt-Darsteller Steve McQueen! Nur einmal einen blauen Rollkragenpullover mit einem braunen Sakko kombinieren – und einen montanagrünen Ford Mustang fahren! Jedem Mann in Idaho wären alle Frauen nur so zugeflogen!
Die Frage: Ist dieser Mythos übertragbar, durch die Zeit hindurch sozusagen? Ford hat zum dritten Mal ein Bullitt-Sondermodell auf Basis des Mustang aufgelegt. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Burschen, die 1990 oder 2000 geboren wurden, einen Bullitt-Mustang kaufen. Richtet sich das Angebot folglich nur an jene, die in den 70ern, als der Film herauskam, 20 Jahre alt waren und die heute noch mal Bullitt spielen wollen? Also cool sein wollen im Sinne der 70er, die eh immer cool waren? Oder ist der Bullitt-Mustang eine Adrenalinspritze für den Vertrieb: Sondermodell plus strenge Limitierung gleich große Kasse?
Nehmen wir Ford hier ein bisschen ernster, sie haben es verdient: Denn die Zeiten sind gottlob vorüber, als der ganze Ford Mustang bestenfalls eine Zeitreise in die Vergangenheit war – egal ob mit oder ohne Bullitt-Zusatz. Der aktuelle und modellgepflegte Mustang ist kein US-Blender, wie der Einzeltest vor zwei Monaten schon ergab (siehe Heft 12/2018): ein Power-Coupé klassischer Schule, das nicht erst seine Hotpants und Schlüpfsandalen mit klackerndem Holzabsatz abstreifen muss, um auf der Rennstrecke mal karriolen zu können.
Raquel Welch tanzt auf der Haube
Er kann übrigens alles mindestens so gut wie ein Audi RS 5 – mindestens, zum halben Preis. Womit wir nebenbei auch erklärt hätten, warum sich der Mustang in den letzten Jahren in Deutschland mit Porsche 911 und Audi TT um die Spitzenplätze bei der Zulassungsstatistik im Sportwagensektor kloppt.
Der Charme des Ford Mustang wurde erfolgreich revitalisiert, er lebt nicht von Nostalgie, sondern Aktualität: So baut man ein V8-Coupé mit 450 PS für 40.000 Euro und lässt dabei einige anderer Hersteller echt alt aussehen lässt – auch einige aus D-Autoland.
Beim Endkunden macht der Mustang eh kurzen Prozess. Er braucht keine zwei Stunden, und man gehört ihm. Schmarrn, es dauert einen Knopfdruck! Und dann räkeln sich Raquel Welch, Bo Derek und Farrah Fawcett zu dritt auf der Motorhaube. Männerherzen schmelzen bei dieser Kombination aus Halluzination und Sirenenklang dahin, von jetzt auf gleich. Der Startknopf im Mustang ist die Nabelschnur in der Beziehung zwischen Pilot und Auto, Mensch und Maschine. Der V8 klingt warm und wolkenlos, trotzdem dumpf und drohend. Im Zeitalter des Turboeinheitsbreis erzeugt der Bullitt Herzflimmern. Und er ist ein Beweis, dass früher alles besser war.
Diese Begeisterung kennt keine Grenzen. Einige Fahrer werden sich dabei ertappen, dass sie den Motor mehrfach hintereinander anlassen, um mit kindlicher Freude zu registrieren, dass sämtliche Alarmanlagen der anderen in der Tiefgarage geparkten Fahrzeuge im Nu anspringen. Fast so, als wollten sie dem Mustang Bullitt salutieren. Fast so, als würden sie ihn um seine Musikalität beneiden. Selten waren Kaltstarts so herzerwärmend!
Oft entscheiden jedoch Millimeter, ob die Authentizität in Anachronismus umkippt. Es ist erstaunlich, wie Ford es schafft, nicht umzukippen, sondern stilsicher in die eine Kerbe zu dreschen, die alles echt macht und zusammenhält. Sogar beim Sondermodell Mustang Bullitt, das – seien wir ehrlich – aufgrund des Ausstattungsumfangs am Grat zum Kokolores entlangwandelt. Für 12.600 Euro Mehrpreis bekommt man neben einem beliebigen Goodie-Paket substanziell das: einen montanagrünen Ford Mustang mit zehn PS mehr, neuen Felgen, speziellen Türverkleidungen sowie Sitzen mit montanagrünen Ziernähten. Der Restist Ford Mustang GT. Halt, zwei Sachen vergessen: schwarzer Kühlergrill (könnte man mitder Sprühpistole selber machen) und Bullitt-Emblem auf der Heckklappe. Und: Schaltknauf im Bullitt-Design! Ford hat als Schaltknauf eine Billardkugel hergenommen – und ohne Scherz: Das ist superauthentisch und überhaupt nicht anachronistisch!
Reichen 10 PS für Wunder? Ja!!!
Guter Stil ist die Summe von Kleinigkeiten. So ist der Bullitt eine geile Karre geworden. Auch beim Fahren? Wer von anderen Herstellern gewohnt ist, dass Sondermodelle sonderbar schnell sind, dem hilft die Mathematik kurz auf die Sprünge: Zehn PS reichen nicht für Wunder, es sind nur zwei Prozent mehr. Der modellgepflegte Mustang GT überzeugte uns vor zwei Monaten auf dem GP-Kurs in Hockenheim mit einer Rundenzeit von 2.02,0 min. Aber beim Miraculix: Jetzt schafft der Bullitt sogar 1.59,8 Minuten – damit ist er übrigens exakt zwei Prozent schneller als der GT ...
Doch diese eingängige Gleichung (Leistunggleich Rundenzeit) ging so bekanntlich nie auf, auch nicht beim Bullitt. Die Wahrheit ist ein Schachtelwesen: Am Limit reagierte der Bullitt diesmal weniger aggressiv auf den Gas-einsatz am Kurvenausgang als der GT, gefühlt mit mehr Schlupf. Seit der Modellpflege muss man ja mit einem länger übersetzten Getriebe vorliebnehmen, der zweite Gang geht nun fast bis 120 km/h. Da kostet eine aggressive Gasannahme mit knackigem Übersteuern im niedrigen Gang halt Zeit, der Fahrer muss härter rackern für seine Rundenzeit. Dieser Bullitt war konzilianter, dazu kam der übliche Blumenstrauß: Es war ein bisschen kühler, die Strecke war sauberer und trockener und damit einfach schneller, also zwei Zehntel da und drei Zehntel hier. Es war also alles so wie bei den Experten im Touristikverkehr auf der Nordschleife – die Unaussprechlichkeit des Unerklärlichen.
Und natürlich die zehn PS, die uns der offen liegende Luftfilter zugefächelt hat! Auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: Der Punkt beim Mustang ist nicht, ob er 1.59 oder 2.02 Minuten fährt, und der Punkt beim Bullitt ist nicht, ob er auf dem Weg von Hollywood nach Hockenheim zwei Sekunden gefunden hat. Wer sich einen Mustang in den Stall stellt, bekommt kein Rennpferd, sondern ein leicht verwildertes Hauspferd. Weil es in der Jugend zu viele Burger verspeist hat, tritt es mit 1.759 Kilo nicht in der automobilen Bantamgewichtsklasse an.
Hier kommen wir zum größten Unterschied: Die europäischen Topgestüte schaffen es, die adipösen Pölsterchen gut zu verstecken, sodass man sie fast nicht sieht oder spürt. Über die Lenkung, über das Set-up. Der Ford Mustang ist ehrlicher: Die Kilos sind da, und man spürt sie. Und das erzeugt eine gewisse Grundlabbrigkeit, die man akzeptieren muss. Man muss sie auch respektieren: Wer versucht, den Mustang gegen seinen Willen in die Kurve zu knechten, der wird Zeit verlieren. Er will sanft am Zügel geführt werden, mit leichtem Schenkeldruck. Und die Reitgerte sollte man am besten gleich zu Hause lassen.
Von Hollywood nach Hockenheim
Es ist unterm Strich sehr respektabel, wie der Mustang über die sport auto-Hürden stiebt: In Hockenheim ist er wie erwähnt zwei Sekunden schneller als ein Audi RS 5 – und fast gleich schnell wie der alte BMW M2. Der Mustang ist kein Rennwagen, aber er leistet viel mehr, als man ihm im ersten Augenschein zutraut. Nur ein Beispiel: Die Sechskolbenbremse von Brembo funktioniert auch im gespreizten Galopp ohne jede Auffälligkeit und mit hervorragenden Werten. Gut, die Launch Control ist völliger Mist – aber herrje, jeder hat sein Päckchen zu tragen.
Haben Sie die wortlose Elf-Minuten-Verfolgungsjagd bei „Bullitt“ jemals gesehen? Das Duell montanagrüner Ford Mustang 390 GT Fastback von 1968 gegen dunkelbraunen Dodge Charger R/T 440 gewann Detective Frank Bullitt übrigens nur, weil der eigentlich bei der Leistung deutlich unterlegene Mustang von Ford mit viel Aufwand aufgepäppelt wurde. Auch sonst stimmt in dem Film so manches nicht: Der Dodge wirft bei der Verfolgungsjagd mehr Radkappen ab, als er Räder hat. Und bei allen Onboard-Aufnahmen schaltet Mustang-Pilot Steve McQueen immer nur hoch – aber niemals herunter. Der Mustang war halt schon immer ein Aufschneider. Die gute alte Zeit wird mit jedem neuen Jahr immer besser.
Ford Mustang Coupé 5.0 Ti-VCT V8 Bullitt | |
Grundpreis | 53.800 € |
Außenmaße | 4789 x 1916 x 1381 mm |
Kofferraumvolumen | 408 l |
Hubraum / Motor | 5038 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 338 kW / 460 PS bei 7000 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
0-100 km/h | 5,2 s |
Verbrauch | 12,6 l/100 km |