Am 25. September starten die Verhandlungen zwischen den VW-Chefs und der IG-Metall, der größten und mächtigsten Einzelgewerkschaft der Welt. Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft des Volkswagen-Konzerns. Denn der steckt tief in der Krise, muss massiv Kosten reduzieren und sich trotzdem schlagkräftig für die Mobilitäts- und Energiewende aufstellen. Im Raum stehen Werksschließungen und Massenentlassungen – doch kann sich das Unternehmen überhaupt noch bewegen?
Sind 30.000 Jobs erst der Anfang?
Die Zahl von 30.000 VW-Jobs steht nicht erst seit dem Flaute-Jahr 2024 im Raum. Schon 2021 sprach der damalige Konzern-Chef Herbert Diess über einen Stellenabbau in dieser Größenordnung, vor allem weil die Werke sowie Forschung und Entwicklung auf die Elektromobilität umgestellt werden müssten. Es folgte ein Eklat in Aufsichtsrat, Betriebsrat und Unternehmerschaft. Diess musste ein Jahr später seinen Hut nehmen. Das Personal- und Kostenproblem blieb.
Laut internen Mitteilungen des Betriebsrats hält das Management mindestens ein größeres Autowerk sowie eine Komponentenfabrik für überflüssig, wobei bislang offen bleibt, welche Standorte konkret gefährdet sind. Diese Unsicherheit sorgt für erhebliche Unruhe unter den Beschäftigten – insbesondere in Niedersachsen, wo sich zahlreiche Werke von Volkswagen befinden.
Noch immer spricht der Betriebsrat offiziell davon, dass diese Zahlen jeglicher Grundlage entbehren und "einfach nur Schwachsinn" seien. Doch der finanzielle Druck ist seit der Diess-Ära noch viel größer geworden. Für die Neu-Investitionen bis 2030 hatte Finanzchef Antlitz den extremen Sparplan bereits verkündet. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird die sogenannte Investitionsquote von gut 14 Prozent auf neun Prozent fallen. Damit schrumpft vor allem das Kapital, das die Forschung und Entwicklung braucht. In Deutschland arbeiten in diesem Bereich rund 13.000 Angestellte. Medienberichte sprechen hier bereits von bis zu 6.000 Entlassungen. Insgesamt arbeiten in Deutschland 130.000 Menschen direkt bei der Marke Volkswagen.
Welche Werke und Standorte Volkswagen in Deutschland und seinen Nachbarländern betreibt, haben wir in der Fotoshow zusammengefasst.
Gewerkschaft, Betriebsrat und das Land Niedersachsen
Doch mit der Gewerkschaft, dem Betriebsrat und dem Land Niedersachsen treffen Konzern-CEO Oliver Blume, Marken-Chef Thomas Schäfer und Finanzvorstand Arno Antlitz auf extrem resistente Widersacher, die unternehmerische Entscheidungen blockieren können. Diese Konstellation führte innerhalb der vergangenen Jahrzehnte zu einer arbeitnehmerfreundlichen VW-Oase innerhalb der Automobil-Landschaft. Unternehmerisch hingegen wird Volkswagen von Jahr zu Jahr unbeweglicher, innovationsschwächer und weniger profitabel.
Möchte Volkswagen weiter vorn im globalen Automobil-Zirkus mitspielen, müssen harte Entscheidungen durchgesetzt werden, bevor das Unternehmen komplett bewegungsunfähig wird. Noch profitiert der Konzern von seinen starken Marken Audi, Skoda, Porsche oder dem China-Markt. Volkswagen selbst könne seine Investitionen bereits seit 2010 nicht mehr aus eigener Leistung heraus decken, heißt es aus Konzernkreisen. Zudem müsse man jährlich mit Einbußen in dreistelliger Millionenhöhe rechnen, die durch die strenger werdenden CO₂-Vorgaben der EU und Strafzahlungen entstehen. Hinzu kommen die andauernde Marktflaute, Lieferketten-Probleme oder die regelrechte Verzweiflung im E-Auto-Absatz. Auf solch massive Veränderungen im Markt muss ein Konzern reagieren können.
Betriebsrat und IG Metall auf den Barrikaden
Die angekündigten Maßnahmen haben zu erheblichen Spannungen innerhalb des Unternehmens geführt, insbesondere zwischen dem Management und den Arbeitnehmervertretungen. Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, reagierte empört und kündigte massiven Widerstand gegen die Pläne des Vorstands an. "Mit uns wird es keine Standortschließungen geben!", erklärte Cavallo in einer Sonderausgabe der Betriebsratszeitung "Mitbestimmen". Sie kritisierte die Sparpläne als einseitig und forderte stattdessen einen "strategischen Befreiungsschlag" zur Lösung der eigentlichen Probleme im Konzern. "Anstatt sich einseitig zulasten der Belegschaft kaputtzusparen, muss jetzt ein strategischer Befreiungsschlag her – mit Schub für die eigentlichen Baustellen: Produkt, Komplexität, Prozessabläufe, Synergien", betonte sie.
Auch die IG Metall, die ein wichtiger Akteur bei Volkswagen ist, zeigte sich entsetzt über die Pläne. Thorsten Gröger, Landeschef der IG Metall in Niedersachsen, bezeichnete den vorgestellten Plan gegenüber der Nachrichtenagentur dpa als "unverantwortlich" und warnte vor den möglichen Konsequenzen für die Standorte und Arbeitsplätze bei Volkswagen. "Der Vorstand hat heute einen unverantwortlichen Plan präsentiert, der die Grundfesten von VW erschüttert und Arbeitsplätze sowie Standorte massiv bedroht. Dieser Kurs ist nicht nur kurzsichtig, sondern hochgefährlich – er riskiert, das Herz von Volkswagen zu zerstören", erklärte Gröger. Er forderte, dass das Missmanagement der vergangenen Jahre nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden dürfe.
Wie reagiert Niedersachsen?
Das Land Niedersachsen, das als Großaktionär mit 20,2 Prozent der Anteile und zwei Kabinettsmitgliedern im Aufsichtsrat von Volkswagen vertreten ist, hat ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen und dürfte eine entscheidende Rolle in den kommenden Verhandlungen spielen. Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen und Mitglied im Aufsichtsrat, stellte gegenüber der Bild-Zeitung klar, dass die Landesregierung die Perspektiven der niedersächsischen Standorte besonders im Blick habe. Er betonte, dass er erwarte, "dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt". Die Position Niedersachsens könnte daher entscheidend sein, wenn es um die Durchsetzung oder den Widerstand gegen mögliche Werksschließungen geht.
Die endgültigen Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung des Konzerns sollen in der sogenannten Planungsrunde getroffen werden, die traditionell im November stattfindet. Bis dahin dürften die Diskussionen und Verhandlungen hinter den Kulissen weiter intensiv geführt werden. Die Ankündigung des Vorstands hat bereits jetzt eine intensive Debatte über die Zukunft von Volkswagen und die Verantwortung des Managements gegenüber den Mitarbeitern und Standorten ausgelöst. Die kommenden Wochen werden zeigen, inwieweit die angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden und welche Konsequenzen sie für das Unternehmen und seine Beschäftigten haben werden.
Fünf Milliarden-Loch bei VW
Konzernchef Oliver Blume erläuterte, dass sich "das wirtschaftliche Umfeld nochmals verschärft hat, neue Anbieter drängen nach Europa. Dazu kommt, dass vor allem der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurückfällt", erklärte Blume. Angesichts dieser Entwicklungen sieht der Vorstand eine umfassende Restrukturierung der Marken innerhalb der Volkswagen AG als unerlässlich an, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. In diesem Zuge könnten auch Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen notwendig werden, wenn keine schnelle Gegensteuerung erfolgt.
Ein weiterer Auslöser für die Verschärfung der Sparmaßnahmen ist eine Lücke von rund fünf Milliarden Euro, die sich in den bisherigen Einsparplänen des Konzerns auftut. Um sie schließen, reichen die bisher geplanten Maßnahmen wie Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen nicht mehr aus. "Ein Umbau allein entlang der demografischen Entwicklung ist aus Sicht des Unternehmens nicht ausreichend, um die kurzfristig notwendigen Strukturanpassungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen", so die Mitteilung des Unternehmens. Ein im Jahr 2023 initiiertes Sparprogramm sollte diesen Trend umkehren und bis 2026 eine Ergebnisverbesserung von zehn Milliarden Euro erzielen.
Gewinn im Branchen-Vergleich unterirdisch
Den ersten Schritt dazu sind Konzern-CEO Oliver Blume und Marken-Chef Thomas Schäfer Anfang September mit der Aufkündigung der seit Jahrzehnten bestehenden Beschäftigungssicherung gegangen. Durch sie galt Volkswagen bisher als einer der sichersten Arbeitgeber überhaupt. Doch gleichzeitig verschlechterte sich dadurch und durch einen über die Jahrzehnte gewaltig angewachsenen Mitarbeiterstamm die Bilanz des Unternehmens.
Allein im Jahr 2023 stemmte der Volkswagen-Konzern einen Umsatz von mehr als 332 Milliarden Euro – 15,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Doch der Gewinn am Ende lag im gleichen Zeitraum bei mickrigen 4,1 Prozent. Hätte man das Geld einfach nur passiv im Dax an der Börse investiert, wäre nach einem Jahr der doppelte Gewinn entstanden. Zum Vergleich: Der weltweit größte Automobilhersteller Toyota fährt mit rund zwölf Prozent etwa den dreifachen Gewinn von Volkswagen ein. Und das, obwohl die Japaner viel Geld in Werke, Entwicklung und Mitarbeiter gesteckt haben.