50 Jahre VW Passat: B1 1.6 GLS im Test

50 Jahre VW Passat
So schlägt sich der Ur-Passat im Test

Die Autos, von denen wir einst träumten, von denen wir uns Poster ins Kinderzimmer pinnten, sind doch nicht jene Autos, die uns heute am meisten bedeuten. Aber wenn ein VW Passat B1 seinen 50. bei uns mit einem Geburtstagstest feiert, dann, Freunde, ist das für uns – und euch – ein bisschen Heimkommen in die heile Welt unserer Kindheit.

So klar wie die Nacht, aus der Sterne und Mond greller noch herunterzuleuchten scheinen, nun, da sie bald den ersten fahlen Lichtschleiern eines neuen Morgens weichen müssen, ist die Erkenntnis: Die Erinnerung kennt nur die Wahrheit. Was dir im Gedächtnis blieb: All das ist genau so gewesen, geschehen. Und wer sollte das auch besser wissen als du selbst? So führt diese Fahrt durch die Nacht zwar tatsächlich aus der Grelle der Tiefgarage hinaus auf die laternenbeleuchteten Straßen der Stadt und weiter gleich auf die Autobahn nord- und westwärts. Doch auf der Tour dem Ziel und dem Ende der Nacht entgegen reisen die Gedanken auf den Straßen der Erinnerung.

Unsere Highlights

Nicht nur unsere Herzen schlagen bei diesem altbekannten Traum höher. Ihres doch hoffentlich auch ?

Mal führen sie durch die herbstlaubnassen Kurven von Horb über Weiden nach Marschalkenzimmern und weiter zum Haus der Großmutter. Dann wieder vom frühen Morgen bis zum Abend über 900 km von daheim in den Sommerurlaub nach St. Peter-Ording. Da hatten wir Küchentücher als Sonnenschutz in die Fensterfugen geklemmt. Dann noch eine Heimfahrt spät am Abend: Du siehst aus dem Seitenfenster, wie die Striche des Mittelstreifens vorbeiwischen, derweil lullen dich das leise Murmeln der Eltern, das stete Vierzylindern des Motors und das Fauchen des Fahrtwindes in den Schlaf. Ein Schlaf, so tief, wie du nur als Kind in ihn eintauchst, in vertrauensseliger Geborgenheit – und in deinem Kindersitz, dem ewig schwitzigen Römer Peggy mit orangem Fangtisch.

Wir fuhren nicht zur selben Zeit, nicht an dieselben Orte, nicht in den gleichen Wagen. Und doch, mein Freund, eint uns das Gefühl. Ob 1962 oder 1981, ob Käfer, Heckflosse, Taunus oder R16, ob Rimini oder Rendsburg: Das Auto deiner Kindheit ist ein wahrer Schatz deiner Erinnerung.

Wobei wir nun – herrje, da ist ja schon das Kreuz Walldorf – wieder in die Realität des Tests zurücksollten. Noch fünfmal rechts abbiegen, dann steht der Passat an der Stammtankstelle. Es wäre kaum der Erwähnung wert, dass Super in seinen Tank gluckert, während Hans-Dieter und Otto herbei- und um den VW schwirren.

Doch gilt er als erstes Großserienauto mit Kunststofftank – was wir nicht widerlegen können, nach kurzer oberflächlicher Recherche. Auf eine intensivere, tiefschürfendere möchten wir es nicht anlegen, sie könnte dem Passat den Ruhm dieser Innovation rauben. Und die Chance zu vielen Innovationen hatte er nicht, ist er doch nichts anderes als der Audi 80, den VW überstürzt adoptierte und zum Schrägheck adaptierte.

1973 geht es um die Wurst

Anfang der 1970er eilt es plötzlich arg in Wolfsburg, wo sich abzeichnet, dass Käfer, Typ 2, 411 und K70 das meiste ihrer Zukunft schon weit hinter sich gelassen haben. Es braucht schnell ein neues Erfolgsmodell. Zwar konstruieren die Entwickler länger bereits am EA272, der den 411 ersetzen soll. Mit Quermotor-/Frontantriebslayout hat er an sich das noch zukunftsträchtigere Konzept, welches – das Haus verliert nichts – dann 1988 beim Passat B3 umgesetzt wird. Doch fertig wäre der EA272 erst 1974. Und die Hütte brennt so lichterloh, da ist keiner gewiss, dass VW bis dahin nicht die Zukunft ausgeht.

Also wird eilends das von Giugiaro entworfene Schrägheckdesign an die Längsmotor-Proportionen des Audi 80 angepasst. Da es den Passat auch als Variant geben soll, positionieren die Techniker den Tank um und ändern die Konstruktion der Hinterachse. Getrennt angeordnete Federn und Dämpfer verkleinern die Radkästen im Laderaum. Drinnen gibt es Vordersitze aus dem VW-Mobiliar sowie ein Lenkrad mit Wolfsburg-Emblem. Fertig ist der Passat, VWs zweiterfolgreichste Neuerscheinung 1973.

Es zählt nicht nur das Äußere – auch die inneren Werte des Passats werden bei uns genaustens unter die Lupe genommen.

Denn wie schön lässt sich die Zeit, in der die Waschanlage nun den Passat shampooniert, mit der Würdigung eines weiteren Jubiläums überbrücken: 50 Jahre VW-Currywurst. Für deren Fleischproduktion unterhält VW 1973 gar eine eigene Schweinemast. 2021 führt es zu Protesten, als VW die pro Jahr sieben Millionen Mal bestellte Wurst in den Kantinen durch Sojaprodukte ersetzen will. (Die Sojawurst übrigens erfindet Konrad Adenauer 1916, 33 Jahre bevor er sich mit seiner Stimme Vorsprung zum ersten Bundeskanzler wählt. Sind es nicht solche Details, die das große Ganze der Weltgeschichte greifbar machen? Oder mit denen wir im Ruhestand beim Kleingeldzählen im Supermarkt die gespannte Aufmerksamkeit des Kassenteams erlangen?)

Auf den Tag ungenau

Jedenfalls ist es Dienstag, der 20. März, oder auch Montag, der 14. Mai 1973 – es zeugt davon, welch trubelige Zeiten es damals in WOB sind, dass man sich nicht sicherer erinnert –, als der erste Passat in Wolfsburg vom Band rollt. 1974 folgt der Variant, ab 1975 gibt es die zwei- und viertürigen Schräghecks auch mit umklappbarer Rückbank und großer Heckklappe. 1977 wird Emden zum Passat- Stammwerk, dort fertigen sie zudem eine Version des Variant, den Audi in den USA als Fox Station verkau...

"Pass auf, Hans-Dieter, gleich holt Seb noch einen Passat-Prospekt raus und liest uns die Farbcodes vor."

"Oder, Otto, er zählt die Extras des M-Pakets aus der Preisliste auf. All das könnten wir aufnehmen und als Einschlaf-Podcast vermarkten."

Schon gut, schon gut, fahren wir los. Rüber ins Hockenheimer Motodrom, direkt auf die Waage, auf welche der für Leichtbau gerühmte VW Passat 1.6 GLS vollgetankt mit nur 870 Kilogramm drückt. Dabei ist er noch heute ein solider, stattlicher Wagen. Er fährt nicht, als sei seine Technik reduziert, sondern als sei es damals gelungen, sie auf das Wesen des Autos zu konzentrieren: auf komfortables, sicheres, zuverlässiges Fahren ohne Klimbim oder überkandidelten Prunk. Das, scheint es uns, überdeckt heute nicht nur Schwächen neuer Autos, sondern öfter gar das Vergnügen am Fahren.

In 12,2 Sekunden rennt der Passat 100 km/h schnell über die Rennstrecke.

Und dass es ein unterhaltsames Vergnügen mit dem Passat wird, ist gleich klar, nachdem wir die Messelektronik eingebaut und uns auf die Rennstrecke zum Start des Testprogramms und damit zur Ermittlung der Tacho-Abweichung aufgemacht haben. Wenngleich er einige km/h dazuschwindelt, legt der VW direkt mit unternehmungslustigem Temperament los.

Es kommt eben nicht auf das Leistungsgewicht an, sondern tatsächlich auf Leistung und Gewicht. Dazu inszeniert der Antrieb seine Vehemenz mit der quirligen Kraft des 1,6-Liters (des ewigen Vierzylinders EA827, der seine Karriere 1972 im Audi 80 beginnt und erst 2013 im China-Santana beendet) sowie der durchzugsfördernden knappen Übersetzung des präzisen Vierganggetriebes in einer, nun, lebhaften Klangkulisse.

Womit ein passender Moment gekommen wäre, um den Eindruck der Eilfertigkeit zu überprüfen. Also nehmen wir für die Beschleunigungsmessung Aufstellung in der Auslaufzone der Spitzkehre. Stimmt, das hier ist der zweitstärkste VW Passat – es gibt noch den 1600er mit 85 PS, der GLI mit dem Einspritzer aus dem Golf GTI kommt erst Anfang 79 –, aber: nur keinen Meter Strecke verschenken. Drehzahl hoch, Kupplung schnappt, kurz rangeln die Vorderräder nach Grip, dann zerren sie den Passat voran. Der Motor tourt die Gänge hoch, erster, zweiter, dritter, 12,2 s vorbei, schon fegt er mit 100 km/h über die Bahn. Das ist 0,6 s schneller als beim letzten Mal, als so ein Passat B1 bei uns im Test war, und gar eine Sekunde schneller als die Werksangabe. Wir sind aber auch Tausendsassas, der Passat B1, dieser meisterhafte Raketenwagen, Otto, Meister im Kavalierstart mit Zehenspitzengefühl, und ich, Meister im Danebensitzen.

Horizont. Und so weiter

Nun gilt es, all das viele Tempo wieder einzubremsen. Das gelingt dem VW Passat 1.6 GLS durchaus achtbar – ab dem zweiten Versuch. Denn ab dem haben sich die Trommelbremsen an der Hinterachse für die Aufgabe erwärmt und ihre Zögerlichkeit abgelegt.

Na, da zögern wir doch auch nicht mehr und eilen zur Fahrdynamik, für die sich die Pylonen so akkurat aufgestellt haben. Ein Stück die Ideallinie zurück, um Anlauf zu nehmen, und ab. Mit strafferem Setup gilt der Passat als dynamischer gegenüber dem 80. Audi und VW entwickeln die beiden Autos damals getrennt weiter, doch die Abteilungen geben ihre Erkenntnisse und Verbesserungen an die anderen Markenkollegen weiter.

Der B1 bietet auch ohne viel Schnickschnack eine komfortable und sichere Fahrweise.

Tatsächlich witscht der VW nennenswert behände, vor allem überaus sicher um die Pylonen. Wegen der servolos-indirekten, aber handfest-präzisen Lenkung ist es eine ziemliche Kurbelei. Doch lässt sich der schmale, brillant überschaubare VW Passat zentimeterexakt an den Pylonen vorbeischlenzen. Wird es ihm zu forsch, neigt er sich tiefer noch in die Federn, schubbert schließlich ins zutrauliche Untersteuern. Lastwechsel bringen ihn mal so gar nicht aus der Fassung oder von der Linie ab. Mit dem Start des Passat fahren sich Käfer, Typ 3 und 411 über Nacht (entweder die zum 20. März oder eben die zum 14. Mai, Sie wissen ja ...) wie hinfällige und veraltete Autos. Mit dem Passat beginnt eine neue Ära bei VW, eine Moderne bei Handling und Fahrsicherheit, die bis ins Heute reicht.

Schon auch, aber nicht gar so groß sind die Vorteile bei Platz- und Kraftstoff-Effizienz, wie wir beim Vermessen des Innenraums und dem Versuch, den Testverbrauch schönzurechnen, feststellen. Aber womöglich wollte wohl selbst der modernste VW seiner Zeit dem Fortschritt für die nächsten 50 Jahre noch ein paar Möglichkeiten lassen, voranzukommen.

Mit vollem Tank wiegt der Passat nur knappe 870 Kilogramm – aus heutiger Sicht ein absolutes Leichtgewicht.

Wir kommen nun zur Rückfahrt. Einsteigen, im holzfurnierfolierten Cockpit noch mal einrichten, Dreiecksfenster einen Spalt aufschwenken, Motor starten, los. Auf vertrauten Straßen dem Horizont entgegen, hinter dem der Weg beim Blick in den Rückspiegel wahre Spuren in der Erinnerung hinterlassen wird.

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Fazit

Mit welcher Leichtigkeit uns der erste Passat beschwingt, wie er sich von 75 PS mitreißen lässt. Schön lang her. Der neue, neunte VW Passat ist 64 cm länger, 25 cm breiter und fast doppelt so schwer.

Technische Daten
VW Passat GLS
Außenmaße4280 x 1600 x 1355 mm
Kofferraumvolumen473 bis 1320 l
Hubraum / Motor1588 cm³ / 4-Zylinder
Leistung55 kW / 75 PS bei 5600 U/min
Höchstgeschwindigkeit160 km/h
0-100 km/h12,2 s
Verbrauch8,9 l/100 km
Testverbrauch9,8 l/100 km