Menschenskinder, das war schon einer, dieser Carroll Shelby: Hühnerfarmer, Le-Mans-Sieger, Tuner, Konstrukteur, Teamchef – und alles unter einem Hut. Vor allem aber war er ein Typ, wie er im Rennsport heutzutage fehlt, einer, der Dinge beim Namen nannte, statt sich wie seine neumodischen Kollegen nur noch an Leitfäden um sie herumzuwinden. Der Legende nach soll ihm der große Enzo Ferrari Mitte der 50er das Angebot unterbreitet haben, für ihn zu fahren – ehrenhalber und unentgeltlich, versteht sich. Die Antwort fiel texanisch aus: mit ausgestrecktem Mittelfinger und dem Versprechen, dem Commendatore ordentlich in den Hintern zu treten. Der Rest ist Geschichte: Shelby entwickelt die Cobra und später unter Fords Ägide den GT40, der den Worten schließlich Taten folgen ließ.
Ford Mustang Shelby GT350: Wie immer, aber ganz anders
Und auch wenn Shelby seit vier Jahren nicht mehr unter uns weilt, die Mustang , die bis heute in seinem Namen entstehen, tragen immer noch seinen Geist in sich. Sie sind Statements, klare Ansagen, und in ihrer Gestik gern mal ein bisschen vulgär. Und sie sind Typen, wie Shelby selbst einer war. Echt, kantig. Schon weil sie nichts verklausulieren, keine Armee an Sensoren auffahren, die möglichst schnell und möglichst genau errechnen, wie man so schnell und genau wie möglich durch Kurven kommt. Stattdessen hast du bei ihnen immer das Lenkrad in die eine Hand genommen, das Herz in die andere, hast versucht, dich mit zusammengekniffenen Pobacken an der Ideallinie festzuhalten, und gehofft, dass was Anständiges rauskam am Schluss.
Beim neuen Ford Mustang GT350 ist nun alles ganz anders und doch irgendwie wie eh und je. Auch er funktioniert primär nach dem Prinzip der Handarbeit, und auch er verbiegt sich nicht – schon gar nicht für irgendwelche sportwagnerischen Verhaltenskodizes, die uns 911 und Konsorten in den vergangenen Jahren als Benchmarken eingeschliffen haben. Allerdings – und das ist der Punkt, an dem man die alten Klischees fürs Erste einmotten darf – bekommt er seine Performance nun nicht mehr mit dem Vorschlaghammer herausgehauen.
Lassen Sie's mich so erklären: Bisherige Shelby-Mustang lösten fahrdynamische Problemstellungen auf uramerikanische Art: über Motorleistung und die in diesem Zusammenhang ja gern genommene Viel-hilft-viel-Philosophie. Nicht, weil man wollte – oder zumindest nicht nur, weil man wollte; sondern auch, weil es das einzige Mittel war, überhaupt irgendwas aus der störrischen Basis rauszuholen. Knackpunkt war stets die Starrachse, die der Mustang fünfzig lange Jahre als roten Faden mitschleifte und die die Agilität – sehr freundlich formuliert – schon etwas verknöcherte. Oder um es in Zahlen auszudrücken: So ein 671 PS starker Shelby GT500 ging in Hockenheim 1.14,4 min. – also genauso schnell wie heute ein BMW X5 M, der allerdings mehr als 500 Kilo schwerer und knappe 100 PS schwächer ist.
Im Zuge des Modellwechsels haben sie den Mustang nun von dieser chronischen Klumpfüßigkeit kuriert – mit vier einzeln aufgehängten Rädern und durchaus beeindruckenden Konsequenzen, wenn man sich anschaut, wie so ein stinknormaler GT 5.0 da über die Strecke turnt.
Leicht ist er immer noch nicht, aber schnell, sogar fast so schnell wie der sportbereifte Boss 302 LS. Und dabei ist er nur der Ausgangspunkt, an dem die Shelby-Versionen ansetzen. "Versionen" deshalb, weil es zwei gibt, den regulären 350er und dessen R-Version, die man um Komfortklimbim wie die Klimaanlage entbeint und der man dafür Sportreifen und Felgen aus Kohlefaser umschnallt. Prima, haben wir gedacht und zum Geiger Karl gesagt, nehmen wir doch gleich den Anständigen! Der hat darauf erst mal gelacht, Stories über absurde Summen erzählt, die Amis gerade allein für die Option bezahlen, einen 350R bekommen zu können, uns dann aber versichert, dass schon das zahmere Modell ein überaus anständiges sei.
Die dunkle Seite der Acht
Nun sollte man vielleicht noch vorwegschicken, dass der Autor ganz bestimmt keiner ist, der gleich wie Sprühkäse dahinschmilzt, sobald ihn ein V8 anblubbert, dazu sind die persönlichen Vorlieben einfach zu feinmechanisch, zu europäisch und vielleicht auch zu engstirnig. Aber was die Jungs aus Fords Performance-Abteilung da fabriziert haben, begeistert unabhängig von der eigenen Glaubensrichtung: die Kurvengourmets ebenso wie die vereinigt-staatlichen Pony-Car-Patrioten, die ihre Fahrdynamik ja am liebsten rustikal genießen – knochig, flachsig, roh. Grundlage der Völkerverständigung ist das tiefergelegte Fahrwerk, das nun mit allen vieren in die Fahrbahnoberfläche rastet, dabei aber nie Gefahr läuft, als zu filigran empfunden zu werden. Mit seiner gefestigten Kinematik und der versteiften Karosserieanbindung verschraubt es den Ford Mustang GT350 richtig fest zwischen Lenkeinschlag und Kurvenverlauf, zieht in Kurven hinein und mithilfe der reaktiven Dämpfung praktisch ohne Seitenneigung hindurch. Präzise und handfest. Dabei wird man dann schon mal von Bodenwellen angerempelt oder lungert ungewollt in Spurrillen herum, was seine traditionsbewusste Anhängerschaft aber sicherlich weit weniger stören wird als die Tatsache, dass er – wie bringe ich Ihnen das jetzt schonend bei? – einem nun bei Bedarf etwas entgegenkommt.
Nein, kein Scherz, der Gusseiserne wird flexibel: nimmt auf Knopfdruck die Fahrwerkshärte zurück, wechselt zwischen drei Lenkungs-Härtegraden und/oder fünf Fahrmodi, die Gasannahme, Klangfarbe der Abgasanlage und Stabilitätskontrolle sinngemäß modulieren.
Bevor Sie jetzt aber gleich losteufeln, den Ford Mustang GT350 des Rufmords bezichtigen oder blindlings zu General Motors konvertieren (wo die Steinzeit mittlerweile ja auch abgelaufen ist), lassen Sie sich gesagt sein, dass er trotz aller Zugeständnisse an die Moderne derselbe Anarchist geblieben ist, der er schon immer war.
Nur geht die Rebellion nun eben vom Motor aus. Denn ausgerechnet jetzt, wo auch der letzte Laden das Zeitalter der Aufladung einläutet, beenden die Shelby das ihrige. Seit der Wiedergeburt der besonders wilden Mustang im Jahr 2007 leben sie mit Kompressoren zusammen, und aufgrund der erwähnten Fahrwerksdefizite vor allem auch von ihnen. Jetzt jedoch, wo die Basis eine ausgefeilte ist, der Motor also nichts mehr kompensieren muss, darf er korrespondieren. Oder ganz simpel gesagt: Der Ford Mustang GT350 bekommt genau das, was er ab sofort verdient: einen Saugmotor, und was für einen!
Der sogenannte Voodoo-V8 holt 533 PS aus 5,2 Litern Hubraum – was sich, wenn man bedenkt, wie unverhältnismäßig Liter- und Leistungszahl in Amerika für gewöhnlich zusammenhängen, tatsächlich ein wenig nach schwarzer Magie anhört. Sein Geheimnis liegt zum einen in der hohen Verdichtung von 12,0 : 1, zum anderen in einer um 180 Grad gekröpften Kurbelwelle, wie sie außerhalb des Rennsports nur Großkaliber vom Schlage eines Porsche 918 Spyder oder Ferrari 488 GTB einsetzen.
Was steckt dahinter? Im Gegensatz zum gängigen Crossplane-Konzept, bei dem die Hubzapfen im 90-Grad-Versatz, also kreuzförmig, um die Kurbelwelle angeordnet sind, liegen sie sich bei jenem Flatplane-V8 gegenüber – oder besser gesagt: in einer Ebene. Dadurch reduziert sich die Rotationsträgheit, außerdem können die Gegengewichte für den Massenausgleich geringer ausfallen.
Das spürt man im bissigen Ansprechverhalten und vor allem in der Drehfreude, die trotz des stattlichen Hubs bis 8.250/min reicht. Und: Man hört es. Aufgrund der besonderen Zündfolge entsteht ein pulsierender Rhythmus, eine Art Stakkato aus Paukenhieben, gefühlsmäßig irgendwo zwischen Gewehrfeuer und Schlagbohren – nur hübscher. Bis kurz vor 3.000/min ist der Schub wegen der scharfen Nocken etwas stumpf, darüber jedoch steppt der Bär mit Schmackes vorwärts. Hart, herrlich und beim Ford Mustang GT350 mit 582 Nm maximal.
Schade nur, dass der Mustang der Brutalität, mit der der Apparat zu Werke geht, nicht immer ganz gewachsen scheint. Beim Ausdrehen in langen Kurven hat man das Gefühl, der straffe Schub böge das gesamte Fahrgestell mit; zackige Gangwechsel fahren ihm derart ins Gebälk, dass schon mal das Heck versetzt; und wenn die Launch Control den Motor mit mindestens 4.000/min von der Kupplung plumpsen lässt, schlackern die Antriebsstränge kreuz und quer durch die Karosserie – fast wie zu seligen Starrachsen-Zeiten, nur dass die Hinterräder nun eben unabhängig voneinander trampeln.
Beim Ford Mustang GT350 musst du lockerlassen
Und so prügelst du dann durch Hockenheim. In der Frontscheibe die Projektion der Leuchtdiodenleiste, die den Drehzahlbegrenzer anzählt; rechts von dir der Schaltstock des Tremec-Getriebes mit seinen kurz-prägnanten Gassen und einem absurd lang übersetzten sechsten Gang; und vor dir das verschachtelte Mittendisplay, das zum Beispiel weiß, dass die Zylinderkopftemperatur just in diesem Moment bei 96 Grad Celsius liegt.
Aha, denkst du da, als die monumentalen Brembos mit sechs Kolben an der Vorder- und deren vier an der Hinterachse zupacken. Kein Ermatten des Pedalgefühls, kein Eintauchen des Vorbaus – trotz stattlicher 1731 Kilogramm. Gleich wird der GT350 einbiegen in die Nordkurve, mit seinen 295er-Vorderreifen (!) am Scheitelpunkt einhaken, um dann, wenn er über den Außencurb rappelt, die letzten Vorurteile abzuschütteln – so malt man es sich zumindest aus.
Allerdings schafft es der Ford Mustang GT350 irgendwie nicht, diese Unerbittlichkeit, mit der er Landstraßen niederringt, bis in den Grenzbereich durchzuziehen. Dort hat er auf einmal mit sich selbst zu kämpfen, verkrampft beim Einlenken, drängt ins Untersteuern und fühlt sich kopflastiger an, als er faktisch ist. Primär in engen Ecken, klar, aber eben auch in schnellen, was sich schon etwas mulmig anfühlt bisweilen. Bedeutet: Wer ihn auspressen will, muss lockerlassen, ihm Zeit geben, bis sich die Frontpartie fängt, und dann sachte Drehmoment anlegen, damit die Torsensperre greift.
Nur hüte dich davor, ihn zu provozieren. Sonst reagiert er texanisch, verkantet mit seinem sturen Fahrwerk, schlägt um sich, um dir, falls du doch versuchen solltest, ihn über Gasstöße herumzuhebeln, gehörig in den Hintern zu treten – aber das liegt ja anscheinend in der Familie: Der gute Enzo wüsste jedenfalls ein Lied davon zu singen.
Fazit
Der Ford Mustang GT350 ist ein groteskes Auto: Mit seiner zeitgemäßen Fahrwerksarchitektur fährt er satter und agiler an als jeder Shelby zuvor. Bei Weitem sogar. Und dann, auf der Rennstrecke, kurz bevor es richtig dynamisch werden könnte, reißt ihm trotz der XXL-Bereifung der Vorderachsgrip ab. Die Pointe: Am Ende ist er viel schneller, als er sich anfühlt, und schlägt alles, was in dieser Klasse derzeit existiert – zumindest in der Rundenzeit. Bei Audi, BMW und Mercedes wird man jedenfalls nicht böse sein, dass er hier nur als Import anlandet, zumal er mit seinem herrisch hämmernden Hochdrehzahl-Monstrum die ganzen Turbopuster ziemlich blass aussehen lässt.
Ford Shelby GT350 GT | |
Außenmaße | 4783 x 1928 x 1377 mm |
Kofferraumvolumen | 408 l |
Hubraum / Motor | 5163 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 392 kW / 533 PS bei 7500 U/min |
0-100 km/h | 4,9 s |