Nach dem Jahr 2035 dürfen in den EU-Staaten nur noch Pkw neu zugelassen werden, die nicht mit Diesel oder Benzin fahren. Das hatte die EU am 28. März 2023 beschlossen. Anders als beim ursprünglichen, etwa sechs Wochen zuvor im EU-Parlament verabschiedeten Plan der Kommission wird es aber eine Ausnahme für klimaneutrale, synthetisch hergestellte Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, geben. Darauf hatte die deutsche Bundesregierung gedrängt. Wie genau die Ausnahmen für E-Fuels geregelt werden, soll bis zum Herbst 2024 entschieden werden.
Doch seit der Wiederwahl von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin am 18. Juli 2024 scheint das Rennen wieder offen. Denn in ihrer Bewerbungsrede vor der Wahl kündigte von der Leyen an, eine "gezielte Änderung der Verordnung" bezüglich des Verbrenner-Aus zu verfolgen. Demnach sei eine Zulassung von sogenannten E-Fuels, die synthetisch hergestellt werden, erforderlich. Es sei ein "technologieneutraler Ansatz" nötig, so die alte und neue Kommissionspräsidentin.
Das Verbrenner-Aus ist Geschichte
Gegenüber der Bild äußerte sich Manfred Weber (CSU), Chef der Europäischen Volkspartei, diesbezüglich recht klar: "Das Verbrenner-Aus ist Geschichte", zitiert Bild den Europa-Politiker.
Dass es bis 2026 ohnehin eine Bestandsaufnahme und Überprüfung des Gesetzes geben würde, werde oft vergessen, betonte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen bereits im Februar 2024. "Technologie-Offenheit und Wahlmöglichkeiten für Verbraucher sollen weiterhin sichergestellt werden." Schließlich müsse auch die Industrie weiterhin wählen können, in welche Mobilität der Zukunft sie investiert. Im Jahr 2026 wird die dann aktuelle Lage also grundsätzlich auf EU-Ebene bewertet.
Eigentlich bereits seit 2022 besiegelt
Auf EU-Ebene war das Ende des Verbrennungsmotors in Europa eigentlich bereits Ende Oktober 2022 besiegelt. Doch Deutschlands Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) wollte die Verbrenner-Zukunft auch für den Zeitraum nach 2035 sichern und die EU-Kommission sollte bis Herbst 2023 eine Lösung dafür finden. Es ging darum, wie Neuwagen mit Verbrennungsmotor weiterhin zulassungsfähig bleiben, wenn diese ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden. Diese Regelungen erarbeiten die beteiligten Experten jetzt.
Doch was genau heißt das Verbrenner-Verbot – so es denn wirklich kommt – für uns Autofahrer? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Ist es sicher, dass das Verbrenner-Verbot wirklich kommt?
Eigentlich schon! Denn bei der Abstimmung über das Gesetz im EU-Parlament fand sich im Februar 2023 die dafür nötige Mehrheit. Die Mitglieder der konservativen EVP-Fraktion, zu der auch Politiker und Politikerinnen von CDU und CSU gehören, stimmten damals allerdings gegen das Verbrenner-Verbot. Mehr noch: "Euractiv.com" berichtet auf Basis eines geleakten EVP-Wahlprogramms für die im Juni 2024 anstehende Europawahl, dass die konservativen Politiker das Verbrenner-Verbot aktiv stoppen wollen. Darin heißt es dem Nachrichtenportal zufolge: "Wir lehnen eine Verbotspolitik – wie das Verbot von Verbrennungsmotoren – ab und werden sie auch so schnell wie möglich revidieren." Allen voran Jens Gieseke, CDU-Politiker aus dem niedersächsischen Papenburg, kämpft als Abgeordneter im EU-Parlament gegen eine aus seiner Sicht "Verbotsideologie". Vielmehr solle die EU der EVP zufolge bei ihrer Verkehrsgesetzgebung einen technologieoffenen Ansatz verfolgen. Die EVP war für auto-motor-und-sport bislang zu keiner Stellungnahme zu diesem Thema zu erreichen.
Ebenso könnten Klagen die Umsetzung des Verbrenner-Verbots verhindern. Polen kündigte eine solche im Sommer 2023 an. Wie Umwelt- und Klimaministerin Anna Moskwa seinerzeit bestätigte, erarbeitete die damalige rechtskonservative Regierung des osteuropäischen Landes eine Klage, die sie vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, dem obersten EU-Gericht, einreichen wollte. Polen gehörte Ende März bereits zu jenen Ländern, die gegen das Verbot gestimmt hatten. Die inzwischen abgelöste Regierung in Warschau nannte die Vorgaben der Neuregelung unrealistisch, hielt sie für "ungünstig für alle europäischen Volkswirtschaften" und befürchtete dadurch steigende Autopreise. Polen hoffte, dass sich andere EU-Länder der Klage anschließen. Ob dies inzwischen tatsächlich passiert ist und ob die neue polnische Regierung unter dem liberalen Ministerpräsidenten Donald Tusk die Klage weiterverfolgt, ist derzeit nicht bekannt.
Wie sieht der E-Fuel-Kompromiss genau aus?
In der Realität könnte das ab 2035 dann beispielsweise so aussehen: Erkennt ein Neuwagen, dass er mit fossilem Benzin oder Diesel betankt wurde, müsste er seinen Motor automatisch abschalten. Rechtlich dürften neu zugelassene Autos ab 2035 nur noch mit klimaneutral hergestellten E-Fuels fahren. Denn im Jahr 2035 darf kein Auto mehr neu zugelassen werden, das Treibhausgase ausstößt. Schon bis zum Jahr 2030 soll der CO₂-Ausstoß im Pkw-Verkehr um 55 Prozent gesenkt sein, so das Parlament.
Was passiert mit E-Fuels?
Die sogenannten synthetischen Kraftstoffe, also Methan, Benzin und Diesel aus regenerativen Energien, werden zwar als CO₂-neutral gehandelt. In der Verordnung war dieser Umstand bisher aber nicht berücksichtigt. Jetzt kommt die Ausnahme für E-Fuels.
E-Fuels gelten als bilanziell CO₂-neutral, die Herstellungskosten liegen Prognosen von Experten zufolge bei etwa fünf Euro pro Liter. Porsche glaubt, mit Anlagen wie der jüngst in Chile eröffneten, einen Liter synthetischen Sprits für weniger als 1,90 Euro herstellen zu können. Teure E-Fuels und der CO₂-Preis könnten den Verbrenner-Anteil in der EU herunterregeln. Größter Kostentreiber für die Herstellung synthetischen Benzins ist der enorme Energieaufwand. Berechnungen von Experten zufolge benötigt man zur Erzeugung von einem Liter E-Diesel 27 kWh Energie – aus regenerativen Quellen wohlgemerkt, sonst bringt es keine CO₂-Neutralität. Fahren mit E-Fuels braucht demzufolge sieben- achtmal mehr Energie als batterieelektrische Autos. Zur Erzeugung der allein in Deutschland jährlich verbrannten 47 Milliarden Liter Sprit sind umgerechnet mehr als 1.250 Terawattstunden vonnöten. Der Aufbau entsprechender Kapazitäten würde lange dauern und weitere CO₂-Emissionen verursachen, die konsequenterweise in die CO₂-Emissionen der E-Fuels eingerechnet werden müssen – wie sie ebenfalls bei der Herstellung der Batterien anfallenden. Zum Vergleich: Deutschland verbrauchte zuletzt etwa 565 Terawattstunden jährlich. Wollten wir alle 47 Millionen Pkw in Deutschland elektrisch betreiben, bräuchten wir dafür etwa 140 Terawattstunden.
Welche Treibhausgasemissionen der hohe Energieaufwand für E-Fuels zur Folge hätte, ist schwer zu prognostizieren. Berechnungen von Transport and Environment (T&E) zufolge würde ein mit E-Fuels betriebener Verbrenner pro Kilometer 95 Gramm CO₂ emittieren, ein E-Auto 48 Gramm.
Kann ich mein Auto weiterfahren?
Für viele Autofahrer stellt sich schon jetzt die Frage, was mit ihrem Benziner oder Diesel passiert, wenn die Frist naht. Die Antwort ist klar geregelt. Für alle bis ins Jahr 2034 in der EU zugelassenen Autos mit Verbrennungsmotor wird es einen Bestandsschutz geben. Es darf also sehr wohl über das Jahr 2035 hinaus mit klassischem Antrieb gefahren werden. Außerdem sind Benzin- und Diesel-Kraftstoffe mit E-Fuel-Beimischen in Arbeit, die beinahe alle Motoren vertragen. Das macht den Betrieb von klassischen Verbrennern klimafreundlicher.
Darf ich nach 2035 noch gebrauchte Verbrenner kaufen?
Umschreibungen von gebrauchten Autos, wie sie beim Halterwechsel passieren, sind selbstverständlich auch danach möglich. Noch ist aber nicht abzulesen, wie sich Gebrauchtwagenpreise von Verbrennern bis 2035 entwickeln werden.
Wird es nach 2035 noch Ersatzteile geben?
Ja. Längst gilt in der EU die Regelung, dass Hersteller verpflichtet sind, Ersatzteile mindestens sieben Jahre nach Einstellung eines Modells zur Verfügung zu stellen. Deutsche Autobauer sichern ihren Kunden sogar eine mindestens zehnjährige Ersatzteilversorgung zu.
Werden Hersteller zum Fristende Tageszulassungen in den Markt pumpen?
Wie sich der Automobilmarkt bis ins Jahr 2035 entwickeln wird, ist selbst für die großen Hersteller schwer vorauszusehen. Der Kurswechsel hin zur Elektromobilität ist aber längst in vollem Gange. Wahrscheinlich werden die großen Verbrenner-Kapazitäten über das Jahr 2030 hinaus ohnehin schrumpfen – zumindest in Europa. In der Vergangenheit haben klare Fristen allerdings immer dazu geführt, dass kurz vorher noch sehr viele Fahrzeuge nach alten Regeln zugelassen wurden, um sie anschließend günstig als Tageszulassungen zu verkaufen.
Wird es auch nach 2035 noch Sprit an Tankstellen geben?
Diesel und Benzin wird es selbst nach 2035 noch flächendeckend geben. Allerdings dürfte das Tankstellennetz nach und nach dünner werden, wenn durch alternative Antriebe immer weniger Nachfrage nach klassischem Sprit besteht. Tankstellen sollen zudem in den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos einbezogen werden.
Wird der Strom für alle E-Autos ausreichen?
Die komplette Umstellung des europäischen Autoverkehrs hin zur Elektromobilität wird noch viel länger dauern als bis 2035. Dennoch muss der Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Produktion von regenerativem Strom vorangetrieben werden. Der Energiebedarf von Elektromobilität ist aber wegen deren hoher Effizienz vergleichsweise überschaubar. Wollten wir alle 47 Millionen Autos des aktuellen deutschen Fahrzeugbestands rein elektrisch betreiben, bräuchte es dafür gut ein Viertel des aktuellen Stromverbrauchs mehr. Ausgehend davon, dass erst etwa 2050 (fast) alle Autos rein elektrisch fahren sollen, müsste die Grün-Stromerzeugung allein für E-Autos also in 27 Jahren um etwa 27 Prozent wachsen – das entspricht einer jährlichen von durchschnittlich etwa einem Prozent.
Hängen Verbrenner-Aus und Euro 7 zusammen?
Grundsätzlich hat der EU-Beschluss zum Verbrenner-Aus für 2035 nichts mit der Abgasnorm Euro 7 zu tun. Er besagt lediglich, dass neu zugelassene Autos ab 2035 emissionsfrei – also ohne CO₂-Ausstoß – fahren müssen. Nach derzeitigem Technik-Stand sind das batterieelektrische Antriebe oder Wasserstoff-Fahrzeuge. Die Abgasnorm Euro 7 will dagegen noch strengere Grenzwerte für Schadstoffe klassischer Verbrenner durchsetzen, um die Luftqualität in Ballungsräumen zu verbessern. Hierbei geht es nicht um CO₂, sondern um Feinstaub, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid, Ammoniak und vor allem Stickoxide. Die stoßen grundsätzlich auch Motoren aus, die E-Fuels verbrennen. Abgasmessungen bei Tests mit synthetischem Sprit zeigen allerdings tendenziell sauberere Emissionen als mit fossilem.
Die EU in Auto-Zahlen
- 243 Millionen Fahrzeuge sind aktuell in der EU zugelassen
- 11,5 Jahre beträgt das durchschnittliche Pkw-Alter
- 76,7 Prozent aller Waren werden in der EU auf dem Landweg transportiert
- 22 neue Fahrzeuge sind 2020 pro 1.000 Einwohner zugelassen worden
- 9,9 Millionen Pkw wurden in der EU verkauft (plus 23,7 Prozent zum Vorjahr)
- 5.000.566 Pkw wurden 2019 exportiert – im Wert von 124 Milliarden Euro
- 25 Prozent aller weltweit produzierten Autos kommen aus der EU
- 47,5 Prozent beträgt der Anteil der Benziner-Pkw
- 24,5 Prozent beträgt der Anteil an alternativen Kraftstoffe (BEV, PHEV, Hybrid)
- 14,6 Millionen Europäer arbeiten in der Automobilindustrie, das sind …
- 6,7 Prozent aller EU-Jobs
- 226 Fahrzeugmontage- und Produktionswerke gibt es in der EU
- 440,4 Milliarden Euro an Steuern entfallen auf Kraftfahrzeuge
Hinweis: In der Fotoshow präsentieren wir Ihnen die Elektroauto-Highlights, die 2024 vorgestellt oder auf den Markt gebracht werden.
Fazit
Plötzlich steht das Verbrenner-Verbot ab 2035 angesichts der Klageankündigung aus Polen und des geleakten Wahlversprechens der EVP-Fraktion auf der Kippe. Die EU-Staaten hatten es für Neuzulassungen ab 2035 eigentlich bereits beschlossen – allerdings mit einer Ausnahme. Die Einigung mit den EU-Partnern besagt, dass selbst nach 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor in der EU zulassungsfähig sind, wenn sie ausschließlich bilanziell klimaneutrale E-Fuels verbrennen.
Auf die E-Fuel-Regelung hatte die Bundesregierung um Verkehrsminister Wissing gedrängt. Synthetische Kraftstoffe zu verbieten, widerspräche der Technologie-Offenheit. Zumal die Herstellung von E-Fuels für Flugzeuge beispielsweise ohnehin eine wichtige Zukunftsaufgabe sei. Ob ab 2035 genügend E-Fuels zu einem akzeptablen Preis für den Autoverkehr zur Verfügung stehen, entscheidet jetzt der Markt.
Fossile Kraftstoffe in Autos zu verbrennen, die nach 2035 neu zugelassen werden, soll indes verboten bleiben. Klassischen Sprit aus Erdöl wird Europa aber selbst danach noch verbrauchen: in der Bestandsflotte. In der Praxis könnte die neue Regelung zwei Probleme aufwerfen: Es muss unterschiedliche Zapfsäulen geben, weil neu zugelassene Autos nicht mit fossilem Sprit funktionieren dürfen. Das könnte zudem eine Beimischung von synthetischem Sprit in den fossilen erschweren – und damit die CO₂-Reduktion durch E-Fuels in der Bestandsflotte.