Der Entwicklungsprozess eines Sportwagens ist in unserer Fantasie ein sinnlicher Akt – ein Tête-à-Tête zwischen Designern und Ingenieuren, deren Gelüste sich nach und nach immer näher und näher kommen, um schließlich in Ekstase zu einem Produkt zu verschmelzen. Die Realität? Sieht anders aus. Leider. Für Romantik ist kaum noch Platz. Oder besser: keine Zeit. Modelle entstehen im Stakkato. Und natürlich triebgesteuert, sozusagen per Quickie aus Nachfrage und Baukasten-Angebot: Der eine will’s, der andere macht’s. Und ratterratter, schon geht’s Crossover and over and over again.
Doch dann trittst du diesem Apparat entgegen, lässt den Blick über die durchlöcherte Frontschürze schweifen, verharrst andächtig an den teilweise frei stehenden Hinterrädern und fragst dich, wo er denn ist, der ach so existenzielle Zusammenhang zwischen dem Kundenwunsch auf der einen Seite und einem straßenzugelassenen Nahezu-Renntourenwagen auf der anderen? Sind da wirklich Leute zu Jaguar-Händlern reinspaziert und haben um einen XE ohne Rückbank gebeten? Wurde explizit gefragt, ob man den Kofferraumboden nicht zugunsten eines effizienteren Heckdiffusors anheben könnte? Und wollte eine Klientel, die ja generell mit Tweed-Sakko und Pfeife rumläuft, wirklich diese Katzentattoos auf dem Lack?
Natürlich nicht! Die Menschen, die die erste Charge der insgesamt 300 Exemplare quasi im Moment ihres Erscheinens geordert haben, wussten Minuten vorher noch nicht, dass sie so etwas unbedingt wollen würden. Und genau darin liegt der Reiz dieses Jaguars. Er gehorcht weder den Gesetzen irgendeiner Serie noch jenen des Markts. Er muss sich nicht in eine Nische zwängen, nicht den basejumpenden Best-Age-Besserverdiener ansprechen. Allem äußeren Anschein zum Trotz ist er noch nicht einmal ein Homologationsmodell, das zur Teilnahme an einer Rennserie XY berechtigt und sich so zumindest hintenrum rentiert. Nein, er hier ist die Ausnahme, die die aktuelle Regel bestätigt, und wohl auch deswegen der spektakulärste Jaguar seit dem XJ220, den er – nebenbei bemerkt – um gut 50 PS übertrumpft.
Eine Special-Vehicle-Operation
Hinter dieser Orgie famoser Ideen steckt übrigens das Special Vehicle Operations Team. Das ist der Laden, der auch bei den SVR-Modellen die Finger im Spiel hat und vor fünf Jahren schon mal für Furore sorgte: mit dem Project 7, einem Radikalroadster auf F-Type-Basis, der im stilistischen Windschatten der Le-Mans-Siegerwagen aus den Fifties surfte. Doch selbst dem setzt Projekt Numero acht noch mal so einiges obendrauf. Vor allem: Mut.
Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass Vorhaben wie dieses bei den meisten anderen Herstellern in einer Schublade verschwunden wären – wahrscheinlich sogar unterm Teppich. Jaguar jedoch hat die Pläne durchgewunken. Und wurde belohnt. Mit Aufmerksamkeit. Mit einem Boost fürs Image, na klar, und mit einer amtlichen Nordschleifenzeit von 7.18,4 Minuten. Die macht den Project 8 per Ring-Definition zum schnellsten aller Viertürer – und die in Erklärungsnot geratene Konkurrenz erfinderisch.
AMG verwandelte seinen 39 PS stärkeren, aber geschlagene sieben Sekunden langsameren GT 63 VIER-Türer kurzerhand zum schnellsten VIER-Sitzer, um dem Jaguar auszuweichen. Und auch Porsche musste sich für den Panamera einen anderen Titel einfallen lassen: schnellste Oberklasse, hihi!
Doch woher rührt sie, die vermeintliche Übermacht des Project 8? Einfache Antwort: aus der Konsequenz seiner Umsetzung. Er ist nicht nur ein aufgeplustertes Serienauto, sondern ein Komplett-Remake aus Know-how, Herzblut und der Freiheit, beides umzusetzen. Das Fahrwerk mit Doppelquerlenkern vorn und Integrallenker hinten wurde in Federung, Stabilisierung und Lagerung ordentlich umgekrempelt, es bekam manuell einstellbare Dämpfer verpasst und lässt sich für den Rennstreckeneinsatz um 15 mm absenken. Nicht auf Knopfdruck, sondern über Abstandshalter, die händisch entfernt beziehungsweise eingepasst werden müssen.
Die Radhäuser hat man zugunsten extrabreiter Sportreifen massiv ausgebaut, Radlager aus Silizium-Nitrid-Keramik reduzieren die ungefederten Massen, während der planierte Unterboden, der manuell ausziehbare Frontsplitter und der Verstellflügel den außergewöhnlichen Gentleman aerodynamisch auf den Boden pressen – mit bis zu 122 Kilogramm.
Rennfeeling in Höchstdosis
Im Alltag kommen viele dieser Details natürlich nicht oder nur unterschwellig zum Tragen, trotzdem erfasst einen die Rennsportluft praktisch im Moment des Einsteigens: Alcantara-Lenkrad mit Alupaddles; CfK-Schalensitze, die den Hüftspeck in Form pressen; Vierpunktgurte und als Krönung dieser restlos entrümpelte Fondbereich, in dem eben nicht der kleine Mortimer junior sitzt, sondern ein Überrollgebälk samt Feuerlöscher.
Dann rollt das Tor der heimischen Garage hoch, und man brodelt raus aus dem Parc Fermé, durch die Boxenga … Verzeihung, durch die Rosengasse und schließlich raus in eine andere Welt. Eines wird dabei direkt klar: Fahrspaß hat hier nichts mit Klamauk zu tun. Der XE ist wie britischer Humor: trocken und bisweilen ziemlich derb. Keine Bodenwelle bleibt verborgen, Spurrillen üben eine magische Anziehungskraft auf alle Räder aus, der Wandlerautomat rammt einem seine acht Gänge mit Anlauf in die Nieren. Die Stimmung ist jedenfalls ruck, zuck auf Temperatur, die Semislicks folgen ein paar flotte Schwünge später. Mit der Haftung steigt auch die Körperspannung: Jede Bewegung gewinnt auf einmal spürbar an Substanz, Lenkbefehle werden unmittelbarer umgesetzt, Querkräfte vom mechanischen Grip geteert und gefedert.
Irgendwann geht der kleine Kreisverkehr vorm Rewe voll, und man muss sich ernsthaft zusammenreißen, dass man sich beim Linksabbiegen nicht jedes Mal den Vordermann krallt – schön reinstechen in die offene Tür, vorbeibremsen, durchrempeln, dann ab die Post, so wie man es eben gelernt hat aus den guten Zeiten der DTM. Aber keine Sorge: So weit kam es nicht. Voll ausgelebt haben wir den Project 8 dann doch lieber erst in Hockenheim, wo vor allem einer aufblüht: der großartige V8.
Im Grunde ist der Fünf-Liter-Direkteinspritzer ein alter Bekannter, bekam für seinen Sondereinsatz aber noch mal die Atemwege optimiert: neu sortierte Ansaugung für besseren Durchsatz plus Titanabgasanlage. In Summe: 600 PS, 700 Nm, ein entsprechend eklatanter Schub in allen Drehzahllagen und on top der gewaltige Soundtrack, der sich je nach Lastzustand aus Pochen, kehligem Hämmern und dem subtilen Jaulen des Kompressors mixt.
Mit gebundenen Händen
Verschnürt wird das Kraftpaket von einem Allradantrieb, der die hohe Schlagzahl des Drumherums allerdings nicht ganz mitgehen kann. Die gute Nachricht daran: Man braucht weder einen schwarzen Gürtel in Fahrzeugbeherrschung noch Wechselunterwäsche. Es genügt ein grober Plan von der Ideallinie, die einen dann ohne Fisimatenten ans Limit führt.
Dort steht dem XE seine Allgemeinverträglichkeit dann jedoch im Weg. Oder sagen wir: Sie blockiert die letzten paar Prozent seines eigentlichen Potenzials. Das Problem: Man bekommt das Heck nicht ins Spiel. Trotz eines Aktiv-Differenzials und der stark heckbetonten Kraftverteilung bleibt die Querdynamik buchstäblich an der Vorderachse hängen. Lastwechsel? Prallen am unbeugsamen, womöglich etwas zu fromm eingestellten Fahrwerk ab, sodass einem am Ende nichts anderes übrig bleibt, als den GP-Kurs abzuspulen. Stoisch, auf durchweg hohem Geschwindigkeitsniveau, jedoch mit gebundenen Händen.
Der Faszination tut der leichte Kontrast zwischen Handling und Machart aber keinen Abbruch. Zumal, hey: 0,3 Sekunden Vorsprung auf einen M5 Competition, die musste auch erst mal rausholen. Seltsam ist, dass der Project 8 trotz Technikspektakel und Stückzahllimit nie so richtig steilgehen wollte. Drei Jahre nach dem Debüt ist die Sonderserie immer noch zu haben, kürzlich wurde sogar eine distinguiertere Touring-Variante nachgelegt – wahrscheinlich um Pfeifen rauchende Tweed-Sakko-Träger anzubaggern.
Wo hakt es? Sind 182.000 Euro zu viel für einen handgebauten Extremisten? Ist er vielleicht gar zu günstig und damit unter dem Radar der Sammler? War es so clever, sämtliche Exemplare als Linkslenker auszulegen, wo der harte Kern der Jaguar-Fans doch in England sitzt? Oder stehen heutzutage wirklich alle nur noch auf die schnelle Marketing-Nummer anstatt auf Lustobjekte wie jenes hier, das tatsächlich unseren wildesten Fantasien entsprungen scheint?