Die chinesische Automobilindustrie ist technologisch weit vorne, besonders bei der Elektromobilität. Die Chinesen haben extrem effiziente Antriebssysteme entwickelt und ein starkes lokales Ökosystem aufgebaut. Die Qualität der Fahrzeuge hat sich enorm verbessert, viele Modelle bieten exzellente Haptik und Fahrkomfort zu niedrigen Kosten. Das Hauptproblem für viele chinesische Hersteller ist die Skalierung. Der Automobilbau ist kapitalintensiv, und ohne ausreichende Absatzvolumen wird es schwierig, nachhaltig erfolgreich zu sein. Einzelne Hersteller haben es aber geschafft, das Volumen deutlich zu steigern und ein solides Geschäftsmodell zu etablieren.
KI spielt eine entscheidende Rolle, sowohl produktseitig, etwa der Sprachsteuerung und beim autonomen Fahren, als auch beim Vereinfachen interner Prozesse. Auf der Prozessseite bietet KI riesige Innovationspotenziale, vor allem bei der Effizienzsteigerung. Beispielsweise können Einkaufsprozesse durch KI optimiert werden, indem sie Transparenz in Bereichen schafft, die vorher nicht nachgehalten werden konnten. Auch im Bereich der Regulatorik kann KI helfen, Ingenieure zu entlasten, indem sie etwa aufwendige Dokumentationsvorgänge automatisiert. Für die Kunden wird das Bedienen von Fahrzeugen durch KI noch einfacher werden.
Absolut. KI kann in vielen Bereichen eingesetzt werden, um Prozesse effizienter zu gestalten und Kosten zu senken. In der Produktion und Verwaltung können je nach Tätigkeit Einsparungen von zehn bis 80 Prozent erreicht werden. Wichtig: Dies bedeutet nicht in erster Linie den Abbau von Arbeitsplätzen, sondern bietet die Möglichkeit, dass Mitarbeiter sich auf anspruchsvollere Tätigkeiten fokussieren können.
Europa ist nicht unbedingt hinterher, wenn es um die Anwendung von KI geht, doch werden grundsätzliche Entwicklungen häufig in den USA oder China vorangetrieben. Bei der Prozessoptimierung durch KI sehen wir in Europa viele Aktivitäten. Im Bereich des autonomen Fahrens gibt es momentan einen Vorsprung in der Breite in China und in den USA insbesondere im Bereich autonomer Shuttles. Aber auch europäische Hersteller sind aktiv und investieren stark – vor allem jedoch in die Technologie für Privatfahrzeuge.
Elektromobilität ist definitiv die Zukunft. Auch wenn die Wachstumsraten vor allem in Europa derzeit etwas hinter den Erwartungen zurückbleiben, steigt die Anzahl der Elektrofahrzeuge kontinuierlich. In China machen Elektrofahrzeuge mittlerweile 45 Prozent der Neufahrzeuge aus. Ich bin überzeugt, dass wir in einigen Jahren überwiegend elektrisch fahren werden. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Elektromobilität einen langfristigen Wandel nach sich zieht, der tief in die Automobilindustrie eingreift. Ein bedeutender Vorteil ist die Reduzierung der CO₂-Emissionen als entscheidender Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. Spannende Entwicklungen in der Batterietechnologie, vor allem bei Festkörperbatterien, können die Reichweite weiter erhöhen und die Ladezeiten erheblich verkürzen. Diese Fortschritte werden die Attraktivität von E-Autos weiter steigern. Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung.
Wir sehen, dass die Infrastruktur auch in Europa hinterherhinkt. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, was den Ausbau von Ladepunkten betrifft. Deutschland zum Beispiel hat ehrgeizige Ziele, doch die Umsetzung verläuft schleppend. In ländlichen Gebieten fehlen oft noch ausreichend Ladestationen, was die Akzeptanz von E-Fahrzeugen hemmt. In den nächsten Jahren wird der Druck auf Regierungen und private Akteure steigen, die Infrastruktur rasch auszubauen. Ein weiterer Aspekt, den wir nicht vernachlässigen dürfen, ist die Entwicklung im Bereich der Ladegeschwindigkeit. Schnellladestationen, die eine Batterie in weniger als 20 Minuten auf 80 Prozent laden können, sind wichtig, um die Reichweitenangst zu mindern und das Laden im Alltag zu erleichtern. Die Automobilindustrie muss hier in enger Zusammenarbeit mit Energieversorgern und Technologieunternehmen Lösungen entwickeln, um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Elektromobilität weiter voranzutreiben.
Trotz aller Diskussionen um den Hochlauf der E-Mobilität – es lohnt sich, die Kundenwünsche besser zu verstehen. 38 Prozent der europäischen Autokäufer, die aktuell noch kein E-Auto besitzen, geben an, dass ihr nächstes Fahrzeug ein E-Auto werden wird – das zeigt unsere Kundenbefragung von über 15.000 Mobilitätsnutzern in Europa in diesem Jahr. Und: Fast 80 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sie in Zukunft ein E-Auto fahren werden, nur ein Fünftel bleibt skeptisch. Für die Kunden sind aktuell die hohen Anschaffungspreise der wichtigste Grund gegen ein E-Auto, gefolgt von zu geringer Reichweite und Batterielebensdauer. Was ich besonders interessant finde: Deutsche Autofahrer gehören zu den "Reichweiteneuropameistern" – sie wünschen sich E-Autos mit durchschnittlich 521 km Reichweite und liegen damit über dem europäischen Schnitt.
Es gibt signifikante Fortschritte, gerade in China, wo Fahrzeuge im dichten Stadtverkehr autonom unterwegs sind. In Deutschland haben wir Premium-Hersteller, deren Fahrzeuge bis zu 60 km/h autonom fahren können, ebenfalls Pioniere. Hier verläuft die Entwicklung sehr vielversprechend. Das Problem bei autonomen Shuttle-Verkehrsmitteln ist hingegen die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells, da jede Stadt individuell erschlossen werden muss. Ich glaube deshalb, dass wir in den nächsten Jahren eine starke Zunahme des teilautonomen Fahrens vor allem bei Privatfahrzeugen sehen werden. Der Weg zum vollständig autonomen Fahren ist jedoch noch lang und mit vielen Herausforderungen verbunden. Einer der größten Stolpersteine sind regulatorische Hürden. In Europa sind die Vorschriften sehr strikt, und es wird viel Wert auf Sicherheit gelegt. Dies hat zwar den Vorteil, dass die Fahrzeuge extrem sicher sein müssen, bevor sie auf den Markt kommen, es bremst aber auch die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien eingeführt werden können. In China hingegen ist die Gesetzgebung etwas flexibler, was es den Herstellern ermöglicht, schneller zu testen und Innovationen voranzutreiben. Dies könnte Europa langfristig ins Hintertreffen bringen. Der Vorteil, den europäische Hersteller jedoch haben, liegt in der Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Fahrzeuge.
Dies hängt stark vom jeweiligen Marktsegment ab. Im Premiumsegment sind die europäischen Marken weiterhin extrem stark. Im Volumensegment sehen wir, dass viele Hersteller sich wappnen, um der zunehmenden kostengünstigen Konkurrenz chinesischen OEMs entgegenstehen zu können. Wir sehen eine Reihe von Aktivitäten, um die Effizienz zu erhöhen und die Kostenbasis zu verringern – einigen Hersteller haben begonnen, ihre Präsenz in kostengünstigeren Regionen wie Nordafrika oder Osteuropa auszubauen. Für die europäische Autoindustrie gilt es, die Neuverteilung der Wertschöpfungskette aktiv zu gestalten. Dies gilt insbesondere für die Batterien, die rund ein Drittel des Werts eines E-Autos ausmachen. Für die Industrie wird es entscheidend sein, die Rahmenbedingungen und die Kostenbasis in Europa zu verbessern, zum Beispiel bei den Energiekosten.
Die Automobilindustrie befindet sich in einer beispiellosen Transformation, die viele Investitionen und Anpassungen erfordert. Es ist eine enorme Herausforderung, gleichzeitig in neue Technologien zu investieren und traditionelle Geschäftsmodelle aufrechtzuerhalten. Ich bin jedoch optimistisch, dass die Industrie diese Transition – trotz der aktuell herausfordernden Bedingungen – erfolgreich bewältigen wird.
Vita
Ruth Heuss ist Senior Partnerin im Berliner Büro der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Nach dem Maschinenbau-Studium an der RWTH Aachen begann sie dort vor mehr als 20 Jahren ihre Karriere. Sie leitet die Aktivitäten in den Bereichen zukünftige Mobilität, Dekarbonisierungsstrategien und Produktentwicklung für Automobilhersteller und -zulieferer. Sie verbringt auch viel Zeit damit, die Vielfalt am Arbeitsplatz zu fördern – innerhalb und außerhalb des Unternehmens.