Wintereinbruch auch im Norden Deutschlands, starke Schneefälle, gewaltige Staus und Straßensperren. Der Härtetest für Autofahrer hat für Besitzer eines Elektro-Autos noch eine zusätzliche Panik-Komponente. Reicht der Strom, um anzukommen? Was ist, wenn nichts mehr vorwärts geht und man in der Kälte stundenlang im Stau steht? Wie fährt sich so ein Stromer überhaupt auf glatter Fahrbahn? Das klären wir in diesem Beitrag und räumen auch etliche Vorurteile ab.
Unsere Tipps zum Elektro-Auto im Winter
Wohl kein anderes Thema bewegt Autofahrer beim Thema Elektroauto so sehr wie die Frage nach der Reichweite, erst recht im Winter. Denn irgendwo im Nirgendwo mit leerer Batterie zu stranden, am besten noch bei Dunkelheit und Schneegestöber, ist so ziemlich das Letzte, was man sich wünscht. Doch tatsächlich ist diese gefühlte Gefahr objektiv betrachtet nicht höher als mit einem ganz normalen Verbrenner-Pkw, wenn man sich ausreichend mit seinem Fahrzeug auseinandergesetzt hat. Also eigentlich: So gut wie ausgeschlossen.
Generell steht fest, dass die Reichweite eines E-Autos im Winter gegenüber dem Sommerbetrieb um bis zu 30 Prozent sinken kann. Wenn man mit einem Standard-Stromer bei warmer Witterung beispielsweise bis zu 350 Kilometer weit kommt, ist bei Minusgraden dann bereits bei 270 Kilometern der Fahrstrom aufgebraucht. Zu diesem Ergebnis kam der norwegische Autofahrer-Club NAF bei einem groß angelegten Versuch mit 20 verschiedenen Elektroautos.
Kälte, Glätte, Reichweite: Das gilt es zu beachten
Bei Autos mit geringer Akku-Kapazität fällt der Reichweiten-Verlust natürlich entsprechend drastisch aus. Betroffen hiervon sind in erster Linie ältere Modelle wie der Mitsubishi i-MIEV oder Kleinstwagen wie der Smart EV, die schon unter Idealbedingungen nur knapp über 100 Kilometer Reichweite erzielen. Gleiches gilt für Plug-in-Hybride, bei denen im Winter die effektive Reichweite zum Teil auf 30 Kilometer sinkt. Während man sich bei den PHEV auf den Verbrenner als Reichweitenverlängerer verlassen kann, gilt bei den genannten Kleinst-Stromern im Winter dann tatsächlich: Für längere Strecken nicht geeignet.
Anders sieht das bei modernen E-Autos mit größeren Akkus aus, die inzwischen den Großteil der Zulassungen ausmachen. Realistische Reichweiten von 300 – 500 Kilometer sind die Regel, weshalb auch nichts dagegen spricht, im tiefsten Winter eine längere Fahrt anzutreten. Wichtig ist jedoch wie bei einem ganz normalen Auto, dass man ein paar grundsätzliche Tipps berücksichtigt.
1. Vorheizen
Der Reichweiten-Killer Nummer 1 ist die Fahrzeug-Klimatisierung. Wer sein Elektroauto erst nach dem Losfahren auf muckelige 25 Grad durchglüht, um im T-Shirt das Schneetreiben beobachten zu können, verliert auch schon mal die glatte Hälfte an Reichweite. Wichtig daher: Wenn das Auto noch am Ladekabel hängt, unbedingt (so vorhanden) die Vorheizfunktion nutzen. Bei den meisten heutigen E-Autos geht das bequem per Smartphone-App vom Frühstückstisch aus. So kann die Fahrzeugheizung reichweitenneutral arbeiten, weil parallel nachgeladen wird. Bei vielen neuen Modellen wird damit auch gleichzeitig die Heizung der Traktionsbatterie gestartet, die ebenfalls unter Minustemperaturen leidet.
2. Klimatisierung während der Fahrt
Nutzen Sie alle Möglichkeiten, die Ihnen das Fahrzeug je nach Ausstattung bietet. Zum Beispiel im Einpersonenbetrieb eine nur für den Fahrerplatz gesteuerte Heizung, aber auch Lenkrad- und Sitzheizung statt stark aufgedrehter Luftheizung. Fenster sollten nicht geöffnet werden. Die Umstellung auf den Umluft-Modus spart zusätzlich Heizenergie. Vorrang hat aber natürlich die klare Sicht, also nicht aus falscher Sparsamkeit auf die Nutzung der Klimaanlage verzichten, die effektiv beschlagene Fenster verhindert.
3. Sichere Fahr-Modi auswählen
Elektroautos verfügen systembedingt über ein starkes Anfahr-Drehmoment und können bei Bedarf stark rekuperieren, also beim Ausrollen und Bremsen Strom generieren. Bei winterlichen Straßenverhältnissen ist es deshalb sinnvoll, Fahrprogramme so weit als möglich entsprechend einzustellen. Also beispielsweise, sofern vorhanden, den Eco-Modus, in dem der Wagen verhaltener beschleunigt und sanfter anfährt. Außerdem sollte die Rekuperationsstufe so weit wie möglich reduziert werden, damit das Auto auf glatter Fahrbahn nicht unvermittelt durch einen hohen Verzögerungsimpuls ins Rutschen gerät, sobald man vom Fahrpedal geht. Moderne E-Autos verfügen auch zum Teil über ein spezielles auswählbares Winterprogramm, das beim Anfahren und Beschleunigen abrupte Lastspitzen vermeidet.
4. Ladestrategie anpassen
Kalte Akkus laden schlecht. Das ist die Kurzform, die es zu beachten gilt. Entsprechend sollten speziell Schnellladungen so eingeplant werden, dass man nach einer längeren Fahrt mit vorgewärmter Batterie mit der Ladung beginnt. Mit einem kalten Akku steigen die Ladezeiten ganz erheblich, weil die Fahrzeugtechnik die Ladeleistung reduziert. Zusätzlich empfiehlt es sich, das Auto im Winter nach Möglichkeit über Nacht zu laden, auch wenn noch genügend Restreichweite für die geplante Strecke verfügbar wäre. Ideal ist es, über das meist vorhandene Lademanagement des Fahrzeugs zeitgenau so zu steuern, dass erst kurz vor Fahrtbeginn vollgeladen wird. Sofern vorhanden, sollte außerdem die Vorkonditionierung des Akkus für Ladestopps beziehungsweise das generelle Winterprogramm für die Ladevorbereitung im Fahrzeugmenü eingestellt werden.
5. Seien Sie vorbereitet
Für ein Elektroauto gelten natürlich die gleichen Vorsichtsmaßnahmen, die man seit jeher auch für normale Verbrenner-Pkw kennt. Im Winter gehört eine warme Decke pro Insasse in das Auto, am besten immer, auf jeden Fall aber vor Antritt einer längeren Fahrt. Heißer Tee in Thermo-Flaschen schadet ebenfalls nicht, wenn die Wettervorhersage Winteralarm meldet. Die üblichen Winter-Accessoires vom Eiskratzer über das Enteiser-Spray bis zum Silikonstift, um Türdichtungen vor dem Einfrieren zu schützen, sind natürlich auch bei Elektroautos gefragt, statt sich einfach auf die elektrische Standheizung zu verlassen. Und wie man bei einem Benziner oder Diesel im Winter vor einer längeren Fahrt sicherheitshalber volltankt, geht man auch mit einem Stromer längere Strecken generell mit vollem Akku an, auch wenn die Restreichweite eigentlich noch genügt hätte.
6. Keine Panik!
Kommt es zum winterlichen Super-GAU, der Totalsperre auf der Autobahn mit stundenlangen Wartezeiten, müssen Elektroauto-Fahrer nicht erfrieren, ganz egal, was in lustigen Social-Media-Memes behauptet wird. Als Faustregel kann man einen maximalen Stromverbrauch von 3 Kilowatt pro Stunde für die Fahrzeugheizung einkalkulieren, sobald sich diese "warmgelaufen" hat. Bei entsprechend vor- und durchgeheiztem Auto reduziert sich dieser Verbrauch deutlich. Auch bei nur halbvollem Akku eines Standard-Elektroautos genügt der Stromvorrat also für längere Wartezeiten, als man je erleben möchte und wohl auch wird.
In einem interessanten Selbstversuch zu diesem Thema hatte der Betreiber der E-Auto-Vermietung Nextmove, Stefan Moeller, im Winter in einem Kia E-Niro übernachtet. Sein Ergebnis: Nach 9,5 Stunden im Wagen, außen -5, innen +19 Grad, war die Reichweite um gerade einmal 70 Kilometer gesunken. Der errechnete Energieverbrauch für die Fahrzeugheizung: 0,8 kW/h. Da kann der Stau auch etwas länger dauern.
Fazit
Viele E-Auto-Interessenten und -Besitzer sind verunsichert, wenn es um die Wintertauglichkeit der E-Mobile geht. Dabei zeigen beispielsweise die Erfahrungen in Skandinavien, dass die Ängste weitgehend unbegründet sind. In einem Elektroauto wird man nach aller Wahrscheinlichkeit ebenso wenig im Autobahnstau erfrieren wie in einem Verbrenner. Dafür bleiben einem lustige Dinge wie zugefrorene Dieselfilter oder erschöpfte Starterbatterien erspart, denn auch bei konventionell angetriebenen Pkw muss man sich mit ein paar Maßnahmen auf die Besonderheiten im Winter einstellen.