Polestar 2 und Tesla Model 3 im Test

Polestar 2, Tesla Model 3
Die neue elektrische Mittelklasse

Fahrspaß ist keine Frage des Antriebs, zumal Polestar 2 und Tesla Model 3 je zwei Elektromotoren mit mindestens 300 kW Systemleistung versammeln. Doch so ähnlich, wie die zwei auf den ersten Blick wirken, sind sie gar nicht.

Polestar 2, Tesla Model 3, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Stellen wir zur Abwechslung die zentralen E-Auto-Themen wie Reichweite und Ladezeiten mal hintan. Denn das mit der Elektromobilität beherrschen Polestar 2 und Tesla Model 3 auch auf die dynamische Art. Also anschnallen und los geht’s auf dem Handlingparcours von Bosch in Boxberg.

Polestar legt vor: In 4,8 Sekunden schieben die zwei permanentmagnetisch erregten E-Motoren von Valeo Siemens mit 300 kW Systemleistung aus dem Stand auf 100 km/h. E-Auto-typisch vehement, aber längst nicht so brachial wie das Model 3. Der kombiniert einen Asynchronmotor vorn mit einer Synchronmaschine im Heck, deren Systemleistungswert die Amis jedoch nicht verraten. Angeschoben von 377 kW (Einzelleistungen addiert) verfehlt der Tesla zwar die Werksangabe beim Standardsprint, ist mit 3,7 Sekunden aber mehr als ein Sekündchen schneller als der Rivale. Leistungseinbrüche? Sind kein Thema – selbst nach zehn Beschleunigungsversuchen.

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Polestar 2, Exterieur
Achim Hartmann
Wer im Polestar voll bremst, den bringen die goldenen Brembos aus Tempo 100 nach 34,9 Metern zum Stehen (Tesla 35 Meter).

Schön und gut, aber geht der Polestar auch ums Eck? Immerhin gehören zum 6.000 Euro teuren Performance-Paket in Zug- und Druckstufe einstellbare Öhlins-Stoßdämpfer, wozu jedoch eine Hebebühne ratsam wäre. Mit neutralem Set-up schwingt sich der E-Crossover über die verwinkelte Teststrecke und kontert Übermut mit Untersteuern. Dabei bleibt der 2,2-Tonner betont fahrstabil. Ja, es ist fast schon unheimlich, wie einfach sich 660 Nm Drehmoment beherrschen lassen. Langweilig wird es deshalb nicht, denn dank der exakten, aber etwas rückmeldungsarmen Lenkung steigen Puls und Laune spätestens auf der Landstraße.

Die Rekuperation regelt man in zwei festen Stufen, wobei Tritte aufs Bremspedal in One-Pedal-Stellung meist überflüssig sind. Wer voll bremst, den bringen die goldenen Brembos aus Tempo 100 nach 34,9 Metern zum Stehen (Tesla 35 Meter). Beide E-Auto-Bremsen faden jedoch gegen Ende der zehn Bremsversuche. Fehlt noch die Autobahn-Performance: Der Polestar schiebt aus jeder Geschwindigkeit an und darf – weil er ja kein Volvo ist – bis zu 205 km/h rennen. Dabei liegt er straff, federt aber trotz 20-Zoll-Rädern (ebenfalls Teil des Performance-Pakets) nicht gänzlich unkomfortabel.

Model 3 mit Track-Modus

Tesla Model 3, Exterieur
Achim Hartmann
Stabilitätskontrolle und Rekuperationsstärke lassen sich im Model 3 quasi stufenlos einstellen. So wird der Ami im Drift-Modus sogar zur Heckschleuder.

Da rumpelt das serienmäßig tiefergelegte und mit 20-Zoll-Felgen bestückte Model 3 Performance ungenierter über Querfugen oder Frostaufbrüche. Die Lenkung übersetzt Tesla hyperdirekt, allerdings ohne das nötige Gefühl für den Belag. Auf dem Track unproblematisch, auf der Autobahn, wo er bis zu 261 km/h rennt, wirkt er nervös. Aber da soll ja der Autopilot walten, den Tesla mal eben mit einem Klick für 3.800 Euro freischaltet. Nur das Vertrauen in die Technik fehlt, da der Testwagen schon Schilderbrücken konsequent ignoriert.

Zurück zur Teststrecke. Dank des niedrigen Schwerpunkts durch den schweren Akku in der Bodengruppe rollt und wankt die Karosserie des Performance-Modells im Slalom und doppelten Spurwechsel nur minimal. Das ESP greift erst spät ein, womit der Vorsprung in der Fahrdynamikwertung erklärt wäre. Auf dem verwinkelten Parcours kurvt der Tesla neutral, lässt erst beim Herausbeschleunigen aus engen Ecken das Heck dezent mitarbeiten.

Bemerkenswert: Im Track-Modus verändert sich sein Charakter auf Wunsch komplett. Stabilitätskontrolle und Rekuperationsstärke lassen sich quasi stufenlos einstellen. So wird das Model 3 im Drift-Modus sogar zur Heckschleuder. Wie sich das anfühlt? Ein bisschen wie beim Zocken auf der Playstation. Leistung baut sich nicht linear auf, sondern digital. Fahrpedal anstupsen, und er geht quer. Da braucht es wache Reflexe, denn die Physik überlistet auch ein 1.853 kg schwerer Tesla nicht.

Polestar mit Volvo-Qualität

Polestar 2, Interieur
Achim Hartmann
Innen geht es im Polestar gemütlich zu. Das feine Ambiente samt guter Verarbeitung zeigt Ähnlichkeiten mit Volvo.

Spieltrieb befriedigt? Gut. Denn jetzt wird es erst mal gemütlich. Schließlich ist der Polestar im Kern ein Volvo. Obwohl er sich mit dem Namen der einstigen Tuningversionen ziert, sieht er außen wie innen nach Schweden aus und fühlt sich auch genauso an. Bestens verarbeitet und stilvoll eingerichtet, inszeniert er sich innen mit dunkel vertäfelten Hölzern, Verkleidungen aus veganen Stoffen und Ambiente-LED-Licht. Sportliche Akzente setzen nur goldene Gurte.

Ja, hier steigt man gern ein, auch weil man sich schnell zurechtfindet. Ein paar mehr echte Tasten und Knöpfe wären trotzdem hilfreich. Immerhin liegt das Infotainment mit Google-Software so gut in der Hand wie das Tablet auf dem heimischen Sofa, nur dass es aufrecht hinter Lautstärkerädchen und Wählhebel steht.

Der 11,5-Zoll-Screen reagiert bemerkenswert flott, gliedert seine Menüs logisch und ist vor allem dank großer Kacheln zielsicher betouchbar. Zudem versteht die "Okay Google"-Sprachassistentin Navigationsanweisungen äußerst zuverlässig und übernimmt auch Klimaeinstellungen. Noch mehr Funktionen, wie App-Steuerung und schlüssellosen Zugang, gibt es demnächst – natürlich "over the air".

Tesla Model 3, Interieur
Achim Hartmann
Unter der langen Glaskuppel der strömungsgünstigen Karosse mit 0,23-cw-Wert sitzt man im Tesla etwas bequemer.

Wenig Luft ist dagegen im Fond. Sowohl Beine als auch Kopf müssen beim Entern durch die kleinen Fondtüren angezogen werden. Zudem schränken Mitteltunnel und Panoramadach die Bewegungsfreiheit ein. Zugänglicher ist da schon das Kofferabteil dank Fließheck. Die große Klappe schwingt elektrisch angetrieben weit auf und gibt 405 Liter plus Ladebodenfach sowie praktischen aufstellbaren Gepäckraumteiler und Durchlade frei. Klappt die Rücksitzlehne im Verhältnis 60:40 eben um, entstehen 1.095 Liter Volumen.

Da kann das Model 3 mit dem kleinen Limousinendeckel einpacken. Immerhin öffnet die Heckklappe seit dem Modelljahr 2021 elektrisch, und die 425 Liter Stauraum bleiben nun auch trocken. Neben der umklappbaren Rückbank schafft der großzügiger geschnittene Frontkofferraum ("Frunk") wie im Polestar zusätzlichen Raum für Ladekabel. Und unter der langen Glaskuppel der strömungsgünstigen Karosse mit 0,23-cw-Wert sitzt man etwas bequemer.

Hier pupst der Blinker

Zutritt gewährt Tesla seinen Gästen mit einem Schlüssel im Kartenformat oder via Smartphone-App, mit der sich unter anderem auch Klimafunktionen und der Wächter-Modus steuern lassen. Der zeichnet mit vier Kameras auf, was um das Auto herum passiert, und das ist so einiges: Nachbarn, Marder, spielende Kinder – alle werden ungefragt gefilmt, aber nur im Falle eines Einbruchs an die Firmenzentrale gefunkt, wie Tesla versichert. Doch das Ganze funktioniert auch umgekehrt.

Tesla Model 3, Exterieur
Achim Hartmann
Neben Bedienung und Komfort stört trotz Verbesserungen nach wie vor die halbherzige Verarbeitungsqualität des Tesla.

Nein, Sie bekommen nicht Elon Musks Wohnzimmer zu sehen, wohl aber dessen Einfallsreichtum. Vom animierten Lagerfeuer über pupsende Blinker bis hin zur Spielkonsole sowie Film- und Musikstreaming – vieles davon kam über Updates im Laufe der Zeit ins Auto. Schon im Stand unterhält der Tesla also sein Publikum. Oder lenkt er nur von ungleichmäßigen Spaltmaßen und Orangenhautlack ab?

Das ist zumindest bei diesem Testwagen – der seit Langem mal wieder direkt von Tesla stammt – besser geworden. Bis auf teils einfache Materialien und lose umherfliegende Unterlegscheiben gibt es innen kaum etwas an der Qualität zu bekritteln. Zudem finden zwei Smartphones auf einer induktiven Ladeschale Platz, auch Ablagen gibt es reichlich.

Dass Tesla bei der Bedienung des Model 3 vieles anders macht, daran muss man sich jedoch gewöhnen – oder die Youtube-Tutorials schauen. Dort erfährt man, dass die zwei Rollen am Lenkrad vielfältige Funktionen übernehmen oder der Wahlhebel rechts für Fahrtrichtungen sowie Assistenzfunktionen zuständig ist. Der Rest wird über den omnipräsenten Breitbild-Touchscreen gesteuert. Im Vergleich zum App-optimierten Polestar-System erinnert die oft kleinteilige Darstellung aber eher noch an einen Desktop-PC, und die Sprachsteuerung gibt sich deutlich begriffsstutziger. Wünschenswert wäre zudem zumindest eine Tempoanzeige im Sichtfeld des Fahrers, die jedoch im Nachhinein nicht installierbar ist.

Lade- und Sachgeschichten

Polestar 2, Tesla Model 3, Exterieur
Achim Hartmann
Lange Leitung? Tesla kann kurzzeitig bis zu 250 kW, aber nur an eigenen V3-Ladern. Polestar schafft 150 kW.

Dafür bietet der Ami Infos, mit denen Polestar knausert – Verbrauchsprognosen und -analysen sowie Schnellladepreise etwa. Blöd nur, dass auf Langstrecken lediglich Teslas eigene Supercharger in die Routenplanung einbezogen werden. Gleiches gilt für das Vorkonditionieren des Akkus, der dann schneller laden soll.

Womit wir uns abschließend doch den wichtigen E-Auto-Themen zuwenden: Theoretisch zieht das Model 3 bis zu 250 kW Strom aus DC-Ladern – ein unrealistischer Wert, wie Tesla selbst einräumt. Für 150 km Reichweite pausiert man theoretisch acht Minuten, wobei die reale Ladegeschwindigkeit mit zunehmendem Füllstand abnimmt. Maximale Reichweite? 361 km bei einem Testschnitt von 23,5 kWh pro 100 km, auch dank nun serienmäßiger Wärmepumpe. Polestar lässt sich diese extra zahlen (4.500 Euro im Paket) und verbraucht trotzdem mehr: 28,4 kWh entsprechen 285 km Testreichweite. Zudem lädt er mit maximal 150 kW.

Ein Vorteil für den Tesla also, doch größere Reichweite und kürzere Ladezeiten sind nun mal nicht alles – selbst bei einem sportlichen E-Auto.

Voll vernetztes Fahrzeug

Polestar 2, Interieur
Achim Hartmann
Polestar setzt auf Android Automotive OS als Betriebssystem und nutzt so Google Assistant, Maps und Playstore. Tesla entwickelt die Software bis auf Navi-Karten selbst.

Für Software-Updates müssen Tesla und Polestar nicht in die Werkstatt. Fehlerbehebung und neue Funktionen kommen via Internet in die Autos. Tesla setzt anders als viele klassische Autobauer auf einen Zentralrechner statt vieler einzelner Steuergeräte. Im Model 3 übernimmt der "Full Self-Driving Computer" mit Hardwarestand 3 nicht nur die Koordination der Assistenzsysteme sowie das Energiemanagement, sondern steuert auch das Infotainment.

Das Rechenmodul, das Tesla selbst herstellt, besitzt zwei leistungsstarke, 260 Quadratmillimeter große Chips. Ähnlich wie Apple entwickelt Tesla auch die Software in Eigenregie: Seit dem Marktstart wurde diese beim Model 3 mehr als 20-mal mit über 70 neuen Funktionen "over the air" upgedatet. Darunter sind Unterhaltungsfeatures wie Netflix. Hinzu kommt aber auch Handfestes wie eine fünfprozentige Leistungssteigerung, der Ausparkassistent oder der Track-Modus beim Performance-Modell.

Und Polestar? Verbündet sich mit Google. Das Android-Automotive-OS-Betriebssystem funktioniert ähnlich wie bei einem Android-Smartphone. So können seit dem letzten Update auf Version 10 ein paar Playstore-Apps im Auto genutzt werden. Das Update brachte zudem eine Verbesserung der Reichweite und Ladeeffizienz sowie neue Funktionen für das Soundsystem. Noch im Mai erfolgt Update Nummer drei mit einer Smartphone-Schlüssel-App.

Technische Daten
Polestar 2 4WD Pilot PlusTesla Model 3 Performance Performance
Grundpreis50.970 €59.560 €
Außenmaße4606 x 1859 x 1482 mm4694 x 1849 x 1443 mm
Kofferraumvolumen405 bis 1095 l649 l
Höchstgeschwindigkeit205 km/h261 km/h
0-100 km/h4,8 s3,7 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km0,0 kWh/100 km
Testverbrauch28,4 kWh/100 km23,5 kWh/100 km