Verhält es sich mit dem Fortschritt nicht wie mit dem Wandern? Du setzt Fuß vor Fuß und scheinst kaum vom Fleck zu kommen. Erst wenn du nach Stunden mal pausierst, erkennst du beim Blick zurück: Von dort hinten bin ich gekommen, nun stehe ich hier. Ganz schön was geschafft. Fortschritt besteht also im Grunde aus der Abfolge vieler kleiner Schritte. Einen großen Satz nach vorn macht die Sache, wenn plötzlich ein Gamechanger wie das iPhone das Parkett betritt. Doch das ist ja nicht alle Jahre der Fall, und so heißt es also, das Vorhandene zu optimieren in vielen kleinen Schritten in allen Belangen.
Welchen Effekt das Feilen hier und Tüfteln dort über Jahrzehnte haben kann, wollen wir daher heute ergründen – übersetzt in eine angepasste und verschlankte Punktewertung. Angepasst deshalb, weil früher vieles, was heute Standard ist, nicht zum Mess-Programm zählte. Und warum verschlankt? Weil es ermüdend wäre, dem Klassiker dieser Geschichte bei Sicherheitsausstattung, Konnektivität oder Assistenz all das vorzuhalten, was er nicht haben kann, weil es damals noch nicht erfunden war. Doch jetzt (Arbeit darf ja auch Spaß machen) zu den Protagonisten dieser Story mit zweimal 300 PS: der eine über 30 Jahre alt (das Fotomodell ist ein 89er G-Modell mit Fünfganggetriebe) mit sechs luftgekühlten Zylindern im Heck, der andere aus aktueller Produktion mit vieren zwischen Sitz und Hinterachse.
Turbogeladen sind beide, und dass die Turbo-Technik in den letzten Jahren gewaltig viele kleine Schritte gemacht hat, wird Mitfahrer Peter und mir schon auf den ersten Metern im tannengrünen Klassiker bewusst.
From Zero to Hero
Anfahren, Stadtverkehr, mitschwimmen: Das alles macht der 911 ganz wunderbar mit seiner fein dosierbaren Kupplung, die nun endlich hydraulisch unterstützt ist. Man rollt brav im Saugerbereich mit dem Verkehr mit, wird zwar nicht gerade in den Sitz gepresst, ist aber wahrlich nicht langsam. Erst wenn das Gas mal länger stehen bleibt, kommt nach und nach Leben in die Ladedruckanzeige. 0,2 bar, 0,4 bar, 0,6 baaaaar … jetzt drückt er schon ordentlich. 0,8 bar, aber hallo! Der Weg des Ladedrucks ist in den hohen Gängen tatsächlich störend lang. Doch wenn der Turbo rauschend und fauchend, aber ohne die spitzen Lustschreie seiner Saugerkollegen gnadenlos immer mehr Kohlen in die Glut schippt, eskaliert er schlicht wunderbar und erhaben. Wer stets mit Zug auf der Kette im Laderbereich fährt, fühlt sich an einen großen V8 erinnert. Für den Verbrauch ist das jedoch nicht gut: Der 1989 ermittelte Testverbrauch lag jenseits der 20 Liter.
Erfahrung, Weitsicht und Talent braucht es dann aber in dieser Schmauchzone ab 4.000/min, wo der Ladedruck sich von Zero to Hero morpht. Stellen wir uns also mal vor, wie 430 Newtonmeter zwei vielleicht kalte 245er-Reifen auf feuchter Straße in die Mangel nehmen – ganz ohne Schlupfregelung.
Ja, dieser Turbo ist, flott gefahren, kein Auto für Männer, die Pfeife rauchen, sondern eher ein Auto, das Jüngelchen in der Pfeife raucht, wenn die sich für Männer halten. Also verhalten wir uns entsprechend an diesem sonnigen Tag, an dem dem Turbo deutlich mehr erhobene Daumen gelten als dem Cayman. Der ist ja tatsächlich auch irgendwie ein alltäglicher Anblick.
Genuss durch Arbeit
Kurven nehmen wir mit dem gelben Cayman, diesem begnadeten Kurvenküsser, also erheblich fixer als mit dem grünen 930. Das ist zum einen natürlich dem erheblichen Wert des Elfers geschuldet, den uns das Porsche Museum – vielen Dank dafür! – zur Verfügung gestellt hat. Es hängt aber auch schlicht damit zusammen, dass es sich mit dem Cayman viel unangestrengter sehr viel schneller fahren lässt und sein Grenzbereich auf öffentlichen Straßen eher eine theoretische Region als ein reales Reiseziel ist. Und im Hintergrund steht ja sehr viel segensreiche Assistenz-Elektronik parat.
Kurven im Cayman: entschlossen auf die Bremse (die zwar weniger Kraft fordert als die des 911, dafür aber nicht so präzise auf den Punkt kommt), einlenken, dann kräftig aufs Gas. Das optionale Doppelkupplungsgetriebe schaltet aufmerksam und flink zurück, und die hoch entwickelte Motorelektronik sorgt dafür, dass genau wenn gewünscht genau so viel Dampf wie gewünscht unterm rechten Fuß liegt. Lenkrad wieder geradeaus, kräftiger Druck im Rücken (mit leider unter hoher Last gar nicht mal so schönem Sound) – fertig.
Im Traumauto der späten 80er sieht das alles ganz anders aus: Anfahrt im Vierten des übrigens wunderbar exakt schaltbaren Getriebes, bremsen, runter in den Dritten, durchaus mit fester Hand und viel Gedrehe in die Kurve lenken, den Lenkradeinschlag gegen wachsende Kräfte entschlossen halten, im Scheitelpunkt Gas geben und – hm. Das war nichts, ohne Ladedruck trödelt der 911 uninteressiert die anschließende Steigung empor.
From Hero to Zero
Also noch mal. Anfahrt, runter in den Zweiten und schon vorm Scheitelpunkt für Ladedruck sorgen. JETZT kommt der Punch passgenau, sechs Zylinder schieben dich gewaltig den Berg hinauf, und du hast allen Grund, zufrieden zu lächeln.
Allmählich verlieren wir den Respekt vor dem Klassiker. Ja, es kann auch anders kommen – ist es ja früher dem Vernehmen nach auch oft genug: Leistungseskalation zur falschen Zeit am falschen Ort und nur sehr wenig Zeit, um entschlossen und schnell gegenzulenken, was dann schon Popeye-Unterarme verlangt. Statt Powerslide-Hero also eher ein großes Ego auf Zero, weil: kurzes Heck-raus-Spektakel, Konter, hilfloser Rettungsversuch, Graben, verbeultes Blech, ewige Schmach.
Auf den kleinen Sträßchen wie auch auf der Autobahn zeigt sich die schwergängige Lenkung des Turbo ungemein redselig. Sie berichtet – manchmal erstaunlich kräftig um die Nulllage pendelnd, ohne dabei auf wundersame Weise den Geradeauslauf zu stören – sehr ausführlich über das, was zwischen den 205 Millimeter schmalen Vorderreifen und der Fahrbahn abläuft, meldet jede Spurrille und kleine Verwerfungen, die das Auge nicht sieht.
Auch mal den Mund halten
Auf Dauer aber wär’s schön, wenn die Lenkung mal den Mund hielte – so wie die des Cayman. Der stellt genau die Informationen durch, die der Fahrer braucht, und filtert den Rest aus. Vom Komfort-Vorteil beim langsamen Rangieren ganz zu schweigen.
Geringer als gedacht ist hingegen der Fortschritt beim Fahrkomfort. Mit seiner zeittypisch weichen, stärkere Wankbewegungen verursachenden Auslegung kommt der Turbo dem Cayman mit Adaptivdämpfern erstaunlich nahe. Lediglich der Langsamfahrkomfort ist schlechter; da wirkt der Oldie aller Abstimmungs-Finesse zum Trotz etwas hüftsteif und ungelenk. Auch beim Geräuschkomfort gibt es weniger Unterschiede als gedacht. Der Elfer ist nicht der laut brüllende Berserker mit ohrenbetäubenden Windgeräuschen; Tempo 180 ist ebenso gut langstrecken-kompatibel wie im Cayman.
Auch sitzt es sich kaum weniger bequem als im Cayman mit sehr gut passenden Abständen zu den Pedalen und zum nicht einstellbaren Lenkrad. Störend ist nur, dass die Uhrensammlung dahinter ohne leichte Verrenkungen nicht komplett einsehbar ist. Nicht unwichtige Segmente des Tachos liegen verdeckt hinterm Lenkradkranz, und das passt irgendwie zu den vielen versteckt platzierten Schaltern im 911. Die winzigen Kippschalter für Spiegelverstellung oder Schiebedach sowie die geheimnisumwehten Regler für Klimaanlage und Belüftung zeigen das Alter des Elfers mindestens so deutlich wie der Multimediabereich: Damals war das kleine Blaupunkt-Kassettenradio sicher kein Anlass, sich schlecht bedient zu fühlen. Viel Besseres gab es ja nicht. Doch was der Cayman serienmäßig auffährt, Stichwort Smartphone-Integration oder Digitalradio, ist schlicht eine andere Dimension. Von der Navigation ganz zu schweigen. Er hat wohl im Zündschlüssel mehr Elektronik, als im gesamten 911 verbaut ist – was auch für dramatisch kürzere Bremswege sorgt. Schließlich ist es im ABS-losen Elfer ein sehr schmaler Grat zwischen bestmöglicher Verzögerung und teuren Bremsplatten.
38 Monatsgehälter. Oder 14
Fortschritt also in allen Belangen, und damit wären wir beim Kostenkapitel angekommen. 1989 war der Turbo der teuerste Elfer, er kostete 135.000 Mark. Um ein Gefühl für diese Summe zu bekommen, lohnt sich ein Blick auf das durchschnittliche Monatseinkommen jenes Vor-Wende-Jahres. Es betrug laut Statistischem Bundesamt 3.517 Mark. Der Turbo kostete also gut 38 Monatsgehälter.
Dagegen sind die 60.864 Euro des 718 mit optionalem Doppelkupplungsgetriebe ein Schnäppchen. Viel Geld, ja. Doch repräsentiert dieser 718 Cayman lediglich 14,5 Durchschnittsgehälter von 4.208 Euro (Stand 2021). Und die vielen kleinen Schritte in Richtung Fortschritt, die erst aus der heutigen Rücksicht in ihrer doch gewaltigen Summe deutlich werden, zeigen sich auch bei der Komfortausstattung, bei der Abgasreinigung für Euro 6 statt Euro 0, den Airbags, dem Licht, der Assistenz.
Auch im Unterhalt ist der Mittelmotor-Einsteiger billiger, als es der Turbo seinerzeit war. Längere Service-Intervalle und weniger Wartungsaufwand sind die Stichwörter. Nur bei den Kraftstoffkosten hat der Cayman das Nachsehen, obwohl er auf unserer Expeditionsrunde mit 9,7 zu 15,3 Litern viel weniger verbraucht hat: 1989 kostete Super 1,15 Mark pro Liter, macht für 100.000 Turbo-Kilometer knapp fünf Gehälter. Der Cayman verlangt heute nach Super Plus zu 2,25 Euro; auf dieselbe Distanz fließen so mehr als fünf Gehälter durch den Tank.
Den Sieg nach Punkten des Porsche Cayman gefährdet das nicht. Ihn können Peter und ich uns als Alltagsauto vorstellen, den Turbo kaum. Anders wär’s auch blöd. Denn dann hätte der Fortschritt ja immer nur einen Schritt vor und zwei zurück gemacht.
Porsche 718 Cayman Cayman | Porsche 911 Turbo 3.3 | |
Grundpreis | 62.054 € | |
Außenmaße | 4379 x 1801 x 1295 mm | 4291 x 1775 x 1310 mm |
Kofferraumvolumen | 150 l | |
Hubraum / Motor | 1988 cm³ / 4-Zylinder | 3299 cm³ / 6-Zylinder |
Leistung | 220 kW / 300 PS bei 6500 U/min | 220 kW / 300 PS bei 5500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 275 km/h | 260 km/h |
0-100 km/h | 4,6 s | |
Verbrauch | 9,6 l/100 km | |
Testverbrauch | 9,6 l/100 km |