Jawohl, wir haben das Ganze losgetreten bei sport auto, vor fast 18 Jahren. Wir haben seither an vielem gerüttelt, einiges infrage gestellt und dabei fast alle rebellisch gemacht: Hersteller unter Zugzwang gesetzt, Leser interessiert, Mitbewerber düpiert, Fans fasziniert und so manch einen aus der Szene ernsthaft frustriert.
Und das alles nur wegen einer einzigen Metapher – nämlich der vom Ring. Weshalb der Aufruhr? Es handelt sich doch nur um eine kurze, dreistellige Zahlenreihe, so wie diese hier: 8.14. Bei aller Harmlosigkeit, die sich angesichts der blanken Ziffern offenbart – sobald sie für eine Zeit stehen und auf die Nordschleife bezogen sind, gehen überall die Alarmglocken an. Wettbewerber zweifeln, Hersteller insistieren: Man habe doch schon bessere Rundenzeiten erzielt. Seitens Seat ist in vorliegendem Fall von unter acht Minuten die Rede – um genau zu sein: 7.58,44 Minuten.
Seat Leon Cupra 280 schlägt Konzernbruder VW Golf R
Und nun kommen wir mit einem Resultat, sprich: einer Rundenzeit, die vermutlich genau in der Mitte zwischen dem liegt, was Kritiker oder Wettbewerber dem Probanden an Möglichkeiten zubilligen, und dem, was der Hersteller aufgrund seiner Expertise und seinen Möglichkeiten, Dinge geschehen zu machen, als Vorgabe formuliert hat.
Ohne auch nur eine Sekunde an den von den Herstellern veröffentlichten Zeiten zweifeln zu wollen: Das von ihnen mit viel Aufwand betriebene Rennen um Bestzeiten hätte nur dann Aussagekraft, wenn eine unabhängige Instanz die Vergleichbarkeit der Umstände zertifizieren würde. Aber selbst Bernie Ecclestone würde sich schwertun, die unterschiedlichen Interessen in einem fairen Wettbewerbsformat übereinzubringen.
So darf sich sport auto – mit Verlaub – weiterhin rühmen, das einzig relevante, weil nachvollziehbare Bewertungsschema in Sachen Rundenzeiten geschaffen zu haben: eine gezeitete Nordschleifenrunde, immer am Stück von demselben Fahrer gefahren, und zwar stets unter wetter- und streckentechnisch vergleichbaren Bedingungen.
Die Frage, ob eine einzige Aufwärmrunde ausreicht, stellt sich nicht: Normalreifen reagieren auf signifikante Temperaturanstiege sofort mit nachlassendem Grip. Man fordert sie im Vorfeld der schnellen Zeitrunde also tunlichst nicht heraus – jeder zusätzliche Übungskilometer würde ihre Fieberkurve steil nach oben treiben.
Anders bei Sportreifen: Sie bestehen auf einer Warm-up- Runde, um ihre maximale Seitenführung überhaupt erst aufbauen zu können. So sind es im Test fast ausschließlich die Reifen, die das Zeitfenster für eine optimale Runde kurzfristig öffnen – und wieder schließen.
Nun – eine Rundenzeit von 8.14 Minuten also. Was gibt es denn da zu meckern? Der mit dem Performance Pack fahrdynamisch aufgerüstete Seat Leon Cupra 280 schlägt damit nicht nur seinen extrem schneidigen Konzernbruder Golf R (8.15 min). Er zeigt damit fast dieselbe fahrdynamische Kompetenz wie ein 360 PS starker Mercedes A 45 AMG (8.10 min). Und er schafft es damit sogar, so ausgewiesene Ring-Experten wie den Porsche Cayman S (Typ 987) in die Schranken zu weisen. Der ist in den Supertest-Annalen mit 8.17 Minuten verewigt.
Um die vom Werk angegebene Rundenzeit realisieren zu können, bedürfte es nach gängiger sport auto-Rezeptur schon ganz anderer Kaliber. Etwa den von Raeder Motorsport aufgebauten Ford Focus RS (Supertest Heft 1/2011).
Entspannte Fahrt von Stuttgart zum Nürburgring
Im Gegensatz zu diesem eher extrovertierten, 400 PS starken und schon optisch als Fahrdynamiker erkennbaren Fronttriebler kommt der Seat Leon Cupra 280 zum Ring-Tanz in vergleichsweise zivilem Smart-Casual-Dress. Selbst auf dem Aldi-Parkplatz dürfte es mit ihm kaum möglich sein, größeres Aufsehen zu provozieren.
Als Inhaber einer Rennlizenz ist der Seat Leon Cupra schlicht nicht erkennbar. Demgemäß zeigt er sich den Anforderungen des Alltags ohne Einschränkungen gewappnet. Er ist sittsam leise unterwegs und begeistert mit Umgangsformen, die im sportlich herausgeputzten Konkurrenzumfeld nicht selbstverständlich sind.
Selten gestaltete sich die 330 Kilometer lange Strecke von Stuttgart zum Nürburgring so entspannt wie in diesem mit unterschiedlichen Fahrprogrammen und daher auch mit verschiedenen Dämpferkennlinien aufwartenden Kompaktsportler, der – nebenbei bemerkt – mit dem engen Verwandtschaftsverhältnis zum Golf so erfreulich locker und respektvoll umzugehen weiß.
Die hohe Fahrkultur erinnert tatsächlich an das Wolfsburger Pendant: Der Seat Leon Cupra lässt weder nervende Windgeräusche zu noch andere Straßeneinflüsse – wie beispielsweise in der Lenkung. Die perfekte Sitzposition hinter dem Multifunktionslenkrad sowie die hervorragende Übersichtlichkeit sind ein weiteres Pfund, mit dem der iberische Wolfsburg-Ableger wuchern kann.
Die lässige Tour auf der mit Baustellen gespickten A 61 unterstützt sein ungemein durchzugskräftiger Motor in bester Manier: Bis auf wenige Ausnahmen bleibt der sechste Gang eingespannt, was für die grandiose Leistungscharakteristik des schon aus dem Golf R bekannten Vierzylinder-Turbos spricht. Wie dieser hochmoderne Vierventiler aus niedrigen Drehzahlen aus den Puschen kommt, begeistert mit jedem Versuch, dem imaginären Turboloch auf die Schliche zu kommen, aufs Neue.
1.14,7 Minuten auf dem kleinen Kurs in Hockenheim
Ausgedreht lernt man ihn von ganz anderer Seite kennen. Im Vergleich zu seinem Pendant im Golf R geht der Turbo im Seat Leon Cupra im oberen Drehzahldrittel noch eine Spur energischer zur Sache – die leicht unterschiedlichen Verläufe der Leistungskurven bestätigen das.
Ob man ein Doppelkupplungsgetriebe, so wie es im Golf R erhältlich ist, vermisst? Ja und nein. Ja, weil der Einrückmechanismus der Kupplung bei nachlässiger Bedienung des Pedals etwas unelegante Schaltvorgänge verursacht. Nein, weil die von Hand ausgeführten Gangwechsel in ihrer bewusst hergeleiteten Abfolge ein sehr unterhaltsames Programm beinhalten und sie infolgedessen alles andere als lästig sind.
Wie die Fahrzeugwaage ausweist, fährt der Seat Leon Cupra nicht zuletzt wegen des leichteren Schaltgetriebes und des Verzichts auf Allradantrieb in einer deutlich niedrigeren Gewichtsklasse als der Konzernbruder mit dem R als Typenschild (1.366 zu 1.483 kg).
Mit dem an Bord befindlichen elektronisch gemanagten Sperrdifferenzial ist der Traktion zunächst einmal vollends Genüge getan. Spürbare Antriebsschwächen werden naturgemäß erst dann offenkundig, wenn die Reibwerte zwischen Reifen und Fahrbahn in den Keller gehen.
Auf trockener Fahrbahn zieht sich der Fronttriebler dank variabler Sperrwirkung aber so forsch und willig durch die Biegungen, dass es eine helle Freude ist, dem handlichen Seat Leon Cupra bei jeder sich bietenden Gelegenheit kräftig und reuelos die Sporen zu geben. Die Metaphern für fahrdynamische Kompetenz, die Rundenzeiten, sprechen eine eindeutige Sprache: Wir haben es bei aller Praxisfreundlichkeit mit einem echten Sporttalent zu tun. Die Zeit auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim – 1.14,7 Minuten – darf als neue Benchmark für diese Fahrzeugklasse notiert werden. Und die Nürburgring-Zeit ist auch nicht von Pappe.
ESP im Seat Leon Cupra nicht komplett deaktivierbar
Leider ist die Begeisterung nicht ganz ungetrübt, weil nicht von Dauer. Trotz deaktiviertem ESP bleibt selbiges nämlich auch im schärfsten aller Fahrprogramme, im Cupra-Modus, immer in Aktion. Es greift ein, sobald es mit den sich verändernden Reibwerten nicht mehr einverstanden ist und/oder die saubere Ideallinie zugunsten einer räuberischen Kampflinie bewusst verlassen wird – sprich: die flachen Curbs zwecks Radiuserweiterung gelegentlich miteinbezogen werden. Fast jede Unregelmäßigkeit am Limit wird vom elektronischen Sicherheitsprogramm zum Anlass genommen, einen drohenden Verlust des Fahrzeugs zu vermuten.
Der Umstand, dass die Empfindlichkeit mit Erwärmung der Michelin-Pilot-Sport-Cup-2-Reifen auch noch spürbar zunimmt, lässt darauf schließen, dass entweder das System mit der Gleitreibung ganz generell auf Kriegsfuß steht oder dass die detaillierte Applikation der Sportreifen auf das System nicht zur Gänze abgeschlossen worden ist.
Ein Hinweis auf letzteren Punkt liefert auch die Bremse des Seat Leon Cupra mit Performance Pack. Schon auf sanftes Berühren des Pedals nickt die Beifahrerin nicht ganz freiwillig mit dem Kopf. Was vordergründig als schnelle Reaktion des an Bord befindlichen Bremsassistenten und als fester, exakter Druckpunkt belobigt werden kann, ist in der Praxis zuweilen kontraproduktiv.
Vom zustimmenden Nicken der Beifahrerin mal abgesehen: Angesichts des abrupten Zugriffs der Bremse in Kombination mit den vermutlich unglücklichen Reibwertpaarungen fühlen sich nämlich das ABS und in Folge auch alle Sicherheitsorgane eiligst berufen, einzugreifen. Der Eingriff ist zwar grundsätzlich segensreich, auf dem Sportgelände aber so nicht erwünscht.
Es wäre also gut möglich, dass der Seat Leon Cupra 280 die vom Werk angegebene Rundenzeit tatsächlich in sich hat – aber gewiss nicht bei der Mitwirkung solcher Eingriffsmodalitäten.
Unter der Maßgabe, die Rundenzeit auf das von Seat offiziell kommunizierte Niveau drücken zu wollen, erwies sich die wirkungsvolle und fadingfreie Bremse als größter Hemmschuh. Was das bitte bedeuten soll? Nun, ihre schlechte Dosierbarkeit führt in der Hitze des Gefechts dazu, dass man sehr leicht überbremst. Ein gefühlvolles "Anlegen" der Bremse ist nur schwer möglich. Das wiederum führt schlagartig zu Regeleingriffen seitens des ABS-Regelsystems. Hinzu kommt, dass diese Eingriffe recht grob vonstattengehen, sodass der Fronttriebler infolge der selektiven Bremsmanöver starke Bewegungen um die Hochachse aufführt – und das konterkariert eine saubere, schnelle Linienwahl.
Die erste gezeitete Runde war mit Abstand die schnellste – 1.14,7 Minuten. Das anschließende Nachlassen ist hier vordergründig weniger den Reifen selbst zuzuschreiben – immerhin Sportreifen vom Typ Pilot Sport Cup 2 – als vielmehr der Reaktion des ESP auf sich verändernde Reifentemperaturen. Es kommt also schon in der zweiten gezeiteten Runde vermehrt zu ESP-Eingriffen – bis hin zu selektiven Bremsmanövern ausgangs der Nordkurve. Die Adaption des ESP-Systems ist nicht geglückt, vor allem auch in Kombination mit den Michelin-Sportreifen. Dass der Leon Cupra trotzdem der Schnellste im Ring ist, zeugt von seinen großen Talenten.
Trotz der geringfügig höheren gemessenen Leistung und des niedrigeren Gewichts bleibt der Cupra hinter den Vorgaben des Golf R zurück, erklärbar durch die etwas schlechtere Traktion und die höheren Temperaturen am Messtag. Die Bremse selbst liefert hervorragende Verzögerungsleistungen.
- Beschleunigung 0-200 km/h:
- 21,5 s
- Bremsen 200-0 km/h:
- 4,8 s
Im Testzeitraum war keine Messung im Windkanal möglich, und vom Hersteller lagen auch keine Werte für Auf- bzw. Abtrieb vor. Die Punktevergabe erfolgt daher unter Vorbehalt.
Die Sportreifen zeigen Wirkung: Mit einer maximal möglichen Querbeschleunigung von 1,35 g bringt es der Leon Cupra 280 fast auf Supersportwagen- Niveau. Die Spreizung der drei möglichen Set-ups geht in Ordnung. Auf unebener Fahrbahn – wie etwa der der Nordschleife – ist die "Cupra"-Einstellung aber viel zu straff. Auch die Lenkung ist in dieser Einstellung etwas zu schwergängig.
Das Fahrverhalten hängt – wie bei Sportreifen üblich – stark vom Wärmegrad der Pneus ab. Einmal auf Temperatur gebracht, bieten die Michelin Pilot Sport Cup 2 ein hervorragendes Gripniveau bei insgesamt guter Beherrschbarkeit. Nach direktem und neutralen Einlenkverhalten tendiert der Spanier am Limit zu leichtem Untersteuern, was mit dosierten Lastwechseln leicht korrigiert werden kann.
Aufgrund des Vorderradantriebs sind die vorderen Reifen schneller auf Betriebstemperatur als die hinteren. Das sorgt im Ausweichtest für eine anfangs etwas zickig reagierende Hinterachse. Mit warmen Reifen verhält sich der Fronttriebler umgänglich, reagiert neutral und agil auf Lenkbefehle und stützt sich hinten sehr gut ab. Die angenehm direkte Lenkung unterstützt dabei die Zielgenauigkeit.
Fazit
Gemessen am Preis-Leistungs-Verhältnis kommt man am Seat Leon Cupra 280 nicht vorbei. Im vollen sportlichen Ornat ist er für vergleichsweise schlanke 37 865 Euro zu haben. Der spanische Golf-Ableger überzeugt aber nicht nur nach formalen Kriterien: Hervorragende Qualität ist ihm genauso ins Gesicht geschrieben wie unumschränkte Alltagstauglichkeit. Er beglückt in seiner unauffälligen Art aber nicht nur im Alltag: Auch auf der Rennstrecke sorgt er regelmäßig für erstaunte Blicke. Allein beim Fahrer stellt sich wegen der dort früh einsetzenden Regeleingriffe doch leichter Frust ein.
Seat Leon SC Cupra 280 Cupra 280 | |
Grundpreis | 32.620 € |
Außenmaße | 4236 x 1810 x 1423 mm |
Kofferraumvolumen | 380 bis 1150 l |
Hubraum / Motor | 1984 cm³ / 4-Zylinder |
Leistung | 206 kW / 280 PS bei 5700 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
0-100 km/h | 6,1 s |
Verbrauch | 6,7 l/100 km |