China galt lange Zeit als Sehnsuchtsort der westlichen Automobilindustrie. Wer dort Fuß fasst, besitzt die Lizenz zum Gelddrucken – so zumindest der Anschein. Doch längst lassen sich auf dem weltweit größten Automarkt nicht mehr so leicht lukrative Geschäfte machen, wie noch vor einigen Jahren. Immer mehr Hersteller merken das, doch nur Stellantis-Chef Carlos Tavares scheint das auch einigermaßen offen an- und auszusprechen.
Am Rande des Pariser Autosalons überraschte der Portugiese, indem er vor Medienvertretern laut darüber nachdachte, keine Autos mehr in China produzieren zu wollen. Das habe mit der "Asset Light"-Strategie zu tun, die Stellantis aktuell verfolge. Derart aufgestellte Unternehmen haben nur ein geringes Anlagevermögen in der Bilanz stehen, etwa in Form von Immobilien. Was für einen Autohersteller bedeuten könnte, eher wenige Werke im eigenen Besitz zu haben. "Wenn wir diese Strategie weiterverfolgen, dann brauchen wir keine Werke in China", sagte Tavares in Paris; er sei sich nicht sicher, ob sie unverzichtbar seien.
Jeep hat sein China-Werk geschlossen
Dass Tavares vor einem solchen Schritt nicht zurückschreckt, hat sich bereits Ende Juli gezeigt. Damals kündigte die Stellantis-Marke Jeep an, sich aus ihrem chinesischen Joint Venture mit der staatlichen Guangzhou Automobile Group (GAC) zurückzuziehen und das zwölf Jahre betriebene Werk zu schließen. Ähnliche Schritte könnten sich für weitere Hersteller aus dem Konzernverbund ergeben, beispielsweise Peugeot und Citroën.
Als Grund für die Jeep-Entscheidung nannte Tavares seinerzeit, dass sich die chinesische Regierung zunehmend in geschäftliche Entscheidungen einmischen wollte. Zudem habe der lokale Partner GAC "nicht das getan, was er tun sollte". Aber auch die weltpolitische Lage hat eine Rolle gespielt – speziell die Bedrohung Taiwans durch China. "Wir wollen kein Opfer von Quersanktionen werden, wie es in letzter Zeit bei anderen Unternehmen in anderen Regionen der Welt der Fall war", sagte Tavares dazu. Damit meinte er die Sanktionen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, nach dem sich die meisten Autohersteller aus Russland zurückgezogen haben – die einen mehr, die anderen weniger freiwillig. So hat Konkurrent Renault-Nissan beispielsweise seine dortigen Werke für symbolische Summen an russische Unternehmen und Institutionen verkauft und damit hohe Verluste eingefahren.
E-Autos aus Indien für Europa?
"Es gibt wachsende Spannungen zwischen China und der westlichen Welt. Das wird sich auf das Geschäft auswirken", ergänzte Tavares laut "Automotive News Europe" und "Reuters" bei einer Veranstaltung in der indischen Stadt Chennai. Nutznießer dieser Entwicklung könnte Indien sein. Wenn man dort Elektroautos für Europa baue, könnte man von den niedrigen Lohnkosten des Landes profitieren. Sein Konzern beschäftige sich mit dieser Option; entschieden sei aber noch nichts.
Komplett will sich Stellantis jedoch nicht aus China zurückziehen. Das Unternehmen könne als Nischenanbieter auftreten und die dann wenigen Autos aus Europa oder den USA importieren, sagte Tavares. Bedeutet: Im chinesischen Markt sieht er noch immer mehr Chancen als Risiken, auch wenn der Wettbewerb für die westlichen Autohersteller dort inzwischen knallhart ausgetragen wird. Das liegt vor allem an der einheimischen Konkurrenz: Die Produkte von Geely, BYD, GAC und Co. haben technisch aufgeholt und bei Elektroantrieben, Batterie-Technologie sowie Software teilweise die Nase vorne. Die Marktanteile, die diese Hersteller erobert haben, mussten Stellantis, Volkswagen oder General Motors in den letzten Jahren abgeben.