Radfahrer tragen ja zumindest meist einen Helm, doch Fußgänger sind dem Verkehr völlig schutzlos ausgeliefert. Entsprechend hoch ist ihr Blutzoll. Denn im letzten Jahr verstarben 376 Fußgänger an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Innerhalb der Gesamtzahl der im Verkehr umgekommenen 2724 Menschen sind sie deutlich überrepräsentiert.
Die gute Nachricht ist, dass diese Zahlen sinken. Vor 40 Jahren starben rund zehnmal so viele Fußgänger wie 2020. Gesetzgeber und Industrie haben längst erkannt, dass sie die verletzlichsten Verkehrsteilnehmer besser schützen müssen.
Jahrelanges Optimieren
Mindestanforderungen bei Crashtests sollten nicht mehr nur die Passagiere, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer schützen. Chromglänzende Haifischzähne aus Stahl im Kühlergrill oder solide Zierleisten aus Aluminium sind bei einem Unfall brutale Waffen und daher längst passé. Vorderwagen werden seit Jahren gezielt auf den Fußgängerschutz hin optimiert. Dabei fallen nicht nur scharfe Kanten weg, auch unter dem Blech hat sich sehr viel getan. Teilweise helfen kleine Änderungen an Haubenschloss, Scheibenwischergestänge und Kotflügel-Schraubkanten oder das Absenken starrer Aggregate unter der Haube, um die Crashsicherheit zu verbessern. Auf diese konstruktiven Maßnahmen greifen alle Hersteller zurück, jedoch nicht alle gleichermaßen konsequent, wie die Crashtests von Euro NCAP zeigen. Vor allem aktive Systeme wie sich aufstellende Motorhauben (seit 2005, erstmals bei Jaguar) oder außenliegende Airbags (2012 eingeführt von Volvo) werden noch nicht flächendeckend eingesetzt.
Dabei könnte besonders der Airbag aus einem Dilemma heraushelfen. Schließlich lassen sich manche Bereiche des Vorderwagens nicht wirklich entschärfen, zuallererst die A-Säulen. Sie tragen das Dach, verhindern bei einem Überschlag, dass es eingedrückt wird, und sollten möglichst schmal ausgeführt sein, damit sie die Sicht nach schräg vorn nicht einschränken. Sie lassen sich nicht so gestalten, dass sie einen Kopf beim Crash weich auffangen. Airbags können sie abdecken, doch als unabdingbar gelten die Gaskissen unter Experten freilich nicht. Denn was nützt ein Airbag-gepolsterter Vorderwagen, wenn das Unfallopfer im sogenannten Sekundäranprall auf dem Asphalt aufschlägt und sich dabei schwere Kopfverletzungen zuzieht? Offenbar müssen für bestmöglichen Schutz der Kontakt mit dem Auto und der anschließende Aufprall auf der Straße berücksichtigt werden, wenn die Unfallzahlen weiter sinken sollen. Aktive Schutzmaßnahmen sind das Mittel zum Zweck und gehören inzwischen zum Standard-Repertoire der Autohersteller, beispielsweise die Bremsassistenten.
Zunächst waren sie auf die Vermeidung von Unfällen mit anderen Autos ausgelegt, mittlerweile erkennen sie selbsttätig Radfahrer und Fußgänger, warnen den Fahrer und bremsen mit maximaler Stärke ab. Selbst wenn die Bremswege nicht immer ausreichend sein mögen, um einen Unfall ganz zu vermeiden: Jeder km/h weniger, den ein Auto beim Crash fährt, hilft, den Anprall verträglicher zu machen. Volvo war 2012 der erste Hersteller mit diesem System, das heute so weit verfeinert ist, dass auch Kollisionen beim Rückwärtsfahren vermieden werden können.
Mehr intelligenter Schutz
Im Bereich der aktiven Systeme ist noch eine ganze Reihe weiterer Schutzmaßnahmen zu erwarten, etwa beim Licht. Audi und Mercedes gehören zu den Vorreitern bei intelligenten LED-Scheinwerfern, die bereits gezielt auf Hindernisse hinweisen können und diese anleuchten, damit der Fahrer beispielsweise auf Personen am Fahrbahnrand aufmerksam wird. Dabei ist die Technik schon so clever, dass sie zwar die Körper, nicht aber die Köpfe anstrahlt, um eine Blendung zu vermeiden. Weniger sinnvoll sind dagegen Nachtsichtgeräte, bei denen Personen oder Tiere auf dem Display im Cockpit angezeigt werden, weil der Fahrer hier von der Straße wegschauen muss, um die Gefahrensituation erkennen zu können. Autonome Fahrzeuge werden per Lichtsignatur darauf hinweisen, dass sie Personen am Straßenrand erkannt haben.
Noch in der Vorentwicklung stecken Technologien, bei denen Personen mit Transpondern in Rucksack oder Tasche unterwegs sind, die sich via Car-to-X, also per Funk, mit der Infrastruktur austauschen. Sie können Autos auf sich aufmerksam machen, obwohl sie möglicherweise hinter einer Hausecke oder einem anderen Auto verborgen und nicht sichtbar sind. Möglicherweise sind solche Transponder aber gar nicht nötig, weil intelligente Kameras und Sensoren an Kreuzungen Fußgänger und ihre Bewegungsrichtung erkennen und diese Informationen anonymisiert an die Autos in der Nähe melden. Obwohl diese Technik ein wenig an die umfassende Überwachung in George Orwells Roman "1984" erinnert, hat sie ein großes Potenzial, die Unfallzahlen mit Fußgängern künftig weiter zu senken – möglicherweise sogar um 376 Personen pro Jahr.
Mehr als Crashsicherheit
Euro NCAP ist bekannt für seine Crashtests, die auch den Fußgängerschutz bewerten. Zudem werden längst Assistenzsysteme gecheckt.
Neben dem Passagierschutz in Fahrzeugen prüft das europäische Sicherheitskonsortium Euro NCAP auch, wie gut automatische Notbremssysteme externe ungeschützte Verkehrsteilnehmer bei einer Kollision schützen können. Bei diesen Tests wird das potenzielle Risiko von Verletzungen an Kopf, Becken sowie oberem und unterem Beinbereich untersucht. Fahrzeuge können im Endergebnis nur dann gut abschneiden, wenn sie über ein autonomes Notbremssystem verfügen, das Fußgänger und Radfahrer erkennt und Unfallfolgen mildern oder Unfälle ganz verhindern kann.
Um das potenzielle Kopfverletzungsrisiko beim Zusammenstoß eines Fahrzeugs mit einem Erwachsenen oder Kind zu ermitteln, führt Euro NCAP bereits seit 1997 eine Reihe von Tests mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h durch. Für diese Tests wird eine Aufpralltest-Kopfform verwendet (siehe Bild oben), deren Größe jeweils dem Kopf eines Kindes bzw. Erwachsenen entspricht. Außerdem gibt es Hüft- und Beinimpaktoren. Die Aufprallbereiche und der gewährte Schutz werden in einem Ranking von "gut" bis "ungenügend" eingestuft. Das Bewertungssystem belohnt energieabsorbierende Strukturen, Knautschzonen und aktive Systeme wie aufspringende Motorhauben und externe Airbags.
Der nächste Schritt
Wenn der Fahrer nicht mehr das Kommando im Auto hat, muss die Technik völlig autark auf andere Verkehrsteilnehmer reagieren. Dafür gibt es bereits vielfältige Ansätze.
Beim autonomen Auto fällt der Blickkontakt zwischen Fahrer und Fußgänger weg. Oder doch nicht? 2018 hat Jaguar einen autonomen Prototyp vorgestellt, dessen künstliche Augen von Sensoren gesteuert dem Fußgänger zu erkennen geben, dass das Auto ihn erkannt hat und er gefahrlos passieren kann. Die Chance auf einen Serieneinsatz ist aber gering. Anders beim Multibeam-LED-Licht von Mercedes, das beispielsweise Zeichen wie einen Zebrastreifen auf die Straße projizieren kann, um mit dem Fußgänger zu interagieren.
Das Bundesverkehrsministerium fördert aktuell ein Projekt für intelligente Detektionstechnolo-gien. Sie sollen künftig an Kreuzungen Fußgänger und Radfahrer per Kamera erkennen und per Car-to-X-Technologie Informationen zu den Bewegungsmustern an die Autos weitergeben. Droht eine Kollision, können diese recht-zeitig bremsen oder ausweichen.