Karl Lagerfeld: Sein Interview von 1985 zum Thema Auto

Karl Lagerfeld im Interview von 1985
"Es gibt so grauenhafte Autos."

Am Dienstag dem 19. Februar 2019 starb Karl Lagerfeld in Paris. Eine pompöse Beerdigung wird es nicht geben – Lagerfeld wollte „einfach verschwinden wie die Urwaldtiere“. Wir verabschieden uns von Deutschlands größtem Modeschöpfer mit einem sehr pointierten Interview zum Thema Auto, das er uns 1985 gab.

Karl Lagerfeld Interview 1985
Foto: auto motor und sport

Eine erste Adresse: Avenue des Champs Elysees 144, im Zentrum von Paris. Karl Lagerfeld, deutscher Modeschöpfer mit Fortune in der Haute-Couture-Metropole, lässt auf sich warten, ehe er den ohnehin nur mühsam realisierten Termin wahrnimmt. „Ich habe gezeichnet, da vergeht die Zeit wie im Flug“, entschuldigt er seine bald zweistündige Verspätung beiläufig. Man muss es ihm nachsehen, Kreativität lässt sich nicht mit der Uhr bemessen. Dann legt er, während dienstbare Geister Eistee und Perrier servieren, los. In seinen mit Koketterie („Im Bugatti-Club von Monte Carlo kenne ich alle Mitglieder“) gewürzten Stakkato-Sätzen fächert er seine Ansichten zum Thema Automobil auf. Es ist für ihn „ein modisch-amüsantes Abenteuer“.

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Welche Beziehung hat ein so auf Ästhetisches fixierter Mensch wie Sie zum Auto?

Karl Lagerfeld: Nun, es ist ein Gebrauchsgegenstand. Und wenn man einen Wagen hat, der darüber hinaus auch noch hübsch ist, dann bekommt man leider bald Probleme damit.

Welcher Art?

Lagerfeld: Wenn man nicht gerade in Monte Carlo lebt, dann werden gleich die Türen verkratzt. Fahren Sie mal hier in Paris einen schönen Wagen ohne Chauffeur, der ständig darauf aufpasst.

Haben Sie denn so ein schönes Auto, wo man so was schon mal gemacht hat?

Lagerfeld: Hier in Paris fahre ich deshalb nur einen anonymeren Wagen. Aber ich habe natürlich mehrere Autos.

Welche?

Lagerfeld: Ich habe meistens deutsche Wagen. Das sage ich ohne Hintergedanken, aber es stimmt. Auf dem Lande habe ich ein Mercedes G-Modell und ein T-Modell. Der Grund ist einfach. In der Bretagne kann man nichts anderes haben. Oder man hat französische Wagen, die allerdings nach drei Tagen zu klappern anfangen; französische Wagen sind in dieser Beziehung schrecklich – nach einem Jahr ist alles Geräusch. Oder man fährt eben Mercedes, weil es sonst keine vernünftige Werkstatt gibt. In Paris habe ich zwei BMW, einen kleinen 3er und einen 745i. Die anderen Wagen habe ich in Monte Carlo: einen Mitsubishi Pajero, der ist gut fürs Gepäck, und einen Bentley Mulsanne Turbo.

Karl Lagerfeld Interview 1985
auto motor und sport
Das Interview mit Karl Lagerfeld führten Peter Frey und Franz Peter Strohbücker.
Sind Ihre Autos serienmäßig?

Lagerfeld: Nein, der Mitsubishi beispielsweise ist total noir. Da ist alles noir. Sogar die Scheiben sind noir. Auch am Bentley ist kein Stück Chrom. Sogar der Kühlergrill ist in der Wagenfarbe – Chrom ist total altmodisch; ich hasse Chrom am Auto. Vor 15, 20 Jahren war es mal toll, chic, jetzt ist es vorbei.

Sind Automobile für Sie auch eine modische Herausforderung?

Lagerfeld: Ja natürlich. Sie ändern sich wie auch die Kleider. Alle Wagen, die Chrom haben, wirken auf mich total unmodern. Da hat man keine Lust mehr drauf. Der Mann von Prinzessin Caroline hat beispielsweise einen Mercedes, ich weiß den Typ nicht, er sieht jedenfalls aus wie ein großer Porsche, der ist ganz schwarz, der ist sehr schön.

Ist ein Auto für Sie denn nur eine Frage des äußeren Erscheinungsbildes?

Lagerfeld: Nein. Ein Kleid ist auch nicht nur ein äußeres Erscheinungsbild. Das muss gut aussehen, das muss sitzen, man muss sich darin wohlfühlen. Erst kommt die Kleidung, dann die Wohnung, dann das Auto. Das ist alles etwas, wo der Körper reinpassen muss. Da gibt es natürlich eine Entwicklung – was man heute nicht schön findet, fand man früher schön und umgekehrt. Nur was ganz alt ist, das findet man morgen schon wieder schön. Ich finde beispielsweise alte Duesenberg-Wagen wunderschön, aber was es so vor zehn, 15 Jahren gab, da ist nichts Schönes dabei. Das ist alles sehr mittelmäßig. Ich erinnere mich an eines meiner ersten Autos, einen Mercedes 190 SL, das Nitribitt-Auto, den fand ich damals toll, später fand ich ihn grauenhaft, heute ist er schon beinahe wieder hübsch. Der hatte Witz und irgendwie diesen naiven Wirtschaftswunder-Charme.

Stichwort Mercedes 190. Von Ihrem Kollegen Pierre Balmain steht, einige Häuser von hier in der Daimler-Benz-Niederlassung, ein mit teurem Leder ausgeschlagener Balmain-190er. Wann gibt es ein Lagerfeld-Auto?

Lagerfeld: Das hängt nicht von mir ab, sondern von den Leuten, die mich bislang nicht gefragt haben. Aber ist das nicht sehr hochgestochen? Courrèges und Cartier machen sowas auch, aber das sind ja keine anderen Autos. Technisch bleibt ja alles. Das beschränkt sich doch auf zwei Farbflecken und ein bisschen anderes Material. Ich bin ja kein Karosseriezeichner. Die gibt’s ja heute gar nicht mehr so wie früher. Etwa Leute wie Labourdette (Jean Henri-Labourdette war ein renommierter französischer Karosseriebauer, Anmerkung der Redaktion), der als Designer ganze Autos auf Fahrgestelle gemacht hat.

Würde Sie es reizen, eine solche Aufgabe zu übernehmen?

Lagerfeld: Ich weiß nicht, ob ich dazu überhaupt fähig bin.

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Kribbelt es Sie nicht manchmal in den Fingern, an einem Auto etwas zu verändern?

Lagerfeld: Unbedingt. Es gibt so grauenhafte Autos. Gerade im Innern grauenhaft, mit scheußlichen Plastik-Materialien und so spießigem Plüsch. Aber man kann ja wenig ändern. Denn heute sind solche Dinge ja andererseits auch sehr perfekt. Da kann ein Amateur mit seinen Ratschlägen nicht viel machen.

Der Amateur könnte den Autos aber zu mehr Chic verhelfen.

Lagerfeld: Oh, es gibt viele chice Wagen. Der Mercedes von Carolines Mann, Stefano Casiraghi, zum Beispiel, der ist perfekt, da muss man nichts ändern.

Weil er schwarz ist?

Lagerfeld: Nein, aber sehen Sie die Mercedes vor 15 Jahren: Die waren grauenhaft spießig, richtig für den Schlachter, der reich geworden war. Nun gut, für solche Leute waren diese Autos ja auch gemacht. Auch heute gibt es Autos, die geschmacklos sind. Die neuen Rolls-Royce zum Beispiel. Die haben so ein schweres Hinterteil und vorne diese kleine Puppe auf dem Kühler, das passt überhaupt nicht. Beim Bentley ist das was anderes, der hat nicht diesen schmalen spitzen Kühler und die Dame drauf.

Fühlen Sie sich mit dem Bentley gut angezogen?

Lagerfeld: Das kann man nicht sagen – ich benutze meist den Mitsubishi.

Nur aus praktischen Gründen?

Lagerfeld: Nein, im Sommer gibt es in Monte Carlo so viele Leute, die mit ihrem Rolls-Royce oder Bentley aufschneiden wollen, dass ich meinen lieber in der Garage lasse. Ich nehm ihn, um damit auf Reisen zu gehen.

Welches Verhältnis haben Sie denn zum Auto?

Lagerfeld: Ich fahre nicht selber, ich bin zu zerstreut. Ich will sehen, was hier passiert, was da passiert. Ich bin zu neugierig und habe meine Augen überall. Aber beim Autofahren muss man genau vor sich gucken. Und das interessiert mich überhaupt nicht. Autofahren heutzutage ist schon beinahe ein eigener Beruf. Ich habe auch keine Lust einzuparken, oder mich mit Polizistinnen in die Haare zu kriegen ...

... in Paris gibt es so nette Polizistinnen, mit denen kann man sich doch durchaus mal in die Haare kriegen.

Lagerfeld: Nette Polizistinnen? Das sind die speziellen im August – für die Touristen. Was sonst hier rumläuft, das sind ganz harte, bittere Nummern.

Gehen wir doch mal die heutigen Autos durch. Wie gefällt Ihnen der Mercedes 190?

Lagerfeld: Den finde ich okay. Aber er ist von vielen anderen Autos inspiriert. Mercedes hat für mich immer etwas Familiäres. Als ich ein Kind war, haben meine Eltern immer nur Mercedes gefahren und meine Mutter kannte sogar die Familie Jellinek, nach deren Tochter Mercedes die Wagen benannt sind.

Und BMW – Sie haben selbst zwei?

Lagerfeld: Damit habe ich viel Trouble, mehr als es mit einem BMW sein dürfte. Und da alle meine Wagen von den gleichen Chauffeuren gefahren werden, muss es wohl an den Wagen liegen. Speziell der große, der 745i, geht dauernd kaputt. Ich überlege, mich von den BMW zu trennen.

Nehmen Sie es einem Auto übel, wenn es kaputtgeht?

Lagerfeld: Na ja, Jaguar beispielsweise hat so hübsche Wagen, aber man muss immer noch ein zusätzliches Auto haben, weil der Jaguar alle drei Tage in der Werkstatt ist.

Welche Art Autos mögen Sie denn, wonach suchen Sie Ihren Wagen aus?

Lagerfeld: Ich mag große, hohe Wagen, die Platz haben, wo man hoch sitzt. Deshalb mag ich auch Busse so sehr ...

... fahren Sie denn manchmal mit dem Bus?

Lagerfeld: Nein, nie. Aber ich finde es toll. Für Fotoaufnahmen mieten wir gelegentlich einen Mini-Bus – toll. Das ist sehr amüsant.

Hatten Sie denn als Jugendlicher einen Hang zum Auto?

Lagerfeld: Als ich jung war, da war es natürlich toll, erst einen offenen VW, dann einen 190 SL, dann einen Jaguar zu haben. Es ist gut, so was zu haben, wenn man jung ist. Dann kann man sich sagen, gut, das habe ich gehabt, ich weiß, was man davon hat, jetzt kann ich an was anderes denken. Das sind Spielzeuge für junge Leute. Es sei denn, man ist Autofanatiker. Wild auf Geschwindigkeit und so. Aber wo geht das noch? Es ist doch Unsinn, mit einem Ferrari im 20-Kilometer-Tempo an der Uferpromenade entlang zu fahren.

Hat Sie nie die Geschwindigkeit fasziniert?

Lagerfeld: Ich hasse Geschwindigkeit. Ich bin eher ein Genießer, ich will ja was sehen. Für Geschwindigkeit hat man das Flugzeug.

Wo sehen Sie denn den Wert eines Autos?

Lagerfeld: Ich lege großen Wert auf das Innere eines Wagens. Das ist wie ein kleines Zimmer. Die Sitze müssen bequem sein, die Wagen müssen schön sein, die Aircondition muss gut funktionieren, die Stereoanlage muss gut sein. Bequem muss es sein. Und ein Telefon muss darin sein. Im Verkehrsstau ist Telefonieren das einzige, was man noch sinnvoll machen kann.

Wie sieht denn Ihr Lieblingsinterieur aus?

Lagerfeld: Das kommt darauf an. Der Mercedes G zum Beispiel, der ist lange nicht so schön wie der Range Rover, den ich früher hatte. Mein Verwalter hasst das Auto regelrecht. Der sagt, der sei ein Trecker, mit dem man sich nicht in der Stadt zeigen kann. Aber einen Range Rover kaufe ich nie mehr. Bei einigen Leuten, die ich kenne, brach die Lenkung ihres Rover – die Leute sind natürlich alle tot. Den Break (das Mercedes T-Modell) liebt mein Verwalter. Trotz des grauenhaften Plüsch im Innern.

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Wie bewerten Sie denn heute so klassische Autos wie den VW Käfer oder den 2 CV?

Lagerfeld: Das sind Symbole geworden, das sind keine Wagen mehr. Die stehen für Zeit, Länder, Leute, Esprit, ein Epoche-Symbol wie die Coca-Cola-Flasche. Die sind gut. Aber es gibt auch grauenhafte Symbole. Den Citroën DS beispielsweise. Das ist wie ein Jaques-Tati-Film. Es wird einem schlecht darin, schon beim Anfahren, und formal habe ich ihn auch nicht gemocht.

Welchen Symbolcharakter messen Sie den Produkten von Porsche bei?

Lagerfeld: Komischerweise mag ich die augenblicklichen Porsche, die 924 und 944, die mit dem Tablett hinten drauf, nicht gerne. Die alten, die finde ich ganz gut. Aber ich hab nie die Porsche-Mythologie empfunden.

Sagt Ihnen denn das aktuelle Autoangebot zu?

Lagerfeld: Es ist im Durchschnitt viel zu langweilig. Der französische Automarkt ist für mich Eintopf. Bis auf den R 5, der mal ganz toll war, aber sich gar nicht weiterentwickelt hat. Der hat so viele Leute inspiriert, dass er heute anonym ist.

Und der deutsche Markt; was ist mit dem Golf?

Lagerfeld: Der Golf ist sehr gelungen. Er ist auch schon fast ein Symbol.

Gibt es Autos, von denen Sie sich vorstellen können, davon zu träumen?

Lagerfeld: Wenn ich von einem Wagen träumen würde, dann hätte ich ihn.

Welche Autofarbe ist Ihnen denn am liebsten?

Lagerfeld: Das kommt darauf an, wo man den Wagen benutzt. In der Sonne Südfrankreichs sind weiße Autos sehr chic, hier sind sie grauenhaft. In Kalifornien sind bunte Autos hübsch. Hier in der Stadt sind die silbergrauen Metallicfarben am besten, die Autos sieht man fast nicht. Das ist praktisch. Ich liebe marineblau, obwohl das sehr banal ist. Außerdem ist es unpraktisch, weil man jedes Staubkorn derart sieht. Und schwarz ist auch sehr witzig – gerade in der Sonne. Es gab mal vor dem Krieg den Couturier Jean Patou, der hatte in Südfrankreich einen weißen Wagen mit einem schwarzen Chauffeur und in Nordfrankreich einen schwarzen Wagen mit einem weißen Chauffeur. Das hatte Stil – heute wäre es Rassismus.

Was ist denn heute Auto-Stil für Sie?

Lagerfeld: Originäre Autos. Es gibt ja so nachgemachte Sportwagen. Die finde ich deprimierend. Vor allem, weil man damit ja niemanden täuschen kann. Nicht mal sich selbst. Die sind absurd und lächerlich.

Können Sie sich eine Welt ohne Autos vor stellen?

Lagerfeld: Können Sie das? Das hat’s ja mal gegeben, aber das soll viel mehr gestunken haben bei dem Pferdeverkehr. Schlimmer als Benzin. Und dann die Abfälle. Stellen Sie sich eine Großstadt ohne Autos vor! Natürlich ist auch der heutige Großstadtverkehr unschön. Die Wagen sind zu groß für die Stadt. Denken Sie an den Mini, der wäre prima für die Stadt, wenn die anderen Autos nicht so groß wären. Man fühlt sich dann immer wie im Auspuff der anderen. Das ist gefährlich. Manche haben natürlich nur einen Wagen, und der muss praktisch sein. Da gibt es auch gut gezeichnete Wagen. Der Golf beispielsweise. Aber die anderen? Müssen die Interieurs solcher Autos genauso geschmacklos sein wie die Tapeten, die sich solche Leute an die Wand kleben?

Müssen sie?

Lagerfeld: Wahrscheinlich. Die Leute haben oft keine Disziplin und kein Auge, um zu sehen, dass sie für wenig Geld oft auch geschmackvolle Dinge haben können. Nicht nur den Mist aus Warenhäusern. Die kaufen falsche Louis XV-Möbel statt echte moderne. Das ist nicht nur eine Preisfrage. Dieser neue, aufgeschnittene Porsche Speedster – der hat Witz, davon können Zwanzigjährige träumen. Der Opel Kadett und der Saab 9000, die haben alle den gleichen Strich; wie langweilig. Und so ein Lorinser-Mercedes ist schlicht grauenhaft. Das ist spießig, damit wollen Leute zeigen, dass sie es zu was gebracht haben. Das sind rollende Wohnzimmergarnituren.

Was meinen sie zu dem Audi 100?

Lagerfeld: Was soll man dazu sagen – der ist wie die anderen; Kaffeemaschinen sehen auch so aus. Oder BMW: Ich habe das Gefühl, denen geht es so gut, dass sie gar nichts mehr tun im Design. Das fängt an, unmodern zu werden.

Vielleicht wird es dann gerade wieder chic ...

Lagerfeld: Da liegen aber noch mehrere Jahre Fegefeuer dazwischen. Ich überlege, meinen BMW zu verkaufen und auf Mercedes umzusteigen. Die Mercedes-Leute haben sich sehr modernisiert und die spießige Wirtschaftswunder-Selbstgefälligkeit überwunden.

Wie finden Sie denn so ein Auto wie den Ford Sierra?

Lagerfeld: Den finde ich nicht, den werde ich auch nie wieder finden.

Was halten Sie von einem Prototyp wie beispielsweise dem Maya (zweisitzige Targa-Studie Ford Maya von 1984, Anmerkung der Redaktion) von Giorgetto Giugiaro, dem Schöpfer des Golf?

Lagerfeld: Na ja, vielleicht sollte er mal was anderes schöpfen. Aber das ist wohl gar nicht so einfach.