Wir dürfen mal davon ausgehen, dass Volvo-Vorstand Håkan Samuelsson seinem Marketing-Team in dieser Woche eine Runde Kaltgetränke spendiert hat. Mindestens. Die haben es nämlich geschafft, die Marke rund um den Genfer Autosalon ins Gespräch zu bringen, obwohl auf der Messe kein einziger Volvo ausgestellt wird. Wie das geht? Nun, man konzentriert sich darauf, wofür man als Marke schon immer steht. Für Sicherheit. Spricht über die Gefahren von Alkohol und Ablenkung am Steuer, um dann im Finale das Thema hohe Geschwindigkeiten ins Visier zu nehmen. Heißt: Ab 2020 werden alle Volvo-Neuwagen mit einer auf 180 km/h limitierten Höchstgeschwindigkeit ausgeliefert. Und schon brodelt es. In alle Richtungen. Analysten, Professoren, Weltverbesserer, Fans und Trolle. Schock, Begeisterung, Wut. Alles dabei.
Wir sind die Ausnahme von der Regel
Davon bleibt allerdings nicht mehr viel übrig, wenn sich der ganze Pulverdampf verzogen hat. Dafür muss man aber bitte akzeptieren, das Volvo keine Stiftung und kein gemeinnütziger Verein ist, sondern ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht. Und wenn du als Unternehmen die Produkte deiner verschiedenen Marken erfolgreich verkaufen willst, dann brauchst du eine klare Positionierung. Weltweit. Und da wird es dann zum zweiten Mal ein bisschen schmerzhaft, vor allem fürs Selbstverständnis der deutschen Käufer. Wir sind für Volvo schon lange nicht mehr der Nabel der Welt. Volvo denkt, getrieben durch die chinesische Konzernmutter Geely, grundsätzlich in globalen Größenordnungen. Und da macht es schlicht keinen Sinn, Fahrzeuge zu entwickeln, die schneller als 180 km/h fahren. Denn dort, wo Volvo Autos verkaufen will, gelten entweder strenge Tempolimits bzw. gesetzliche Vorgaben, die Höchstgeschwindigkeiten jenseits von 180 Sachen verbieten. Außer eben in Deutschland. Die Mühe, Fahrzeuge mit viel Aufwand fit für dem Geschwindigkeitsbereich zwischen 180 und 250 km/h zu machen, spart sich Volvo also künftig. Und die Vermeidung von Mehraufwänden ist gut für die Rendite.
Sicherheit passt zur Marke
Den Schweden daraus einen Vorwurf zu konstruieren, wäre schlicht falsch. Denn unabhängig vom Kosteneffekt passt der Schritt wunderbar zur Volvo-Sicherheitsphilosophie. Stefan Bratzel, der Direktor des Center of Automotive Management (CAM) kommt im Spiegel zu einer ähnlichen Bewertung: „Das ist eine symbolische Geste, die dem Sicherheitsimage der Marke Volvo entspricht“. Volvo werde damit weniger ihrer von Haus aus sicherheitsbewussten Kunden verschrecken, als neue Käufer hinzugewinnen.
Die Modellpalette gibt den Weg vor
Bleibt noch der Blick auf Ökologie und Effizienz. Auch da ist der Schritt von Volvo nur konsequent. Sehr hohe Reisegeschwindigkeiten sind untrennbar mit dem Diesel, bzw. großvolumigen Benzinmotoren verknüpft. Von beiden hat sich Volvo aber längst verabschiedet. Die letzten Volvo-Diesel gehen spätestens 2023 in Rente und hinterm Steuer eines bis zur Grenze ausgequetschten kleinen Vierzylinder-Benziners macht die linke Spur mit 220 km/h auch nur so bedingt Spaß. Im Fokus der Volvo-Strategie stehen Plug-in-Hybride und vollelektrische Antriebe, die dem globalen Trend folgend, vor allem in SUV- und Crossover-Modelle verbaut werden. Nachteil des SUV-Layouts: Eine vergleichsweise große Stirnfläche und große Räder, was unterm Strich zu wenig rekordverdächtigen cW-Werten führt. In der Folge steigt der Luftwiderstand, was vor allem bei rein elektrischen Fahrzeugen bei höherem Tempo Reichweite kostet. Höheres Tempo heißt hier übrigens schon 100 km/h, denn der Luftwiderstand steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Sprich: doppelte Geschwindigkeit heißt vierfacher Luftwiderstand.
Geschwindigkeit ist nur ein Problem von vielen
Rendite, Markenkern und Effizienz. Scheint, als habe Volvo alles richtig gemacht, oder? Fast. Denn hohe Geschwindigkeiten, die für Volvo ein Sicherheitsrisiko darstellen, spielen bei den Ursachen für Unfälle mit Personenschäden keine überragend große Rolle. Viel entscheidender sind in diesem Punkt Unfälle beim Abbiegen, Rückwärtsfahren und Ausparken. Um ganz korrekt zu argumentieren, muss man aber eben auch sagen, dass Unfälle durch nicht angepasste Geschwindigkeiten nach wie vor die schlimmsten Folgen mit sich bringen: Im Jahr 2017 kamen im Schnitt bei 1.000 Unfällen 24 Menschen ums Leben. Bei allen Unfällen insgesamt waren es elf Getötete je 1.000 Unfälle (Quelle: Statistisches Bundesamt). Womit wir schon wieder mittendrin wären in der deutschen Diskussion um ein generelles Tempolimit. Aber das ist wieder an ganz anderes Thema.