Erinnern Sie sich noch daran, als die ersten Fahrzeuge mit Funkfernbedienung auf den Markt kamen? Herrlich, der verwirrte Blick der anderen Automobilisten, wenn der Warnblinker, womöglich gepaart mit einem kurzen Hupsignal, den Öffnungs- oder Verschlussvorgang vermeldet. Genauso entgeistert wird man heute noch angesehen, wenn man elektrisch und lautlos durch die Innenstadt gleitet. Vor allem, wenn sich hinter dem futuristischen Elektrogleiter kein ökologisch überkorrektes Mobil à la BMW i3 oder E-Smart, sondern ein ausgewachsener Sportler verbirgt. Willkommen im Honda NSX !
Drehregler auf der Mittelkonsole nach links drehen, „Quiet“-Modus aktiviert. Quiet steht im Englischen für leise und still – und trifft es auf den Punkt. Kein straßenbahnähnliches Summen ist zu vernehmen, lediglich leichte Abrollgeräusche der Reifen sind im E-Modus des Hybrid-Novizen zu hören.
„Was ist das für ein Auto?“ – letztere Frage müssen Piloten des neuen NSX bei fast jedem Boxenstopp beantworten. Selten war ein Sportler hierzulande so unbekannt und hat für so viel Aufsehen gesorgt. Die Reaktionen sind durchweg positiv. Anders als bei lärmenden Hubraum- und Zylinderhelden gehen spießigen Nachbarn auch die Protestgründe aus, wenn der NSX lautlos ins Wohngebiet rollt.
Während der NSX futuristisch durch die Stadt gleitet, rüstet sich sein heutiger Gegner namens McLaren 570S. Startknopf drücken, und nach alter Sportwagenschule brüllt der V8-Mittelmotorsportler seine Verbrennungsmelodie ungeniert ins Freie. Carbon-Heckdeckel schnell mal demontieren – schon fällt der Blick auf M838TE. Das 3,8-Liter-Aggregat ist aus allen möglichen McLaren-Derivaten in unterschiedlichen Ausprägungen bekannt. Im 570S leistet der Biturbo, wie der Modellname schon vermuten lässt, 570 PS. Mit jedem grantelnden Gasstoß bricht sofort Boxengassenflair über die Innenstadt herein.
Hockenheimring, Zielführung starten. Die Navigationssysteme der beiden Probanden sind von Bedienung, Optik und Geschwindigkeit her eher auf vergleichsweise prähistorischem Stand, aber so etwas entscheidet bei uns nicht über Sieg oder Niederlage. Pedal auf die Bodengruppe schmettern – nicht erst auf der Autobahn will der Honda ernst genommen werden und wechselt aus dem reinen E-Betrieb in den Hybridmodus mit Verbrenner. Dafür reicht es, das Fahrpedal nicht mehr nur zu streicheln, sondern rund 20 Prozent mehr durchzudrücken. Auch an leichten Steigungen schaltet sich der Verbrenner schnell hinzu.
NSX: enormes Ansprechverhalten
Kurze Technikkunde: Der NSX kombiniert einen V6-Mittelmotor mit Biturboaufladung und ein Neungang-Doppelkupplungsgetriebe sowie einen Elektromotor mit Direktantrieb. Letzterer hilft mit seinen 48 PS und 147 Nm (von 500 bis 2.000/min) das Wort Turboloch zum Unwort zu machen und Bremsenergie zurückzugewinnen. Das Ansprechverhalten und der Vortrieb sind auch in den unteren Drehzahlbereichen phänomenal.
Neben dem Elektromotor, der an den V6 gekoppelt ist, trägt der Japaner mit amerikanischen Wurzeln (Antrieb in Japan entwickelt, Fertigung in Ohio, USA) noch zwei Elektromotoren an der Vorderachse. Diese beiden Elektromotoren machen den Hybridsportler zum Allradler und arbeiten nach dem Torque-Vectoring-Prinzip. Sport Hybrid SH-AWD (Sport Hybrid Super Handling All Wheel Drive) nennt Honda sein System. Die Systemleistung des V6-Biturbos und der zwei E-Motoren beträgt insgesamt 581 PS. 507 PS leistet der Verbrenner. Jeweils 37 PS mobilisieren die E-Frontmotoren.
Auf den Technik-Sportler kontert der McLaren 570S ja schon mit fast klassisch anmutendem Antriebskonzept. Mittelmotor plus Hinterradantrieb, Attacke! Der 3,8-Liter ist dabei nicht das fortschrittlichste Turbokonzept im Sportwagensegment derzeit. Besonders im Vergleich zu dem Drehmomenthammer, den der NSX mit seiner E-Unterstützung im Drehzahlkeller auspackt, präsentiert sich der 570S mit einem spürbaren Turboloch. Doch gerade dieses Turboloch lässt den anschließenden Schub subjektiv krasser wirken. Während der Honda mit der flachen Hand zuschlägt, nimmt der McLaren die Faust.
Nicht nur subjektiv geht der Brite besser. Während das ungleiche Duo beim Sprint aus dem Stand auf 100 km/h nur 0,2 Sekunden trennen, erarbeitet sich der McLaren bis zur 200-km/h-Marke einen überdeutlichen Vorsprung. 9,2 Sekunden notiert das Messgerät für die 0–200-Prüfung beim 570S, 11,9 Sekunden nimmt sich der NSX dafür Zeit.
McLaren: klarer Gewichtsvorteil
Spurensuche, woran der höchst unterschiedliche Durchzug trotz vermeintlich ähnlicher Leistungswerte liegen könnte. Die Fahrt auf die Testwaage klärt schnell auf. Mit satten 1.767 Kilogramm wiegt der NSX genau 317 Kilo mehr als der 570S. Ein Leistungsgewicht von 3,0 kg/PS (Honda) tritt also gegen 2,5 kg/PS (McLaren) an.
Stopp, halt! War der NSX-Vorgänger nicht so ein puristischer Leichtbauheld? Sorry, die erste NSX-Generation steht bei mir noch auf der „Traumautos, die man mal gefahren sein muss“-Liste„. Mit Eindrücken aus erster Hand kann ich leider noch nicht dienen. Beim NSX Nummer eins reicht aber schon ein Blick in die technischen Daten. Sowohl das zwischen 1990 und 1997 gebaute Modell NA1 sowie auch das Facelift der ersten Generation (NA2, 1997–2005) wogen nicht mehr als 1.460 Kilogramm. Die abgespeckte NSX-R-Version wog im Supertest 8/2002 sogar nur 1.244 Kilo. Tief durchatmen und ruhig bleiben NSXFans, auch wenn das aktuelle Modell eine unfassbare halbe Tonne mehr wiegt.
Auf der Autobahn spürt man das Gewicht zunächst noch gar nicht. Quietschfidel feuert der NSX-Neuling mit perfektem Launch-Control-Start und ohne spürbaren Schlupf aus einem verlassenen Rastplatz. Wenn es die Verkehrslage zulässt, kratzt er schon wenig später an der 300-km/h-Marke. Auch mit den optionalen Sportreifen Pirelli P Zero Trofeo R, die in Amerika als Werksoption und hierzulande (laut Honda aus logistischen Gründen) nur als Option beim Händler angeboten werden, glänzt der NSX bei hohem Autobahntempo mit ruhigem Geradeauslauf.
Während die Handflächen im NSX auch bei 300 km/h staubtrocken bleiben, werden sie im McLaren bei ähnlichem Tempo schnell feucht. Der 570S läuft nicht nur gerne Spurrillen nach, sondern fängt beim Anbremsen aus hohen Geschwindigkeiten über 250 km/h sogar leicht um die Hochachse zu tänzeln an. Trotz aktiviertem ESP sollten dann abrupte Brems- oder Lenkmanöver vermieden werden.
Szenenwechsel auf die Rennstrecke, Kleiner Kurs Hockenheim. Hier versteht man sofort, warum der McLaren ein durchaus nervöses Highspeed-Verhalten auf der Autobahn zeigt. Die Gierneigung um die Hochachse macht ihn auf der Rennstrecke zu einem Gute-Laune- Sportler. Sobald beim Anbremsen nur der kleinste Lenkwinkel anliegt, beginnt der 570S schon mit dem Heck zu drücken. Um den vermeintlichen Einstiegssportler von McLaren in den Drift zu beordern, reicht ein gezieltes Anbremsmanöver oder ein zackiger Einlenkimpuls. Anschließend können die Driftwinkel des Mittelmotorsportlers präzise mit dem Gaspedal ausgelotet werden.
Doch der 570S kann nicht nur den Quertreiber spielen. Für eine schnelle Runde sollten die beiden Drehregler auf der Mittelkonsole für Getriebe- und Dämpfereinstellung aus dem Modus Normal auf Sport oder aber Track justiert werden. Die Kennlinie der Adaptivdämpfer ist nun straffer abgestimmt. Außerdem schaltet das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe noch schneller.
Die Möglichkeiten zur Justierung kommen einem aus den bisherigen McLaren-Modellen so bekannt vor wie die komplizierte Deaktivierung des ESP. Freunde in Woking, baut doch einfach eine normale ESP-Taste ein, die auf dreisekündigen Druck die ESP-Funktion komplett deaktiviert. Diese kryptische Tastenkombination zur ESP-Deaktivierung nervt in allen McLaren-Modellen den Sportfahrer bei Rennstreckenbesuchen einfach. Basta!
Neu hingegen: Anders als die Modelle MP4-12C, 650S und 675LT trägt der 570S jetzt erstmals konventionelle Stabis. Auch im kleinsten Mittelmotorsportler des McLaren- Modellportfolios arbeitet weiterhin eine hydraulische Lenkung, die mit ihrer Rückmeldung um die Mittellage und nicht zu großem Lenkwinkelbedarf überzeugt.
570S: 1.08,8 Minuten, Respekt!
Der Hang zum Untersteuern der bisherigen McLaren-Modelle, mal abgesehen von dem Hypersportler P1, konnte im 570S in ein motiviertes Einlenkverhalten gewandelt werden. Auf Lastwechsel reagiert er mit spürbar eindrehendem Heck. Das ABS könnte im Grenzbereich noch feinfühliger arbeiten. Bei späten Bremspunkten verhärtet das Pedal.
Egal ob mit deaktiviertem ESP oder im Dynamic-Modus (mit aktiven, aber weitgehend zurückgenommenen Fahrhilfen), der Hecktriebler erfordert im Grenzbereich ein gewisses Können am Lenkrad. Ist das vorhanden, so ist der Fahrspaß groß. Dank der optionalen Sportbereifung vom Typ Pirelli P Zero Corsa mündet dieser Spaß auch in einer erstaunlich schnellen Rundenzeit auf dem Kleinen Kurs: 1.08,8 Minuten, Respekt!
Umstieg in den Honda. Im direkten Vergleich sitzt man im NSX etwas höher als im McLaren. Eine Höhenverstellung der Sitze sucht man vergebens. Groß gewachsene Piloten würden gerne noch etwas tiefer sitzen. Mit Helm wird es eng unter dem Carbon-Dach. Da bietet der 570S einfach die fahrerorientiertere Sitzposition für sportliche Zwecke. Der NSX kann dafür auf Langstrecken mit seinen relativ komfortablen Sportsitzen punkten.
Neben dem Quiet-Modus stehen im NSX noch der Sport-, der Sport-Plus- sowie der Track-Modus zur Wahl. Drehregler auf der Honda-Mittelkonsole für zwei Sekunden nach rechts drehen, dann aktiviert sich der Track- Modus. Die Federung der Adaptivdämpfer fällt nun genauso wie die Haltekräfte der elektromechanischen Lenkung deutlich straffer aus. Akustisch erhebt der V6 in den Modi Sport-Plus und Track zudem die Stimme und faucht giftig unter Last. In den beiden letztgenannten Modi ist der NSX 25 dB lauter als im Quiet-Modus. Bei Gaspedallupfern begeistert der V6 Turbofans nun mit klassischem und deutlich hörbarem Abblaszwitschern. Daumen hoch, bei anderen Herstellern wird die Turbomelodie längst weggefiltert.
Das bei Honda VSA genannte ESP setzt im Track-Modus die Regeleingriffsschwelle zwar deutlich höher, auf dem Kleinen Kurs bremsen die Regeleingriffe jedoch spürbar. Nicht nur der Dynamic-Modus des McLaren, sondern auch die ESP-Sportsysteme anderer führender Sportwagenhersteller arbeiten hier besser. Also schnell das NSX-ESP deaktivieren. Schnell? Eine gefühlte halbe Stunde (in Wirklichkeit sind es rund sechs Sekunden) muss der ESP-Knopf gedrückt werden, bis sich die Fahrhilfen vollständig abschalten.
NSX: der Quattro-Ninja
Jetzt greift der Quattro-Ninja an. In der Tat erinnert der NSX mit seiner Silhouette, seinem Gewicht und seinem Allradantrieb ein bisschen an den Audi R8 V10 ohne das Plus- Kürzel (540 PS, 1.669 kg). In puncto Fahrverhalten ist der NSX jedoch noch etwas einfacher am Limit zu bewegen als das bayerische Vorbild. Großen Anteil hat daran natürlich auch die Trofeo-R-Bereifung, die nach Erreichen der Arbeitstemperatur ein unglaublich hohes Gripniveau für einen straßenzugelassenen Reifen bieten. Einzige Einschränkung der kompromisslosen Sportbereifung: Bei Regen sollte man lieber mit dem Fahrrad fahren oder wieder die serienmäßigen Contis aufziehen. Der Trofeo R ist auf Trockengrip optimiert worden – Nässe ist nicht seine Spezialität.
Doch bei strahlend blauem Himmel und Trockenheit lenkt der NSX erstaunlich präzise ein. In den engen Ecken ist ein ganz leichtes Einlenkuntersteuern zu spüren. Das relativ hohe Gewicht lässt sich halt auch hier nicht ganz wegdiskutieren. Dank des besser als beim McLaren auf die Sportreifen abgestimmten ABS kann man mit dem Hybridsportler trotzdem noch recht gut in die Kurve reinbremsen. Die gute Abstimmung der Carbon-Bremse beschert dem Japaner einen Achtungserfolg. Mit 32,6 m steht der NSX aus Tempo 100 fast einen Meter früher als der 570S.
Unter Last beindruckt der NSX mit sehr guter Traktion. Ist das Limit erreicht, drückt er leicht mit dem Heck, aber jederzeit gut beherrschbar. Das Neungang-DKG arbeitet mit schnellen Schaltvorgängen gut mit, genauso wie die Lenkung mit direkter, aber nicht zu hektischer Rückmeldung um die Mittellage.
Und der Hybridantrieb? Der verhält sich auf der Rennstrecke unauffällig. Trotz hochsommerlichen Bedingungen zeigt er keine thermischen Ermüdungserscheinungen. Hierfür arbeiten nicht weniger als zehn Kühler auf Hochtouren. Nach zwei Runden „Volllast“ vermeldet die Spannungsanzeige, dass der Energiespeicher nur noch halb voll ist. Zwei langsame Runden reichen, der NSX lädt jetzt seine Batterie wieder eifrig, und die Anzeige vermeldet schnell wieder 100 Prozent.
Auch wenn sich der Hybridsportler nach Punkten dem McLaren klar geschlagen geben muss, ist er Meister der Herzen. Nach den Hybrid-Supersportlern Porsche 918, Ferrari LaFerrari und McLaren P1 ist der NSX der erste Hybrid in der Liga von Porsche 911 Turbo S und Audi R8. Und für seinen optischen Zwillingsbruder hat die Performance in Hockenheim auf jeden Fall gereicht.
Mit 1.10,3 min ist der NSX eine halbe Sekunde schneller als der Basis-R8. Darauf gilt es aufzubauen. Honda, bitte die Gedanken an einen leichteren und schärferen NSX Type R in die Tat umsetzen!
Fazit
Auch wenn der McLaren 570S den Vergleichstest hier klar nach Punkten gewinnt, ist für mich der Honda NSX der Meister der Herzen. Den Mix aus lautlosem E-Gleiten und druckvollem Fahrspaß gab es bisher nur im Segment der Supersportler um Porsche 918, Ferrari LaFerrari und McLaren P1. Bis jetzt: Honda steigt als erste Marke mit einem Hybrid in das viel umkämpfte Sportwagensegment um Porsche 911 Turbo S, Audi R8, McLaren 570S und nicht zuletzt auch die Modelle von Ferrari und Lamborghini ein. Damit ein Hybrid in diesem Segment vollständig konkurrenzfähig sein kann, wird es sicherlich noch etwas Zeit brauchen. Trotzdem zeigt der NSX sehr interessante Ansätze. Stichwort: Eliminierung des Turbolochs dank E-Unterstützung. Das größte Manko ist derzeit noch das Gewicht: Mit fast 1,8 Tonnen ist der NSX alles andere als ein Leichtgewicht. Die fortschrittliche Technik hat außerdem ihren Preis. Mit einem Grundpreis von 185.000 Euro ist der NSX kein Schnäppchen.
Honda NSX | McLaren 570S Coupe | |
Grundpreis | 185.000 € | 189.000 € |
Außenmaße | 4487 x 1939 x 1204 mm | 4530 x 2095 x 1202 mm |
Kofferraumvolumen | 110 l | 150 l |
Hubraum / Motor | 3493 cm³ / 6-Zylinder | 3799 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 373 kW / 507 PS bei 7500 U/min | 419 kW / 570 PS bei 7500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 308 km/h | 328 km/h |
0-100 km/h | 3,4 s | 3,2 s |
Verbrauch | 10,0 l/100 km | 10,7 l/100 km |