In China, auf dem größten Automarkt der Welt und dem größten Umsatzbringer des Volkswagen-Konzerns, schwimmen den Wolfsburgern die Felle davon: Das Handelsblatt will aus Versicherungsdaten herausgelesen haben, dass VW in China im ersten Halbjahr 2023 nur 38.000 E-Autos neu zugelassen hat. Der Marktanteil liege unter zwei Prozent. Konkurrent BYD hingegen, der VW kürzlich die Marktführerschaft abgeknöpft hat, hat im gleichen Zeitraum 1,25 Millionen NEV (New Energy Vehicle, also BEV (BEV – battery electric vehicle) und PHEV (plug-in hybrid electric vehicle)) davon etwa 500.000 Elektroautos abgesetzt, davon gingen wiederum nur 70.000 nach Übersee. Marktanteil in China nach eigenen Angaben 12 Prozent und auf dem explosionsartig wachsenden E-Auto-Markt gar 34 Prozent.
Deutlicher lässt sich die katastrophale Absatzentwicklung in China kaum illustrieren. Die Modelle des deutschen Konzerns fahren an den Bedürfnissen der chinesischen Kunden vorbei und sind zu teuer. VW muss die Preise senken. Der ID.3 kostet im Reich der Mitte vorübergehend nur mehr umgerechnet 15.000 Euro.
VW und Audi haben keine E-Autos, die Chinesen kaufen
Um mehr E-Modelle für den schnell wachsenden E-Markt in China auf die Straße zu bringen, haben die Marken VW und Audi strategische Kooperationen mit lokalen Herstellern vereinbart. Anders als bei den lange bestehenden Joint-Ventures mit SAIC (für Südchina) und FAW (Nordchina) liefert nun nicht mehr der deutsche Konzern die Technik, die die Partner herstellen und verkaufen, sondern die chinesischen Partner helfen bei der Entwicklung der Modelle.
VW und Audi müssen E-Autos in China entwickeln lassen
In einer Pressemitteilung des Konzerns liest sich das dann so: "Der Volkswagen Konzern stärkt mit Kooperationen zwischen der Marke VW und Xpeng sowie zwischen Audi und SAIC seine Position auf dem chinesischen Automobilmarkt. Damit treibt das Unternehmen seine lokale Elektrifizierungsstrategie weiter voran. Ziel ist es, neue Kunden- und Marktsegmente schnell zu erschließen und damit das Potenzial des dynamisch wachsenden Elektro-Marktes in China konsequent zu nutzen".
Die Marke VW schließt dazu eine technologische Rahmenvereinbarung über eine langfristige Zusammenarbeit mit Xpeng und der Volkswagen Konzern investiert rund 700 Millionen US-Dollar in den chinesischen Hersteller, der seine Autos seit diesem Jahr auch in Deutschland verkauft. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung erwirbt VW so 4,99 Prozent der Xpeng Aktien zu je 15 US-Dollar.
Lizenzen von Leapmotor für Jetta
VWs 2019 gegründete chinesische Marke Jetta bietet bisher nur Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Für künftige Modelle soll anscheinend Hilfe vom 2015 gegründeten Hersteller Leapmotor kommen. Angeblich gibt es bereits Gespräche, die Leapmotor-Plattform an VW zu lizenzieren. Leapmotor ist im Mai 2020 eine Kooperation mit dem staatlichen chinesischen Autohersteller FAW eingegangen. Über das Gemeinschaftsunternehmen FAW-Volkswagen ist VW schon seit 1991 mit FAW verbunden.
Leapmotor und VW China haben bisher nicht auf Anfragen zu dem Thema geantwortet. Leapmotor-Chef Zhu Jiangming hat allerdings kürzlich bestätigt, dass man sich in Gesprächen mit zwei ausländischen Unternehmen befinde – in den Gesprächen ginge es um eine Partnerschaft. Darunter sei auch ein Akteur, der Leapmotor-Modelle auf ausländischen Märkten herstellen könnte. VW scheint die Partnerschaft allerdings nur für die aus chinesischer Sicht inländische Marke Jetta zu wollen. Nach Bekanntwerden des Gerüchts sind die Aktien von Leapmotor im Wert um fünf Prozent gestiegen.
Audi entwickelt mit SAIC elektrische A3- und A4-Limousinen
Selbst die Premiummarke Audi (Claim: "Vorsprung durch Technik") unterzeichnet ein Memorandum mit dem SAIC-Konzern, zu dem beispielsweise die Marke MG gehört, die gerade in die Top 20 der europäischen Zulassungsstatistik gesprungen ist. In unserer Bildergalerie sehen Sie Autos aus China, die hierzulande zu kaufen sind.
Die Vereinbarung zwischen Audi und SAIC soll eine bereits bestehende Kooperation erweitern – Partnerschaften sehen jeweils die gemeinsame Entwicklung von intelligenten, voll vernetzten Elektro-Fahrzeugen (ICV) für den chinesischen Markt vor. Die zusätzlichen Modelle sollen das bestehende Produktportfolio ergänzen.
Mit den neuen strategischen Kooperationen will der deutsche Konzern erreichen, was er aus eigener Kraft nicht erreichen kann: Die Entwicklungskapazitäten und die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der chinesischen Kunden erhöhen. "In China für China"-Strategie nennt der Konzern das.
VW will Mittelklasse-Stromer von Xpeng
VW plant mit Xpeng die gemeinsame Entwicklung von zwei Elektro-Modellen fürs Mittelklasse-Segment. Die China-spezifischen Fahrzeuge ergänzen das MEB-Produktportfolio (ID.-Familie) und sollen 2026 auf den chinesischen Markt kommen. Das steht noch unter dem Vorbehalt des Abschlusses detaillierter Vereinbarungen.
Audi plant mit SAIC die gemeinsame Entwicklungsarbeit für intelligente, voll vernetzte Elektro-Fahrzeuge im Premium-Segment schnell zu erweitern. Zunächst sollen Elektro-Modelle in einem Segment starten, in dem Audi in China bisher noch nicht vertreten ist. Bei E-Autos haben die Ingolstädter noch kein Angebot in der Größe von A3- und A4-Limousine, die es dort wie hierzulande noch als Verbrenner gibt. Die gemeinschaftlich entwickelten E-Modelle sollen dann das bieten, womit der gesamte Volkswagen-Konzern gerade am meisten kämpft: modernste Software und Hardware. Schließlich ist chinesischen Kunden aktuell in einem Fahrzeug ein intuitives, vernetztes und digitales "Erlebnis" enorm wichtig.
Beide Vereinbarungen umfassen eine zukünftige gemeinsame Entwicklung neuer lokaler Plattformen für die nächste Generation von intelligenten, voll vernetzten Elektro-Fahrzeugen. "Sie sollen die Produktpalette des Konzerns zügig um weitere Modelle aus China für China für besonders vielversprechende Kunden- und Marktsegmente erweitern". Wobei zügig wohl das genannte Jahr 2026 bedeutet.
Hochqualifizierte Arbeitsplätze in China
Die Kooperationen bedeuten auch einen Ausbau der Entwicklungskapazitäten des deutschen Konzerns in China. Entwicklungspartner für Xpeng ist die kürzlich gegründete Volkswagen Group China Technology Company (VCTC). Das neue Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrum ist der größte Entwicklungsstandort des Konzerns außerhalb von Wolfsburg. Hier werden zukünftig mehr als 2.000 Entwicklungs- und Beschaffungsexperten arbeiten. Außerdem baut Volkswagen seinen Standort im ostchinesischen Hefei in der Provinz Anhui zu einem "hochmodernen Produktions-, Entwicklungs- und Innovations-Hub aus". Das neue Fahrzeug-Werk von Volkswagen Anhui soll noch in diesem Jahr die Produktion starten. Die VW Anhui Component Company errichtet in Hefei zudem eine Fertigungsstätte für Hochvoltbatteriesysteme. Ebenso entsteht mit der Volkswagen Group China Technology Company in Hefei ein Entwicklungs- und Beschaffungszentrum.
Fazit
Der Volkswagen-Konzern kooperiert mit chinesischen Herstellern – unter umgekehrten Vorzeichen: Haben die Asiaten früher von den Deutschen entwickelte Modelle gebaut und verkauft, braucht der Wolfsburger Konzern inzwischen die Entwicklungskompetenz von SAIC, Xpeng und Leapmotor. Das klingt wahlweise nach Kooperation oder Kapitulation. Denn mit der Entwicklungsarbeit geht auch ein weiterer Teil der Wertschöpfung nach China. Immerhin hat sich VW einen Anteil an Xpeng gesichert. Zu einem Preis übrigens, den Daimler 2014 etwa für den Verkauf seiner Tesla-Anteile erlöste.