Für alles über acht Minuten ziehe ich auf der Nordschleife keinen Helm auf." Wir alle wissen, wer’s gesagt hat. Verrückt, welche Fahrzeuge mittlerweile die Röhrl’sche Hackordnung auf der Schleife durcheinanderwirbeln. Getaucht in dezentes Pure White, hechtet der VW Golf R 20 Years im Supertest schneller durch die Grüne Hölle als zwei Legenden auf Rädern. Im Jahr 2.000 absolvierte "der Walter" im beflügelten Porsche 993 GT2 mit 450 Biturbo-PS die Nordschleife in 7.56,57 Minuten. Heute feiern wir dafür das Golf-Sondermodell, das die Nordschleife in 7.53,69 Minuten (gerundet 7.54 min) rockt.
Der Allrad-Golf glänzt nicht nur als Alltags-Allrounder, sondern liefert auch auf der Nordschleife Beeindruckendes ab. Doch das war nicht immer so. Zeit für einen kurzen Entwicklungsrückblick in die R-Generationen. 2002 debütierte der Power-Golf, genauer als R32. Das Konzept Allrad-Golf plus dicker VR6-Motor wurde damals mehr von der Hauptsache-geradeaus-schnell-Klientel am Wörthersee gehypt und weniger von den Tourifahrer-Experten auf der Nordschleife. Der 241 PS starke R32 der vierten Golf-Generation qualifizierte sich im Supertest 2/2003 mit gutmütigem, aber tendenziell untersteuerndem Fahrverhalten zwar nicht als ausgewiesenes Ring-Tool, legte aber mit 8.37 Minuten eine für damalige Verhältnisse vernünftige Rundenzeit hin.
Vom ESP-Saulus zum Sportpaulus
Wer dachte, ab da starte die R-folgsgeschichte auch auf der Rennstrecke durch, der wurde vom R32-Nachfolgemodell der fünften Golf-Generation bitter enttäuscht. Zitat aus dem Supertest 9/2006 über den Sechszylinder-Golf mit 250 PS: "Die zwölf Sekunden Rückstand zum Vorgänger sind eine Schmach, die ihre Ursache in erster Linie im stark erhöhten Gewicht hat." In Zahlen: Mit 1.591 Kilo war der Golf V R32 satte 85 Kilo schwerer als der Golf IV R32. Nordschleifen-Zeit? Nur 8.49 Minuten! Entwicklung rückwärts!
Auch der Golf R der sechsten Golf-Generation enttäuschte aus querdynamischer Sicht. Zitat aus Supertest 10/2010: "Der neue Golf R ist – wie schon seine Vorgänger – alles andere als eine Rennsemmel. Das ESP lässt ihn nicht von der Leine." Ein nicht gänzlich deaktivierbares ESP stand damals den Diätmaßnahmen entgegen. Unter anderem zwei Zylinder weniger ließen das Gewicht des jetzt erstmals mit Zweiliter-Reihenvierzylinder-Turbo bestückten Golf R mit 270 PS auf 1.531 Kilo sinken. Die zurückgedrehte Gewichtsspirale half nur bedingt – schneller als in 8.34 Minuten ging es für den Golf VI R nicht über die Nordschleife.
Die R-Folgegeneration der siebten Baureihe des nun auf 300 PS erstarkten Allrad-Kompakten bewies erstmals, dass man einen Golf R auch auf der Nordschleife ernst nehmen muss. Mit dem bis dato niedrigsten Gewicht seiner Entwicklungshistorie von 1.483 Kilo legte der R eine Nordschleifen-Zeit von 8.15 Minuten hin. Zitat aus Supertest 10/2014: "Die verantwortliche Sportabteilung namens R GmbH hat sich endlich dazu entschließen können, die zuvor lästigen elektronischen Hemmschwellen aus dem Weg zu räumen."
Rock ´n´ Roll
Spätestens in der achten Golf-Generation ist der R ein echtes Fahrdynamik-Tool geworden. Im Supertest 4/2022 hobelte er noch einmal satte zwölf Sekunden von seiner bisherigen Nordschleifen-Bestzeit ab. Den in seinen Vorgängergenerationen querdynamisch konservativen Niedersachsen erkannte man plötzlich nicht mehr wieder. Samt Cup-Reifen und Wunder-Allrad mit Torque Splitter konnte der einstige Allrad-Untersteuerer plötzlich nicht nur quer fahren (dank Drift Mode), sondern kratzte im Supertest auch an der Acht-Minuten-Schallmauer auf der Nordschleife.
Ganz raus aus ihrer konservativen VW-Haut können oder dürfen sie dann doch irgendwie nicht. Das Jubiläumsmodell zum 20. Geburtstag erkennt man auf den ersten Blick nur an einer dezenten Plakette auf der B-Säule, die sich jeder halbwegs talentierte Hobbybastler mit seinem 3-D-Drucker nachfertigen kann. VW, warum immer so zurückhaltend?
Der Golf R 20 Years hätte allen Grund dazu, ausgelassener zu feiern. Ein Golf wird vermutlich nie ein ganz so krasser Rock ’n’ Roller wie zum Beispiel der aktuelle RS 3. Während der Fünfzylinder-Audi besonders in Hockenheim gern im übersteuernden Allrad-Drift ums Eck hechtet, bevorzugt der 20 Years weiterhin eher den neutralen Beritt der Ideallinie.
Bedeutet für den Fahrstil des R-Piloten: lieber etwas früher anbremsen und dann den Schwung mit durch den Kurvenverlauf nehmen. Nur so kann der Torque Splitter sein volles Potenzial entfalten und das Fahrzeug wirkungsvoll rotieren lassen. Wer die Vorderachse des Golf R 20 Years überfährt, kassiert nicht wie im RS 3 ein übersteuerndes Heck, sondern zwingt den Allradler ins Untersteuern.
Fahrwerksseitig ändert sich vom normalen Golf R hin zum 20-Years-Sondermodell nichts, lediglich die Achsgeometrie stimmten die Fahrdynamikentwickler etwas sportiver ab. Im Detail: 24 Minuten weniger Negativsturz an der Hinterachse. Das Ziel dieser Änderung ist klar: der Hinterachse noch mehr Agilität verleihen.
Neue Reifen
Außerdem trägt der Golf R 20 Years einen neuen Optionsreifen. Statt des bekannten Michelin Pilot Sport Cup 2 setzt VW nun auf den Bridgestone Potenza Race. Wie kommt’s? O-Ton aus der VW-Entwicklungsabteilung: "Der Auslöser für den Wechsel war die Verschärfung der Pass-by-Noise-Anforderungen – also das Vorbeifahrgeräusch. Hier konnte der Cup 2 nicht unter das erforderliche Limit gebracht werden, ohne dass sich dabei andere, für uns wichtige Reifenparameter verschlechtert hätten. Wir haben uns deshalb für den Bridgestone Potenza Race in der gleichen Dimension entschieden. Im Testbetrieb auf der Rennstrecke stellte sich heraus, dass es sogar kleine Verbesserungen gab. Speziell auf nasser Fahrbahn ist der Bridgestone teilweise besser als einige UHP-Reifen. Die Bremswege sind nass und trocken hervorragend. Die Temperaturverteilung im Rennstreckenbetrieb, sowohl zwischen den Achsen als auch über die Reifenbreite, ist sehr homogen und stabil."
Mehr Details zum neuen Sport-Pneu aus der VW-Entwicklung: "Der Potenza Race ist geprägt durch eine stark geschlossene Profilauslegung speziell im Außenschulterbereich sowie eine Profiltiefe von circa sechs Millimetern. Durch die daraus resultierende erhöhte laterale Profilsteifigkeit wird der Grenzbereich verschoben und das nutzbare Reifenfenster erweitert. Zur weiteren Maximierung der Reifenperformance kommt hochfestes Rayon-Material für die Karkasse zum Einsatz. Darüber hinaus wurde die dynamische Druckverteilung in der Reifenaufstandsfläche hinsichtlich des Fahrwerks vom Golf R sowie Golf GTI nochmals optimiert."
Auf der Nordschleife münden die modifizierte Fahrwerksabstimmung sowie der Reifenwechsel in höheren Kurventempi – sowohl in schnellen als auch in langsamen Streckenabschnitten (Flugplatz: Golf R 163 km/h, 20 Years 171 km/h; Bergwerk: Golf R 95 km/h, 20 Years 102 km/h). Dabei bleibt das Sondermodell dem bekannten Fahrverhalten treu.
Schneller dank Detailoptimierung
Mit keinem anderen Kompaktsportler tastet man sich so easy ans Limit heran wie mit dem Golf R. Auch der 20 Years überzeugt mit einem gelungenen Mix aus Lenkpräzision und neutralem Fahrverhalten. Beim Anbremsen und beim Einlenken bleibt der Sonder-R jederzeit fahrstabil. Das Heck wedelt nicht, sondern es führt agil über die Ideallinie. Die Bremsanlage punktet dabei mit guter Pedaldosierbarkeit, Standfestigkeit und tadelloser ABS-Abstimmung.
Mit 333 PS krönt die aktuelle Ausbaustufe des bekannten Vierzylinder-Turbos EA888 evo 4 das Sondermodell zum stärksten Serien-Golf. Die 13 Extra-PS fallen aber nur bei der Datenauswertung mit leicht höheren Topspeeds auf den Rennstrecken sowie einer um 0,3 Sekunden schnelleren Beschleunigung bis 200 km/h auf.
Neben dem PS-Plus pusht den 20 Years jetzt auch eine Art Anti-Lag-System. Anders als beim normalen Golf R bleibt die Drosselklappe hier auch im Schub ständig geöffnet. Zudem wird der Turbolader im Teillastbereich vorgespannt. O-Ton aus der Entwicklungsabteilung: "Die Funktion ,Lader vorspannen‘ verbessert das Ansprechverhalten aus der Konstantfahrt heraus sowie bei kleinen Beschleunigungen. Die Dynamik wird durch eine optimier- te Wastegate-Strategie gesteigert."
Auch aus langsamen Kurven mit niedrigerer Drehzahl à la Wehrseifen oder Spitzkehre Hockenheim spricht der Zweiliter gut an. Anschließend trommelt er mit dem Durchzug und der Drehfreude über die Ideallinie, die bereits aus dem Standard-R bekannt sind.
Leichter als die Konkurrenz
Außerdem applizierten die Entwickler die Getriebesteuerung des bekannten DQ381-Doppelkupplungsgetriebes etwas anders. Bei Betätigung der rechten Schaltwippe im S-Modus machen präsentere Schaltrucke Hochschaltvorgänge noch etwas erlebbarer. Um eine optimale Rundenzeit im Grenzbereich zu erzielen, ist der Special-Modus empfehlenswert. Dessen App-Logo mit "Nürburgring"-Schriftzug und Nordschleifen-Logo deuten bereits auf sein favorisiertes Einsatzrevier hin.
Nicht nur die Dämpfer des DCC-Adaptivfahrwerks passen sich jetzt optimal an die Nordschleifen-Charakteristik an, sondern auch der automatische Getriebemodus des Siebengang- DSG. Runterschalten beim Anbremsen und Hochschalten zum idealen Zeitpunkt – die dynamischen Gangwechsel vollzieht das DSG jetzt autonom fast so perfekt wie beispielsweise ein Porsche-PDK.
Löblich auch das Gewicht: Mit 1.525 Kilo ist der 20 Years nicht nur leichter als seine Vorgänger Golf V R32 und Golf VI R, sondern auch der leichteste Kompaktheld mit Allrad im Konkurrenzumfeld (Audi RS 3 Sportback: 1.580 kg, Mercedes-AMG A 45 S: 1.625 kg, Ford Focus RS: 1.568 kg).
Nicht nur das: Mit 7.53,69 Minuten knackt der Golf R 20 Years sogar die Nordschleifen-Zeit seines legendären Fronttriebler-Verwandten, des nur 1.319 Kilo leichten Golf VII GTI Clubsport S (7.56,90 min; Supertest 7/2016). Damit macht sich der Golf R 20 Years das schönste Geschenk zu seinem Geburtstag selbst. Ab sofort darf er sich nämlich schnellster VW im Supertest auf der Nordschleife nennen.
Bereits dem „normalen“ Golf VIII R hat man sofort angemerkt, dass er viel Entwicklungszeit auf der Nordschleife verbracht hat. Dank der leicht modifizierten Fahrwerksabstimmung und nicht zuletzt des neuen Sportreifens gelingt dem 20 Years ein noch agilerer Auftritt, ohne dass die hervorragende Fahrbarkeit darunter leidet. Der speziell für die Nordschleife applizierte Special-Modus ist beeindruckend. Sowohl die Dämpfer- als auch die Getriebeabstimmung ist in diesem Modus perfekt auf den Ring angepasst. In puncto ABS-Abstimmung, Dosierbarkeit und Standfestigkeit gibt es an der Bremse nichts zu meckern.
Die Detailmodifikationen verfehlen auch auf dem GP-Kurs von Hockenheim ihre Wirkung nicht. Der 20 Years ist der erste Serien-VW, der die magische Zwei-Minuten-Grenze knackt. Dabei bleibt er dem bereits bekannten Fahrverhalten des normalen Golf R treu. Im Grenzbereich baut man zu dem Wolfsburger, dank seiner von Linearität geprägten Art am Limit, sofort viel Vertrauen auf. Kein Kompaktsportler fährt sich am Limit einfacher als der 20 Years. Allerdings sollte man die Vorderachse des Sondermodells nicht überfahren, damit der Torque Splitter wirkungsvoll arbeiten kann. Ansonsten droht hier Untersteuern.
Die Detailmodifikationen verbessern den Allrad-Golf nicht nur quer-, sondern auch längsdynamisch. Von 0 auf 200 km/h beschleunigt der 20 Years 0,3 Sekunden schneller als der Standard-R. Außerdem bremst das Sondermodell besser: 200−0 km/h Golf R 139,0 m, 20 Years 134,4 m.
- Beschleunigung 0-200 km/h:
- 17,0 s
- Bremsen 200-0 km/h:
- 4,8 s
Der 20 Years geht serienmäßig mit dem R-Performance-Paket an den Start. Damit trägt er den größeren Dachkanten-Heckflügel, der beim normalen R nicht serienmäßig ist. Da der R im Supertest 4/2022 ebenfalls den größeren Heckflügel getragen hat, ändern sich die Aerowerte hier nicht.
- Vorderachse bei 200 km/h:
- 27 kg Auftrieb
- Hinterachse bei 200 km/h:
- 4 kg Auftrieb
Die moderaten Modifikationen bei der Fahrwerksabstimmung in Kombination mit dem neuen BridgestoneSportreifen zeigen auch in dieser Disziplin Wirkung, wenn auch nur eine sehr geringe. Die maximale Querbeschleunigung steigt von 1,25 g auf 1,30 g im Vergleich zwischen dem normalen Golf R und dem Sondermodell 20 Years. Damit bewegt es sich im
mittleren Konkurrenz-Umfeld.
Das Geschwindigkeitsniveau gleicht dem des Standard-Golf-R, es kommt aber anders zustande. Abgesehen von der geänderten Bereifung ist wohl der reduzierte Negativsturz an der Hinterachse für das agilere Fahrverhalten verantwortlich, was im Slalom nicht unbedingt ein Vorteil ist. Die Konkurrenz haben beide Versionen fest im Griff, die Achsgeometrie kann nach Belieben angepasst werden.
In der schnellen Ausweichgasse kommt dem Jubiläums-Golf die gesteigerte Agilität zugute, wenn auch nur mit überschaubarem Gewinn. Lastwechsel zum Einlenken sind nicht mehr nötig, der Allradler bleibt lange neutral, drückt, wenn’s schneller wird, konstruktiv mit dem Heck und geht am Limit ins Übersteuern. Die Unterschiede im Fahrverhalten sind
Geschmackssache.
Fazit
Die Bedienung mit der verschachtelten und langsamen Menüführung sowie den touchsensitiven Flächen ist, wie in allen anderen Modellen des Golf VIII, auch im Golf R 20 Years weiterhin gruselig. Dafür glänzt das Sondermodell aus sportlicher Sicht noch mehr als bereits der normale Golf R. Neben der Agilität ist vor allem die einfache Fahrbarkeit des 20 Years im Grenzbereich beeindruckend.
VW Golf R 20 Jahre R | |
Grundpreis | 61.980 € |
Außenmaße | 4290 x 1789 x 1458 mm |
Kofferraumvolumen | 374 bis 1230 l |
Hubraum / Motor | 1984 cm³ / 4-Zylinder |
Leistung | 245 kW / 333 PS bei 5500 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 270 km/h |
0-100 km/h | 4,6 s |