Zu den unüberwindbaren Dingen des Lebens zählt ja oft der eigene Anspruch. Baut sich vor dir auf wie einst im Sportunterricht der Kasten, gegen den du trotz des für perfekt gehaltenen Absprungs tölpelhaft schrammst, immer wieder. Klar, Trainieren wäre eine Möglichkeit, irgendwann klappt’s dann halbwegs. Oder sich auf das konzentrieren, was eine übergeordnete Instanz ohnehin mal in deine Lochkarte gestanzt hat – was dich seither bestimmt, was du einfach gut kannst.
Den McLaren 570GT prägt eben jenes 75 Kilogramm leichte Carbonchassis, um das die Briten bislang jeden ihrer Sportwagen herummodellieren, entsprechend modifiziert natürlich.Und dann steckt ja noch der M838TE-Motor hinter den Sitzen, ebenso das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe. Dieser Antriebsstrang ragt wie das Chassis aus der beeindruckenden Fertigungstiefe von McLaren heraus, prägt nicht einfach den Charakter der Sportwagen, kreiert ihn vielmehr.
Und dann fällt irgendeinem ein, hey, wir brauchen jetzt ein irgendwie besonders alltagstaugliches Modell, einen GT. Da reduzieren wir die Federraten vorne um 15, hinten um zehn Prozent, lockern die Übersetzung der elektrohydraulischen Lenkung um zwei Prozent, gaukeln dann per eigens entwickelter Glasheckklappe einen größeren Kofferraum vor.
Jetzt könnte man einem Pudel Dreadlocks ins Fell knoten und hoffen, er würde nun bellen, wie Bob Marley einst sang – hoffnungslos. Findet offenbar auch derjenige McLaren-Mitarbeiter, der die Testwagen konfiguriert. Für den 570GT, der hier durchs Blatt fährt, bestellte er die 6.130 Euro teuren, besonders leichten Rennschalensitze, die dir nun in die Flanken kneifen.
Einfach mal sitzen bleiben
Allein damit donnert der GT nach dem Absprung gegen den Kasten des eigenen Anspruchs, denn ob das Chassis der 570er-Reihe gegenüber den Super-Sport-Modellen nun um einen acht Zentimeter niedrigeren Schweller zwecks leichteren Einstiegs verfügt oder nicht, diffundiert zur Nebensache. Du willst aber auch aus diversen anderen Gründen nicht mehr aussteigen, wenn du mal drin bist. Weil du aufgrund der perfekten Ergonomie schon ahnst, dass dir ein großartiges Erlebnis bevorsteht. Weil ja auch die Eckdaten immer präsent sind.
Der 90-Grad-V8 mit den beiden MHI-Ladern leistet mal eben 570 PS, entwickelt ein Drehmoment von 600 Nm. Zu banal, weil schon zu abgebrüht? Dann zwei weitere Zahlen: Die Höchstleistung entwickelt das Biturbo-Aggregat bei 7.500 Umdrehungen, das maximale Drehmoment bei 5.000/min. Na? Dämmert’s? Nein, kann es gar nicht. Wie auch. So was erlebst du nicht alle Tage.
Okay – so, wie der 570GT launchkontrolliert aus dem Stand losschnalzt, schon; das kann man in dieser Klasse. Auch in 3,2 Sekunden die 100-km/h-Marke wuschig beschleunigen. Geschickt schultert das Siebenganggetriebe den V8-Motor, um gemeinsam mit ihm über sein kleines Turboloch zu hüpfen, dann fräst er durch sein breites Drehzahlband, metallisch-hell, nur leicht mit Bässen durchsetzt sein Klang, akustisch eher Renntriebwerk als bollernder Drehmoment-Bär. Warum? Weil eine 180-Grad-Kurbelwelle dafür zuständig ist, die Kolbenkräfte in Drehmoment umzuwandeln. Das bedingt zugleich einen leicht unrunden Leerlauf, der ebenfalls mehr einem Sportwagen als einem GT entspricht.
Aber Moment, der McLaren beschleunigt ja noch, immer wüster, jenseits von 5.500/min spürst du, wie dünn die Sitzschalen wirklich gepolstert sind (sehr, sehr dünn), wie enthusiastisch sich das extrem kurzhubig ausgelegte 3,8-Liter-Aggregat seiner Drehfreude hingibt (sehr, sehr enthusiastisch). Jetzt, unter Volllast, äußern sich die Gangwechsel übrigens nur durch die augenblickliche Drehzahländerung. Das Getriebe kommt prima alleine klar, mag es aber genauso, seine Befehle direkt vom Fahrer per Schaltpaddel zu bekommen. Die Reaktionszeit? Kaum messbar. Kein Drama. Kein Patschen. Kein Knallen. Einfach der nächste Gang.
Sofort wutprustet der V8 weiter, immer ein bisschen schnoddrig, wirft den 1.477 Kilogramm leichten 570GT in nur 9,1 Sekunden über die 200- km/h-Hürde, erreicht nach 26,0 Sekunden 300 km/h. Mal eben so. Stöbern Sie ruhig in Ihrem Archiv, dort finden sich nicht viele Konkurrenten, die hier noch mitspielen. Könnten. Wollten. Müssten.
Air nun wieder
Der fantastische Druck vor allem im oberen Geschwindigkeitsbereich spricht für die ausgeklügelte Aerodynamik, wenngleich der GT gegenüber der Basis S auf ein wesentliches Detail verzichten muss: die frei stehende C-Säule. Dafür fällt die Abrisskante um 10 Millimeter breiter aus. Ob’s funktioniert? Nun, siehe oben. An der Stabilität bei hohem Tempo gibt es nichts auszusetzen, an der beim Bremsen dagegen schon, hier darf sich der McLaren gerne etwas kräftiger an die Hochachse klammern – wo er doch in Kurven so lässig um sie herumtanzt.
Ja, das mag er, das kann er, wittert schon den Einlenkpunkt, bevor du ihn siehst. Dann: eleganter Köpper in Richtung Scheitelpunkt, neutral, bei zu hoher Eingangsgeschwindigkeit sicher untersteuernd, aber höchst aufgeschlossen gegenüber einem kleinen Lastwechsel, der den Zweisitzer wieder auf den optimalen Kurs schubst. Hoppla, doch ein wenig zu wüst gelastwechselt? Und dann auch noch aufgrund einer Fehlinterpretation des eigenen Anspruchs, gemeinhin Selbstüberschätzung genannt, die Stabilitätskontrolle deaktiviert?
Na dann: Action! Viel Zeit bleibt nicht zum Gegenlenken, wie auch, bei so einem Mittelmotor-Sportwagen. Doch es kann ganz souverän gelingen beim McLaren, die Lenkung erfordert nur wenig Kraftaufwand, bietet viel Rückmeldung, könnte allerdings eine Idee präziser reagieren.
Wer von vorneherein weiß, dass er nicht über diesen Kasten springen kann, lässt die Regelelektronik an, vielleicht im legeren Track-Modus, der jene Schwimmwinkel zulässt, die leichte Lastwechselkorrekturen erlauben. Dann wieder ans Gas, die elektronisch simulierte Differenzialsperre fahndet gemeinsam mit den 285 Millimeter breiten 20-Zoll-Hinterrädern nach Grip, wird schnell fündig, raus auf die nächste Gerade.
Beim Anbremsen der nächsten Kehre denkst du noch: Ja, stimmt, der Druckpunkt versteckt sich ein wenig, doch da verzögert die mit aufpreispflichtigen Carbon-Keramik-Scheiben hochgerüstete Bremsanlage wütend, mal wieder. Knapp 12 m/s² gehen immer, und das mit Reifen, deren Profil dich nicht gleich jede Pfütze fürchten lässt.
Jetzt geht’s rund
Auf dem verwinkelten Handlingkurs des Bosch-Prüfzentrums Boxberg verfehlt der 570GT mit 44,3 Sekunden nur um zwei Zehntel die Rundenzeit des mit extremen Pirelli-Trofeo-R-Reifen bestückten und allradgetriebenen Honda NSX. Aber eigentlich will er hier auch gar nicht sein, viel lieber auf der Landstraße und der großen Reise. Soll der McLaren ja, bitte, gerne, dann freust du dir hinterm kleinen Lenkrad wieder ein Loch in den Bauch, eben weil du mit dem GT spielen kannst, er das Erlebnis Geschwindigkeit mit dir teilt.
Was er ebenso gerne teilt: Fahrbahneinflüsse. Das gilt weniger für den Federungskomfort, denn die adaptiven Dämpfer wissen durchaus, dass sie ganz alleine mit Unebenheiten klarkommen müssen und sie nicht einfach an die Bandscheiben der Insassen weiterreichen dürfen. Im Normal-Modus des Fahrwerks registrierst du sogar eine Idee zu ausgeprägte Vertikalbewegungen bei langen Bodenwellen, doch das nur am Rande.
Vielmehr widersprechen die Fahrbahneinflüsse in der Lenkung dem Charakter eines GT. Klar, einige davon dienen der Rückmeldung. Fällt deren Dosis aber zu hoch aus, stört das auf Landstraßen. Im Testwagen führte das sogar zu Klappergeräuschen in der Lenksäule. Tja, und die Fahrbahn, die teilt der 570 auch nicht so gerne, fläzt sich zwei Meter breit (ohne Spiegel) darauf. Sonstige Mängel? Sehen wir es lieber britisch und sprechen von Eigenheiten.
Die Bedienung beispielsweise, ein Fest für alle Freunde des guten alten Versteckspiels. Wo beispielsweise lässt sich der Tageskilometerzähler zurücksetzen? Wo die aktuelle Routenführung abbrechen? Und wo versteckt sich die Auswahl der aktuell verfügbaren Digital-Radiosender? Wird nicht verraten. Wir wollen Ihnen ja den Spaß nicht verderben.
An Licht fehlt es bei der Suche jedenfalls nicht, zumindest tagsüber, denn ein großes Glasdach zählt ebenfalls zu McLarens GT-Idee. Nur dass die spezielle Beschichtung eher mäßig gegen direkte Sonneneinstrahlung wirkt und ein Rollo fehlt, kontert erneut dem Komfortanspruch. Ob die Briten so Gewicht sparen wollten? Möglicherweise, schließlich halten sie die auch in diesem Segment inzwischen üblichen Fahrerassistenzsysteme für entbehrlich. Dann allerdings hätten sie ebenso auf die elektrische Verstellung der Lenksäule wie die Zuziehhilfen für die nach oben öffnenden Türen verzichten müssen.
Weil wir eben so schön herummaulen: Gerade im Alltag, dessen Verkehrsdichte gerne ein betuliches Tempo diktiert, müsste das Doppelkupplungsgetriebe beim Zurückschalten harmonischer agieren. Selbst auf der Autobahn, dort, wo das Leben mit rund 150 km/h zu neuen Zielen rauscht, scheinen sich die Zahnräder bei plötzlicher Leistungsabfrage den Weg vom siebten in den vierten Gang hinunterhangeln zu müssen. Das frühe Hochschalten dagegen hilft, den Verbrauch (13,4 l/100 km) nicht eskalieren zu lassen, was eine Reichweite von 537 Kilometern ermöglicht – womit der 570GT mal nicht am eigenen Anspruch zerschellt.
Auch dieser McLaren bleibt eben das, was ihm die Gene vorgeben: ein eigenständiger, sehr talentierter Sportwagen.
McLaren 570GT | |
Grundpreis | 199.500 € |
Außenmaße | 4530 x 2095 x 1202 mm |
Kofferraumvolumen | 370 l |
Hubraum / Motor | 3799 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 419 kW / 570 PS bei 7500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 328 km/h |
0-100 km/h | 3,2 s |
Verbrauch | 10,7 l/100 km |
Testverbrauch | 13,4 l/100 km |