Wollen wir unsere Helden wirklich gewinnen sehen oder nicht vielmehr ihre Widerstreiter scheitern? Warum verzeihen wir Unzulänglichkeiten so leichtfertig, aber nie großes Talent? Wann beginnt er, der Anfang von jenem Ende, an dem abgerechnet wird? Und darf man sich Charles, Prince of Wales, Duke of Cornwall, of Rothesay und of Edinburgh, als glücklichen Mann vorstellen? Oh, wie die Gedanken vor sich hinströmen in diesen kleinen, kurzen Stunden vor dem neuen Tag, in denen der Himmel sich in einem einzigen langen, zeitlosen Moment von tiefem, nur vom Fernlicht der Klappscheinwerfer durchbrochenem Schwarz in schattiges Grau reckt, das bald das erste, fahle Hellrot des Morgens durchstreift.
Beginnt der, wenn die Dunkelheit dem Gestern noch näher ist als dem Heute im flackernden Neonlicht der Tiefgarage, dann, Freunde, ja dann sind wir wieder unterwegs mit einem Helden der Vergangenheit. Eine Fahrt mit einem "Alten im Test" ist immer auch eine Reise in eine zweideutige Geschichte: weil die Jahre, die wir uns zurückdenken, damals ja noch als Zukunft vor dem Wagen liegen.
Das kann ja scheiter werden
Es ist der 17. März 1977, als der 47. Genfer Salon beginnt. Als bedeutendste Neuheit steht da der 928, der "große Sportwagen für die 1980er-Jahre" – nein, kleiner haben sie es bei Porsche selten. Aber er ist ja auch ein komplett neu entwickelter Wagen voller bei Porsche nie da gewesener Technik: vorn ein wassergekühltes Triebwerk und die Kupplung, verbunden durch eine in einem Hohlrohr mit Motordrehzahl rotierende Welle mit dem Getriebe, das vor der Hinterachse sitzt. Halt-halt-halt-halt-halt, Seb, sagen Sie jetzt, und was ist mit dem 924? Jaha, Freunde, der hat das auch – allerdings sitzt bei dem das Getriebe hinter der Hinterachse. Vor allem aber startet Porsche die Entwicklung des Transaxle-Konzepts für den 928. Den 924 schieben sie nur dazwischen und übernehmen eben das neu konstruierte Layout. Und statt des Zweiliter-Vierzylinder-Reihenmotors, dessen Abstammung immer bis zum VW LT herablapidarisiert wird, treibt den 928 ein V8 an.
Der wird es bis 1995 noch auf 5,4 Liter, 32 Ventile und 350 PS bringen. Doch startet das Triebwerk mit Alu-Block und -Zylinderkopf, keilförmigen Brennräumen, geschmiedeter Kurbelwelle und gesinterten Pleueln mit Zweiventilerei, viereinhalb Litern Hubraum und 240 PS. Das seien, rechnen Elferfahrer eifrig vor, genau 20 PS weniger als beim 930, dem Turbo. Was einerseits beweist, wie sicher siesich bei Addition und Subtraktion im dreistelligen Zahlenbereich bewegen. Und andererseits, dass sie den 928 von Beginn an falsch verstehen: als Angriff auf ihr – selbstredend heldenhaftes – Sportwagenfahrertum.
Denn wenngleich der 928 auf mittlere Sicht den 911 ersetzen soll (was ihm, wie wir alle wissen, durchaus nicht gelingt), darf er das Programm vorerst nur nach oben erweitern. Für neue Kunden, schreibt unser brillanter früherer Chefredakteur Klaus Westrup im ersten Test, die nicht nur wohlhabend, sondern auch verwöhnt seien und denen ein 911 "zu laut, zu hart oder zu anspruchsvoll ist".Das hört sich in Herrenfahrerkreisen abwertend an, entspricht aber Porsches Ziel. Ja, in der Pressemappe zum 928 beschwören sie gar seine "Gutmütigkeit im Grenzbereich". Gutmütigkeit? Pah, als ob ein Porsche-Neunelf-Pilot je auf mildtätige Gutmütigkeit angewiesen wäre!
Dabei ist die doch Ergebnis höchster Ingenieurskunst. Sie verschafft dem Gran Turismo ein Alu-Fahrwerk vorn mit Doppelquerlenkern und negativem Lenkrollradius für höhere Stabilität beim Bremsen auf links und rechts unterschiedlich griffigem Untergrund. Die Hinterräder führt die Weissach-Achse – eine Konstruktion aus oberen Quer- und unteren Diagonallenkern mit integrierter Steuerschwinge. Diese hält die Radstellung bei Lastwechseln konstant und kompensiert so die bei Lastwechseln auftretende, stabilitätsmindernde Veränderung der Vorspur. (Sind es nicht gerade solch lehrreiche Details – mit väterlicher Strenge im Ton und eindrücklichen Gesten vorgetragen –, mit denen Sie auf den Geburtstagspartys Ihrer pubertierenden Tochter als cooler Superdad rüberkommen?) Auch sonst ist der große Porsche gleich so sorgsam durchkonstruiert, dass Detail-Optimierungen genügen, um ihn über 18 Jahre, sechs Versionen (928, 928 S, 928 S4, 928 S4 Clubsport, 928 GT, 928 GTS) und 62 410 Exemplare modern zu halten.
Wäre die Wahrheit also etwas, das man anderen Menschen, Elferfahrern gar, zumuten könnte, müsste man sie damit konfrontieren, dass ein 928 einem gleich alten 911 überlegen ist in … nun: in eigentlich allem. Gerade auch, da ihm das erfindungsreich-geniale Tüftlertum abgeht, das den 911 auszeichnet und sein Konzept gegen alle Chancen immer wieder zurück in die nächste Zukunft rettet.
Von seiner eigenen Zukunft hat der 928 noch 14 Jahre vor sich, als er als Sondermodell 50 Jahre Porsche mitfeiert. Mit solch einem 1981er-Jubi-Porsche – Meteor metallic draußen, weinrot gestreift samt F.-Porsche-Stickereien drinnen – kommen wir nun an unserer Stammtankstelle in Hockenheim an. Im derart betörenden frühesten Morgenlicht, dass Hans zum Fotografieren losdrängelt. Die beliebten Drehbuch-Elemente "Baguettebelagdiskurs mit dem Juniorchef" (Otto) und "erfolglose Daherschmeicheleien mit der Seniorchefin" (Seb) entfallen daher heute.
Wie in seinen testen Jahren
Stattdessen eilen wir rüber ins Motodrom. Dann wie immer: Auto wiegen, Messgerätschaft verkabeln und raus auf die Strecke. Und, ach, es zählt zum Zauber dieser "Alten im Test", dass wir selbst die langweiligste aller Messungen in atemloser Neugier vornehmen: die Tacho-Abweichung. Denn schon da beweist der 928, dass ein Auto seines Formats Übertreibungen ebenso wenig nötig hat wie Krawallereien in Geräuschbelangen, wie die Phonmessung ausweist.
Doch wärmt dieses Programm den Wagen angemessen durch für die Beschleunigungsprüfung, die wir ganz am Nordostzipfel der Strecke aus der Auslaufzone der Spitzkehre angehen. Also Konzentration, Drehzahl hoch, Kupplung schnappt und … Und dann wollen wir an dieser Stelle erst noch erwähnen, wie sehr an der Ur-Version des 928 immer herumgezetert wird, sein V8 sei ein selbstgefällig-bequemer Motor, dem der rechte Biss abgehe. Was. Für. Ein. Unsinn!
Als die Kupplung zuschnappt, legt er los mit einer abgründigen Wucht, einer ansatzlosen Elastizität und einer noch bei hohen Drehzahlen geschmeidigen Dringlichkeit, wie sie nur aus der Tiefe von 4474 cm³ Hubraum entsteigen können. Wenn einer herummäkelt, sechssieben für nullhundert seien so dolle ja nicht, möge er das erst mal selbst in einem 911 zusammenbeschleunigt bekommen. Erst recht in einem mit sperrigem 915er-Getriebe, dessen stocherige Langwegigkeit dort bis zum Wechsel aufs G50 (zum Modelljahr 1987, falls Sie die Teenagerfreundinnen Ihrer Tochter noch länger in Ihrem Bann halten wollen) als fahrerische Herausforderung bejubelt wird. Dabei steht die jener des stets dafür gerügten 928er-Getriebes keineswegs nach.
So, nun mal beherzt auf’s Bremspedal gestiegen, um die Verzögerung zu messen. Die sei nur so lala, meinen Sie. Tststst, wenn Sie mal auf Seite 22 zurückblättern wollen? Da sehen Sie, was der 911 Turbo so zusammenbremst. Womit wir das Vergleichen beenden und mit dem Versöhnen beginnen wollen. Denn klar finden Sie ebenso viele Werte, in denen ein 911 einen 928 überragt. Aber diese ewige Rivalität, welcher der wahrere Porsche sei, lässt eines immer außer Acht: dass der Unterschied zwischen Elf und Achtundzwanzig im Sinne ihrer Gesamtgrandiosität viel geringer ist als der zwischen einem Porsche und jedem anderen Auto. Also: Jeder Porsche ist ein wahrer Porsche.
Tugend porscht
Denn nur ein Porsche fährt wie ein Porsche, was der 928 beim Slalom beweist. Wobei er die Porschigkeit um eine Variation erweitert, welche gleichwohl das Wichtigste beibehält: die perfekt integrierte Sitzposition und die eilfertige, rückmeldungsfertige Geschmeidigkeit der Lenkung. Die bekommt beim 928 von Beginn an Unterstützung durch eine tempoabhängige Servofunktion, die dem Handling des schweren Wagens Leichtigkeit verschafft, ohne dass an Präzision und Rückmeldung etwas verborgen bliebe oder gar verloren ginge. So erlangt das Handling des Gran Turismo eine ebenso herausragende, aber eben andere Art der Brillanz. Mit der fein ausbalancierten Gewichtsverteilung und der hochkarätigen Fahrwerkskonstruktion fühlt er sich schlicht perfekt ausgewogen an. Untersteuern? Gibt es nicht. Also so gar nicht. Stattdessen startet der 928 neutral, bleibt bei eiligem Tempo neutral und auch bei noch eiligerem. Erst ganz oben an der Oberkante des Grenzbereichs drückt er sacht mit dem Heck. Doch genau dieser kleine Stupser und sein Gegenschwung geben dem 928 den passenden Schwung um die nächste Pylone und die nächste und die nächste und so weiter und so fort. Dabei legt er eine erstaunliche Geschwindigkeit und Gewandtheit vor, aber nie die Sicherheit ab – womit ihm ein Handling beschwingter Souveränität gelingt.
So sind wir noch derart beschwingt, als wir den Innenraum vermaßen, danach zur Messung des Verbrauchs losfahren, dass weder die Knappheit des einen noch die Großzügigkeit des anderen unsere Begeisterung für den 928 mindern könnten. Schließlich bringt er uns nach Hause, angenehm komfortabel auf der Autobahn, überaus kurzweilig auf der Landstraße und immer in spendablem Temporeichtum. Vielleicht einigen wir uns bei der Sache mit der misslungenen Thronfolge des 928 darauf: dass er nicht der ungekrönte König ist, sondern der ewige, feine Prinz.
Porsche 928 4.5 V8 | |
Grundpreis | 55.000 DM |
Außenmaße | 4447 x 1836 x 1313 mm |
Hubraum / Motor | 4474 cm³ / 8-Zylinder |
Leistung | 177 kW / 240 PS bei 5250 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 240 km/h |
0-100 km/h | 6,7 s |
Verbrauch | 15,6 l/100 km |
Testverbrauch | 15,6 l/100 km |