Grüne Plakette, V6-Motor, elektrisch verstellbare Sitze: Dieser schicke Audi A6 mit 3,0-Liter-Dieselmotor steht nicht etwa bei einem Gebrauchtwagenhändler zum Verkauf, sondern hier auf dem Recyclinghof der Autoverwertung Möck in Tübingen. Direkt daneben: Eine Mercedes ML-Klasse mit Vier-Liter-Motor und schickem Innendesign. Auf Autoverkaufsportalen im Internet kostet dieses Modell in vergleichbarem Zustand noch rund 12.000 Euro. Nun steht es aber eben hier – und wartet auf die Schrottpresse. Ein Blick auf die anderen herumstehenden Fahrzeuge reicht, um festzustellen: A6 und ML sind nicht alleine. Sie teilen sich ihr Schicksal mit vielen anderen modernen Diesel-Autos.
Diesel-Perlen vor die Säue
Die Autoverwertung Möck ist da kein Einzelfall. Viele Schrott- und Recyclinghändler in Deutschland berichten von hochwertigen Diesel-Modellen, die derzeit auf ihren Höfen stehen. Der Grund: Die Umweltprämie, die wohl genauso treffend Abwrackprämie heißen könnte. Das Prinzip lautet „alt gegen neu“ – wobei alt hier relativ zu bewerten ist.
Beispiel Volkswagen: Wer ein Dieselauto bis einschließlich Abgasnorm Euro 4 auf einem Recyclinghof nachweislich verschrottet, bekommt vom Konzern bis zu 8.000 Euro Rabatt auf einen Neu- und 6.000 Euro auf einen Jahreswagen.
Die Idee scheint aufzugehen. Das beweist nicht nur ein Rundgang über den Autofriedhof von Philipp Möck – wo gerade ein VW Golf mit Abgasnorm Euro 4 und 170.000 Kilometern Laufleistung neben einer 2,2-Liter-E-Klasse mit Navi parkt – sondern auch die Zahlen von Volkwagen selbst. Der Automobilhersteller lässt verkünden: Seit August 2017 wurden konzernweit insgesamt mehr als 240.000 alte Diesel-Fahrzeuge durch Neu- oder junge Gebrauchtwagen mit modernen Triebwerken ersetzt. 30.000 davon fallen alleine auf den Zeitraum ab Oktober 2018.
Da blutet das Herz
Zahlen, die die Hersteller positiv stimmen. Möck sieht die Umweltprämie mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite zahlt sich die Idee auch für ihn aus. Sein Hof steht voll, er kommt mit dem Verschrotten kaum hinterher. Auf der anderen blutet ihm beim Trockenlegen einiger Modelle schon auch ein wenig das Herz: „Solche Fahrzeuge zu verschrotten tut weh. Vor allen Dingen wenn man weiß, wie viele Kilometer die noch laufen würden.“
Immerhin kann er alles, was nicht defekt ist, auf dem Ersatzteilemarkt weiterverkaufen. Lichter und Blechteile im vorderen Bereich sind besonders beliebt. Doch der Markt sei „weitestgehend auch gesättigt“, fügt Möck hinzu. Nach dem Trockenlegen kommt das Fahrzeug in die Presse, denn nur mit dem Nachweis der Verschrottung wird die Umweltprämie an die Kunden später auch ausbezahlt. Die Begründung: eine Diesel-Bestandserneuerung auf deutschen Straßen.
Win-Win-Situation für alle?
Die Umweltprämie als klassische Win-Win-Situation für alle Beteiligten? Beim Anblick der zahlreichen Selbstzünder stellt sich die Frage: Wie nachhaltig und ökologisch sinnvoll ist es, funktionstüchtige Diesel-Fahrzeuge zu verschrotten? Der Verband der deutschen Automobilindustrie – kurz VDA – möchte und kann sich zu dieser Thematik nicht äußern, schließlich seien die Prämien und deren Bedingungen herstellerbezogen – und nicht vom VDA festgelegt. Stattdessen verweist Pressesprecher Eckehart Rotter auf deren Grundidee: „Zunächst ist klarzustellen, dass die Umweltprämie kein Marketinginstrument der Hersteller war, sondern ein elementarer Bestandteil der Ergebnisse vom ersten Dieselgipfel mit dem Ziel, in deutschen Städten rasch für eine bessere Luftqualität zu sorgen, individuelle Mobilität zu sichern und Fahrverbote zu vermeiden. Die Zahlen der deutschen Pkw-Hersteller bestätigen, dass dieses Angebot bei den Neuwagenkunden auf Zustimmung trifft.“
Mit Letzterem hat Rotter zweifelsohne Recht. Firma Möck hat kaum mehr Platz für die vielen Fahrzeuge. Aufgrund der Dieseldebatte und der Umweltprämie hat er heute deutlich mehr Selbstzünder auf dem Hof stehen als früher – und jeden Tag kommen neue dazu. Auch Siegfried Kohl, Vorsitzender der Fachgruppe Autorückmontage und Vertreter der Automobilrecycler in Deutschland bestätigt: „Der Recyclingzulauf von Altfahrzeugen mit Dieselmotor ist derzeit höher.“ Zur Frage der Nachhaltigkeit hält jedoch auch er sich bedeckt: „Da müssen Sie die Hersteller fragen – wir sind Dienstleiter für unsere Auftraggeber und richten uns nach deren Anforderungen.“
Hohe Verwertungsquote bei Kraftfahrzeugen
Gesagt, getan. Ein Sprecher von Volkswagen erklärt: „Kraftfahrzeuge gehören mit einer Verwertungsquote von 95 Prozent zu den am besten verwertbaren Produkten. Im Rahmen der Umweltprämie werden überwiegend ältere Fahrzeuge mit den Abgasnormen Euro 1-3 verschrottet. Für junge Euro 4-Fahrzeuge mit vergleichsweise hohen Gebrauchtwagenwerten ist die Verschrottung trotz signifikanter Prämien für die Kunden oft wirtschaftlich nicht interessant.“
Was Möck bei der ganzen Debatte stört: Diejenigen, die gefordert haben, dass die alten Diesel von der Straße müssen, beschweren sich jetzt, dass sie verschrottet werden. Er findet es ungerechtfertigt, dass Autoverwertern, Herstellern und Händlerkollegen vorgeworfen wird, nun Diesel-Perlen zu verschrotten.
Händler zahlen mit
Apropos Händler. Was viele nicht wissen: Ein Teil der Umweltprämie wird je nach Modell vom Handel getragen. Das deutsche Kraftfahrzeuggewerbe sieht in diesem Umstand dennoch einen Vorteil: „Durch die Umweltprämien kamen und kommen zum Teil neue Kunden in die Autohäuser. Der Verkauf von Neufahrzeugen wird somit zu Folgegeschäften im Service führen“, heißt es aus der Zentrale in Bonn. Auch deshalb zeigt sich Rotter vom VDA – was den Diesel betrifft – optimistisch: „Der Marktanteil von Diesel-Pkw bei den Neuzulassungen in Deutschland insgesamt stieg im Januar um 1,2 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahresmonat und liegt nun bei 34,5 Prozent. Die deutschen Hersteller haben ihren Absatz von Diesel-Pkw im Januar um über 6 Prozent deutlich gesteigert. Offensichtlich steigt die Nachfrage nach modernen Diesel-Pkw deutscher Hersteller.“
Nach dem Opel Zafira mit lediglich 150.000 Kilometern auf dem Buckel, der gerade von einem Kran in die Höhe gehoben wird, fragt jedenfalls niemand mehr. Er steht mit Gleichgesinnten auf den Höfen von Autoverwertern wie Philipp Möck – viel zu früh.