Ankern wir kurz auf der Meta-Ebene, um nicht sofort von den irren Leistungsdaten mitgerissen zu werden. Fragen wir uns: Kann ein Vorteil gleichzeitig ein Nachteil sein? Hier, beim 720S, scheint es so. Mit Ausnahme des P1 sind alle McLaren eine Weiterentwicklung des MP4-12C von 2011. Das ließ den Mittelmotor-Sportwagen auf ein Niveau reifen, das Benchmarks ins Wanken bringt und ihn zu einem ernsthaften Rivalen des Porsche 911 GT2 RS adelt. Wie jetzt und hier in diesem Test.
Nun der Nachteil: Das Konzept der Evolution lässt die McLaren-Modelle sehr ähnlich aussehen. Man muss sich intensiv mit der Palette befassen, um einen 540C von einem 720S zu unterscheiden, obwohl über 75.000 Euro zwischen beiden liegen.
Evolution? Das ist doch das Spezialgebiet von Porsche. Dort formen sie aus dem 911 immer wieder neue Varianten, die reißenden Absatz finden, wenn sie nur teuer und selten genug sind. Dieser eigenwilligen Logik folgt der GT2 RS vollumfänglich.
Dennoch: Der Extrem-Elfer ist ein Sportwagen, der sich durch akribisches Werkstuning in den Super-Bereich hochgearbeitet hat. Das hat etwas von hemdsärmeliger Machermentalität und kommt trotz 700 PS noch gerade so volksverbunden.
Dagegen wurde der McLaren als Supersportler geboren und gehört damit zur Elite, die ja unerklärlicherweise unter Dauerverdacht steht. Ein 720S wird schon mit 25 km/h in der Tempo-30-Zone bösblickend beäugt, als brächte er Verderbtheit über die Rechtschaffenen.
Die unterschiedliche Abstammung zeigt sich bei Banalem. Der Porsche öffnet seine Türen kaum anders als ein VW Golf – man steigt einfach ein, kein Insider-Wissen nötig. Für den McLaren schon: Bei ihm will zunächst das Türöffner-Pad ertastet werden, das aufrecht im seitlichen Luftkanal klebt. Nach Druck darauf schwebt die Flügeltür hoch.
Choreografie des Einsteigens
Doch wie fädelt man seinen Körper in den schmalen Tunnel zwischen Schweller, Mittelkonsole, Lenkrad und Schalensitz? Am besten packt die linke Hand den Türgriff, während sich die rechte an der Sitzwange abstützt. Dann sticht der Gasfuß in den Fußraum. Langsam den Rumpf herabsinken lassen und das linke Bein angewinkelt nachholen. Achtung: Ohne Übung fehlt diesem Move jeder Anflug von Coolness.
Dabei ist der 720S an sich saucool, so schnörkellos, wie er dasteht. Und derzeit der einzige wirklich zu Ende gedachte Mittelmotor-Zweisitzer des Spitzentrios, dem noch der Ferrari 488 GTB und der Lamborghini Huracán angehören. Doch während beide aus Metall gefertigt sind, schöpft der McLaren seine Präzision aus einem Kohlefaser-Chassis. Das gestattet seiner Peripherie noch weitere dramatische Entwicklungssprünge.
Mit seinem völlig ausgequetschten 911-Konzept und dem schweren Motor im Heck dürfte der GT2 RS hingegen ziemlich am Ende sein. Nicht anders ist zu werten, dass sie bei Porsche den Motor neuerdings in der Elfer-Rennversion umgedreht vor der Hinterachse einbauen.
Rennversion, ist das nicht bereits der GT2 RS? Könnte man meinen angesichts der fehlenden Rücksitze, der puristischen Türschlaufen und des auf Wunsch lieferbaren Überrollkäfigs. Außerdem zieren die Karosserie NACA-Lufteinlässe, Entlüftungsöffnungen, ausgestellte Kotflügel und ein im Anstellwinkel verstellbarer Heckflügel, welcher die Zulassungsbestimmungen, äh, ausschöpft.
Das Fahrwerk lässt sich über Spur und Sturz im Charakter verändern. Für Rekordfahrten, wie sie auch die Kollegen von sport auto unternehmen, dürfen die Räder kurvenoptimiert x-beinig stehen und Michelin- Pilot-Sport-Cup-2-ZB-Reifen montiert sein. Diese sehen im äußeren Bereich verdächtig nach Slicks aus. Serienmäßig wäre der GT2 RS nach den Veränderungen nicht mehr.
Zu unserem Vergleichstest tritt der GT2 RS in der langsameren Straßenkonfiguration an, wie sie auch die Kunden erhalten. Das nervöse Heck ließe sich unter anderem über den steil justierten Flügel beruhigen, doch das kostet Topspeed. Schon mit flach gestelltem Leitwerk fehlen dem Porsche auf der Parabolica in Hockenheim übrigens neun km/h auf den McLaren.
Der kommt ganz ohne Brimborium, ohne Chichi und ohne Tuning-Appeal. Was daran liegt, dass der Zweisitzer bereits als Supersportler konzipiert ist, Aerodynamik nach innen trägt und die Karosserie an hilfreichen Stellen durchströmt wird.
Erst beim heftigen Bremsen klappt der sonst unauffällig bündig eingepasste Heckflügel hoch. Fährt man allerdings im Trackmodus, dann reckt sich die sogenannte Airbrake höchst wirksam empor, und der 720S saugt sich selbst in Mutkurven Ground-effektiv fest. Genau dort, wo der GT2 RS mit Vorsicht zu genießen ist.
Hockenheim, GP-Kurs. Beide katapultieren sich aus der Haarnadelkurve – der Porsche explosiv, unbändig, der McLaren gleichförmiger, unspektakulärer. Sein Turboloch ist ausgeprägter als das des GT2 RS. Trotz der neuen Twin-Scroll-Lader dauert es einen Moment, bis der 180-Grad-Kurbelwellen-V8 loskrakeelt, was ein wenig wie zwei Rennwagen-Vierzylinder klingt. Dann folgt Schub mit unerbittlicher Hartnäckigkeit, bis – peng – ein Zug am Lenkradpaddel den nächsten Gang in den Antriebsstrang schießen lässt.
Im McLaren schnell ohne Angstschweiß
Noch mal peng. Wenn der Rechtsknick Richtung Mercedes-Tribüne naht, stehen über 200 km/h auf dem Tacho. Kurz anbremsen. Innen eine Wand, außen Auslauf – aber nicht genug, als dass er einen Dreher verharmlosen könnte.
Der McLaren peilt innen an, lässt sich unter leichter Last sanft nach außen treiben – neutral, wankfrei und mit einem vertrauensvollen Gefühl in der Lenkung. Typisch Kohlefaserauto: Da bleibt keine Facette in irgendwelchen Verwindungen hängen, da wird jede Information direkt vom Fahrwerk via Chassis an den Piloten weitergegeben. Unverblümt.
720 PS und 770 Nm allein an der Hinterachse bei nicht allzu hohem Gewicht: In einem Mittelmotor-Supersportler haftet dem Grenzbereich ja traditionell ein männlich-markanter Duft an. Anders ausgedrückt: Respekt kann hier durchaus in Furcht umschlagen. Doch dann sitzt man im McLaren, fährt schnell, schneller, noch schneller. Ohne Heldengefühle, ohne Angstschweiß. Und man zieht den Helm – vor der Ingenieurskunst, einen Mittelmotor-Boliden mit so viel Besonnenheit auszustatten.
Und der Porsche? Der kommt quer, sobald man ein bisschen zu schnell einlenkt. Bei über 180 km/h. Adrenalinausbruch, Gegenlenken, umgreifen (!). Uff, kein Konter. Gerettet. Mannomann: Das war einen Hauch zu schnell, um es grinsend weiterzuerzählen. Das generiert Respekt. Und warme Achselhöhlen.
Schon im linken Haken als Anfahrt zur Parabolica zog der ruhig liegende 720S weg – während der GT2 RS mit seinem Heck kämpfte. Dann, in der Parabolica, meldete die Sensorik ein dumpfes Hab-acht-Gefühl. Das ist über 250 km/h nicht angenehm. Anschließend, in Kurve sieben, der Highspeed-Quersteher.
Man muss schon allen Mut zusammennehmen, um mit der serienmäßigen Fahrwerks- und Flügelkonfiguration in Reichweite des McLaren zu bleiben. Muss Körperteile zusammenkneifen, die eigentlich locker bleiben sollten, um damit den Grip der Reifen zu erspüren. Ohne durchschlagenden Erfolg: Am Ende aller fahrerischen Bemühungen und Lenkrad-Akrobatik liegt der GT2 RS in Hockenheim immer noch 0,9 Sekunden zurück.
Der McLaren liegt stabiler
Dabei war das locker sitzende Heck draußen im Walde geradezu ein Spaßgarant. Dort, wo die Radien so eng sind, dass sich Landstraßentempo wirklich nach Geschwindigkeit anfühlt. Da lenkt der Extrem-Elfer leichtfüßig ein, richtet sich das Heck praktisch von allein zum Kurvenausgang aus. Oder auch ein wenig darüber hinaus, wenn der Gasfuß dezent nachhilft.
Mit dem griffigen Lenkrad hält man den Boliden locker in der Hand, tänzelt mit ihm den Berg hinauf und wieder hinunter – fast schon spielerisch. Jeder Turn fühlt sich nach persönlicher Bestzeit an, und der 3,8- Liter-Boxermotor ahmt ab 3.500/min erstaunlich akzentfrei den guten alten Saugerdialekt nach. Es ist einfach entzückend.
Allerdings fällt auf verwunschenen Sträßchen auf, dass der 720S deutlich stabiler liegt. Dass er den Fahrer enger umschließt. Dass er Bodenwellen wegdämpft, statt über sie hinwegzuspringen. Dass sich folglich seine Hinterreifen integer in den Asphalt beißen, statt Bodenkontakt zu verlieren. Dass die Lenkung noch feinfühliger jeden Winteraufbruch reklamiert – auch wenn sie dabei zuweilen leicht schlägt.
Und dass der Siebengang-Doppelkuppler weniger getrieben herunterschaltet – der Vierliter deshalb sein enormes Drehmoment auch ausspielen darf. Im McLaren ist man viel leichter schnell unterwegs als im Porsche. Anstrengungsfreier. Aber eben auch weniger spektakulär.
Dann überdenkt man das Ganze erneut und wundert sich: Gelten Mittelmotor-Supersportler nicht als kritisch im Grenzbereich und der 911 als gutmütig? Hier, in diesem Test, kehrt sich ein Weltbild um.
Da legt sich McLaren respektlos mit den Abstimmungs-Champions aus Weissach an – und schlägt sie auf ihrem ureigenen Terrain. Der 720S beschleunigt auf 200 km/h eine Sekunde besser. Steht aus dem gleichen Tempo über zehn Meter früher. Ist auf der Rundstrecke schneller. Und ist sogar günstiger.
Sieg. Das dürfte die Stimmung heben – zumindest in England.
Fazit
Ganz schön beeindruckend... Und damit meinen wir nicht die Gewalt von mehr als 700 PS, sondern die handzahme Abstimmung des 720S.
Der GT2 RS ist der wilde Hund, dem viele schon aus reiner Vorsicht einen Maulkorb anlegen würden.
McLaren 720S | Porsche 911 GT2 RS GT2 RS | |
Grundpreis | 247.350 € | 285.220 € |
Außenmaße | 4543 x 1930 x 1196 mm | 4549 x 1880 x 1297 mm |
Kofferraumvolumen | 360 l | 115 l |
Hubraum / Motor | 3994 cm³ / 8-Zylinder | 3800 cm³ / 6-Zylinder |
Leistung | 530 kW / 720 PS bei 7500 U/min | 515 kW / 700 PS bei 7000 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 341 km/h | 340 km/h |
0-100 km/h | 2,8 s | 2,9 s |
Verbrauch | 11,0 l/100 km | 11,8 l/100 km |
Testverbrauch | 13,7 l/100 km | 13,6 l/100 km |