Mein Kumpel Nico hat's nicht so mit Autos. Fahrkultur ist ihm suspekt, glänzender Lack macht ihm Angst, hohe Kosten für einen Gebrauchsgegenstand sieht er nicht ein. Was bei Nico vor der Tür steht, trug mit großer Wahrscheinlichkeit einst das Wörtchen "Rest-Tüv" im Verkaufsinserat. Unbequemerweise existiert seit einiger Zeit doch ein gewisses automobiles Grundbedürfnis in seinem Leben. Es ist jetzt vier Monate alt, isst, schläft oder weint und verbraucht dabei Unmengen an Windeln.
Da Nico neben dem frisch ausgebrüteten Nachwuchs auch gern Fahrräder transportiert, dabei aber keine Notwendigkeit für externe Träger sieht, braucht sein Auto eine Menge Platz. Nachdem nun wieder einmal ein neues Vehikel her musste, fand ich mich neben Nico in der hintersten Reihe eines Fähnchenhändlers wieder, dessen Verkaufsplatz immerhin gepflastert war. Letzteren Umstand verdeutlichten die Massen an Unkraut, die aus den Fugen keimten. Vor uns: ein reichlich angejahrter Renault Espace . Zweifelsohne geräumig und (in gutem Zustand) zuverlässig, aber eben auch sehr betagt. Dass er seinen Standort wohl seit mindestens einem Jahr nicht mehr verlassen hatte, erkannte ich sofort.
"Der steht doch schon ewig hier, Nico!", monierte ich argwöhnisch. "Woher willst du das denn wissen?", entgegnete Nico. "Also gut...", hob ich an.
Spuren am Auto
Rost auf den Bremsscheiben, sprach ich fett gedruckt. Wenn ein Auto ein paar Tage steht, ist es ganz normal, dass sich ein wenig Flugrost auf der blanken Bremsscheibe bildet. Das wird insbesondere durch Regentropfen oder Streusalz beschleunigt. Steht es ein paar Wochen im Freien, zeigt sich eine homogene Flugrostoberfläche.
Im Vergleich dazu blicken wir gemeinsam auf die Bremsscheiben des Renault. Wer's nicht glaubt, kann gern mit dem Finger nachfühlen: Diese Bremsscheibe trägt eine geschlossene Rostschicht, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bereits eine innige Verbindung mit den Bremsbelägen eingegangen ist. Dieses Auto will erst mal vom Fleck gewuppt werden, um dann mit größter Vorsicht einen Versuch zu unternehmen, die Scheiben wieder freizubremsen.
Der Zustand der Reifen ist ebenso erheblich, wie aussagekräftig. Im oberen BMW-Bild (also nach einigen Wochen Standzeit) sehen wir, dass Straßenschmutz und Blütenstaub am untersten Punkt von Felge und Reifen herunterrinnen – logisch, wenn sich hier eine Weile nichts dreht. Im Falle des Renault finden wir am Reifen nicht nur einen sich anbahnenden Plattfuß vor, sondern auch eine matte, ausgekreidete Gummioberfläche auf den Winterreifen, die mitten im Sommer noch immer montiert sind. Noch schlimmer wäre es, wenn sich in der Reifenoberfläche bereits feine Risse bilden, die durch die ständige UV-Einstrahlung entstehen. Ganz Penible können dann noch die Reifen von der Wetterseite mit denen vergleichen, die etwa an einer Wand oder im Schatten stehen. Gibt es hier einen sichtbaren Unterschied, ist fast sicher, dass das Auto seit Jahren unbewegt dasteht.
Schmutz und Grünbefall, doziere ich, sammeln sich logischerweise schnell, wenn ein Auto über lange Zeit unbewegt im Freien steht. Je nachdem, wie sauber oder schmutzig das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Abstellens war, kann es dazu kommen, dass sich um Türgummis und dergleichen förmliche Algen- und Moosteppiche bilden. Eine Stelle, an der das auch schnell vorkommt, ist die weiche Gummidichtung rund ums Schiebedach. Der Renault Espace hat sich hier überraschend gut gehalten, doch ein Seat Ibiza und ein Saab 9-3 gleich nebenan dienen als perfekte Beispiele. An den Unterseiten der Türgriffe oder in der breiten Fuge unterhalb der Heckscheibe entweicht Regenwasser nur langsam, erst recht, wenn bereits gröberer Schmutz vorhanden ist.
Spuren im Auto
Während ich im Autochecker-Modus zu Hochtouren auflaufe, erkennt auch Nico, dass der Renault wohl schon länger steht. Im Innenraum entdeckt er Feuchtigkeit und beschlagene Scheiben. Auf dem Beifahrersitz liegen einige Fahrzeugpapiere. Alle davon sind gewellt, befinden sich also vermutlich schon seit längerer Zeit ohne trocknende Heizungs-, Klima- oder zumindest Frischluft dort. Neue, unverbaute Ersatzteile fürs Fahrwerk sind ebenso in Sicht. Ob hier eine notwendige Reparatur zur Wiederherstellung der Verkehrstüchtigkeit nicht durchgeführt wurde?
Leider ist kein Verkäufer zugegen. Sonst hätten wir mal einen Blick, oder vielmehr eine Nase ins Innenleben des stattlichen Familienvans werfen können. Schimmel und muffiger Geruch gehören dort zu den Indizien, die sich am häufigsten finden und nur schwer beseitigen lassen. Der Renault steht hier noch vergleichsweise gut da. Ein altes Baustellenfahrzeug in der Nähe steht ähnlich lang. An dessen Kontaktbereichen an Lenkrad, Schalthebel und Armlehne findet sich ein dünner, weißer Schimmelflaum überall da, wo im Betrieb Hautfett und Schweiß hingelangt. Lecker! Auch wenn es sich dabei um einen Extremfall handelt, der sich nur durch eine gründliche Reinigung beseitigen lässt, kommt sowas durchaus vor.
Versteckte Spuren lassen sich von innen auch dann erkennen, wenn das Fahrzeug nach seiner Standzeit frisch aufbereitet wurde. Während sich der Grünbelag von Fenstergummis zwar leicht in der Waschbox per Hochdruckreiniger entfernen lässt, bleibt oftmals noch eine ganze Menge grünen Modders auf der Innenseite zurück. Den erkennt man dann leicht beim prüfenden Blick durch die Scheibe.
Spuren ums Auto
Das Einfachste kommt zum Schluss: Steht ein Auto einige Zeit auf der Stelle, lässt sich das auch an seiner Umgebung erkennen. Tropfspuren vom Regenwasser bilden sich schnell. Häufig spritzt dieses Tropfwasser auch Schmutz vom Boden auf Reifen und Felgen. Liegt aber ein Extremfall vor, in dem Unkraut sich hoch ums Auto auftürmt, oder der Boden unter dem Wagen eine ganz andere Farbe hat, als der außen herum, ist klar, dass es sich zumindest um mehrere Monate Standzeit handeln muss.
Wo liegt das Problem der langen Standzeit?
Dass mein Kumpel Nico hart im Nehmen ist, erwähnte ich ja bereits. So ließ sich seinem Blick entnehmen, dass er über Muffgeruch und platte Reifen hinwegsehen würde, wenn dafür der Preis stimmt. Ohne Zweifel ließe sich dieser Espace sehr günstig ergattern, erst recht, wenn der Verkäufer mit den augenscheinlichen Indizien zur Standzeit konfrontiert würde.
Über das Thema Standschäden ließe sich ein ganzes Buch verfassen. Einerseits finden sich im Netz unzählige Videos talentierter Schrauber, die einen alten Ami V8 nach mehreren Jahrzehnten aus einer feuchten Wiese ziehen und mit frischem Benzin und einer neuen Batterie zum Laufen bringen, selbst wenn die Kolbenringe bereits im Zylinder festgerostet waren. Andererseits finden sich misshandelte Luxuskarossen, die kaum ein zweistelliges Alter besitzen, sich aber angesichts von Elektronikfehlern und misslungenen Reparaturversuchen kaum noch starten lassen.
Auf den ersten Blick ist das Ausmaß von Standschäden oft nicht zu erkennen. Selbst wenn der Motor gut läuft, können sich am Unterboden Rostspuren verbergen, weil der Standort zu feucht war. Eine überalterte Bremsflüssigkeit kann zu Korrosion innerhalb des Bremssystems führen. Schimmelsporen oder (gar nicht mal so selten) Tierbefall können sich tief im Armaturenträger verbergen. Dass ein tadelloses Auto unter der Schmutzschicht wartet, das mit neuen Reifen und Bremsen wieder tadellos funktioniert, ist ebenfalls nicht auszuschließen. Es kommt schlicht auf den Einzelfall an.
Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, weshalb das Auto überhaupt so lang unbewegt steht. Handelt es sich um persönliche Gründe eines Privatverkäufers? Ist die Preisvorstellung eines Händlers völlig überzogen? Hatte das Auto bereits vor der Zwangspause erhebliche Mängel? Hier sollten Sie auf Spuren von Werkstattarbeiten achten. Sind Verkleidungsteile demontiert? Finden sich wie in unserem Espace nicht montierte Ersatzteile? Dann wäre es wohl besser, ein etwas frischeres Exemplar zu wählen.
Das habe ich dann auch zu Nico gesagt.